Der verschleierte Christus

27. März 2019 in Jugend


Vielleicht sehen wir uns selbst erst wirklich, wenn wir Christus am Kreuz sehen. Keine unserer Wunden ist tief genug, um von Seinem Leid nicht empfangen und umfangen werden zu werden - Die Jugendkolumne von kath.net - Von Dubravka Križić


Linz (kath.net)
Es ist nicht zu leugnen, dass C.S. Lewis eine wahre Bereicherung für das literarische und spirituelle Gemüt ist. Eines seiner Werke steht für mich immer an besonderer Stelle: der wiedererzählte Mythos „Du selbst bist die Antwort“ (Till We Have Faces). Lewis schafft es die Verstrickungen der menschlichen Psyche zu durchleuchten und aufzudecken, wie einfach und doch schwerwiegend es für den Menschen ist, Gott falsch zu sehen, Ihm nicht zu vertrauen, ja Ihm überhaupt keine tiefere Bedeutung zuzuschreiben. Der Weg diese Lüge zu erkennen ist holprig und schwer. Der Mensch hat eine eigenartige Starrsinnigkeit und einen falschen Stolz von Lügen überzeugt zu sein. Irgendwann wird die Zeit für eine ausführliche Auslegung dieser genialen Geschichte kommen, heute jedoch möchte ich auf eine kurze Szene aufmerksam machen.

Die Protagonistin Orual wird zur Königin gekrönt und obwohl das ein freudenreiches Ereignis ist, trifft sie eine ungewöhnliche Entscheidung. Sie beschließt von nun an ihr Gesicht zu verschleiern. Sie möchte nicht gesehen werden. Der Grund hierfür ist banalerweise, dass ihr Gesicht hässlich ist. Ein Antlitz, dem es nicht zusteht gesehen und verherrlicht zu werden. Wer C.S. Lewis kennt erahnt schon, dass diese Verschleierung keine banale Kritik irgendeines Schönheitsideales darstellen soll, sondern viel tiefer geht. Es spiegelt einen innerlichen Drang der menschlichen Seele wider: sein wahres Ich nicht zeigen zu wollen und sich verstecken zu müssen. Adam und Eva sind in diese Falle getappt. Durch die Erbsünde ist unser Gottesbild verzerrt und diese Lüge überzeugt den Menschen davon, sich vor Gott verstecken zu müssen.
Die Zeit des Fastens, in der wir uns befinden, ist der Weg zur Einsicht, dass es Zeit ist diesen Schleier abzulegen. Alle Türen und Fenster werden geöffnet und langsam verweht der Staub in unseren Seelen. Alles liegt offen: unsere Fehler und Sünden, unser Leid und unsere Wunden. Am Ende ihres Weges fragt sich Orual: „Wie können sie uns eigentlich sehen von Angesicht zu Angesicht, solange wir Gesichter aufsetzen?“ Dies ist die Frage, die Lewis am Ende des Buches in den Raum wirft und dessen Tiefe wahrlich in einem widerhallt: Wie können wir Gott sehen, wenn wir uns selbst nicht sehen können?

Die Fastenzeit ist dieser holprige schwere Weg Masken und Lügen und Sünde abzulegen, unserem Herzen Klarheit und Offenheit zu verleihen, damit wir sehen und erkennen wer vor uns steht, wer dort am Kreuz für uns stirbt. Dieser verwundete Leib mit diesem schmerzverzerrten Gesicht ist wahrlich das Antlitz eines Königs, des Königs – das muss man erst einmal erkennen.

Vielleicht sehen wir uns selbst erst wirklich, wenn wir Christus am Kreuz sehen. Keine unserer Wunden ist tief genug, um von Seinem Leid nicht empfangen und umfangen werden zu können. Wenn wir also die Tiefe unserer Wunden enthüllen, begegnen wir Christus, denn in der Tiefe Seiner Wunden zeigt Er uns, wie wertvoll der Mensch für Ihn ist.
In einer Kapelle in Neapel liegt die Skulptur „Il Cristo velato“ (Der verschleierte Christus) von Giuseppe Sanmartino (1720-1793). Es ist ein atemberaubendes Kunstwerk. Das Foto kommt diesem leider nicht nahe genug. Jetzt wo wir uns enthüllt haben, ist Christus nun verschleiert? Diese Symbolik erinnert mich oft auch an das Hungertuch, das zur Fastenzeit das Kreuz in der Kirche bedeckt. Als Kind mochte ich diese Zeit nicht.

Es hat mich traurig gemacht und auch heute noch schlummert dieses Gefühl des Verlassenseins in mir. Man tritt in Seine Kirche ein und Er bleibt verschleiert, als würde Gott abwesend sein. Wir verbinden Verschleierung immer mit Abwesenheit, mit Verbergen, sogar mit Entfremdung. In dem Fall des Menschen trifft dies alles zu: wir verbergen uns vor Gott und entfremden uns von Ihm. Wir verstecken uns vor uns selbst, indem wir uns vor Ihm verstecken. Wir verbergen ein Teil unserer Identität, indem wir Gott ausgrenzen – ja wir entfremden uns von dem einzigen Ursprung unseres Seins. Das kann nichts Gutes mit sich bringen.

Doch diese Verschleierung Christi trägt eine andere Dimension in sich. Es ist als würde uns gesagt werden: Seht, Ich bin nicht zu sehen und doch bin Ich.

„Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ (Joh 20,25) Das ist die Antwort des Menschen, der so starr auf seine Sinne vertraut. Als Christus sich dann erneut „enthüllt“, erst dann ruft Thomas aus: Mein Herr und mein Gott!

Christus ist unser Herr und unser Gott, auch wenn wir uns verschleiern um Ihn nicht zu sehen. Doch Christus ist verschleiert um sich sichtbar zu machen. Dieses Kreuz, dass du jetzt nicht sehen kannst, wird bald zum Sinnbild deines Heiles. Diese Wunden, die du jetzt nicht sehen kannst, werden bald ganz enthüllt und du wirst erkennen, dass durch sie Christus deinen Schleier endlich hebt.

Die Skulptur des verschleierten Christi macht genau dies deutlich. Durch das Grabtuch werden die Konturen Seines Leibes noch erkennbarer hervorgehoben. Die Seite, das Blut, die Wunden des Kreuzes und der Krone sind alle sichtbar. Die Wahrheit ist so eindeutig, dass sie fast unsichtbar wird für unsere schwachen menschlichen Sinne.

C.S. Lewis lässt Orual diese Gedanken nachvollziehen: „Ich kann gerade so viel sagen, dass der einzige Unterschied der ist, dass wir das, was viele sehen, ein wirkliches Ding nennen und das, was nur einer sieht, einen Traum. Aber Dinge, die viele sehen, brauchen überhaupt keinen Geschmack und keine Bedeutung in sich zu tragen und Dinge, die sich nur einem zeigen, können Lanzen und strömende Wasser aus den innersten Tiefen der Wahrheit sein.“ Dinge, die wir als wahr und real empfinden sind oft jene, die nicht vollkommen sind. Sie sagen nicht ganz aus, was wahr ist. Der Mensch jedoch sehnt sich gerade nach diesem strömenden Wasser aus den innersten Tiefen der Wahrheit. Am Fuße des Kreuzes, neben Maria, beginnt unser Weg in diese Tiefen – die Tiefen Seiner Wunden. Sie sagen ganz aus, was wahr ist. Einst werden wir vollkommen sein und Ihn ganz sehen, von Angesicht zu Angesicht. Jetzt aber noch in Seinen Wunden.







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