Diplomatie und ethische Mahnungen

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Der Vatikan fordert Besonnenheit in der internationalen Krise


Von Johannes Schidelko

Rom, 19.9.01 (Kipa/kath.net)
Die Spekulationen über möglicheTerrorgefahren verlagern sich in Italien von markantenGebäuden wie Petersdom und Kolosseum generell aufKunstschätze und Menschenmassen. Florenz und Venedig, derTurm zu Pisa, aber auch Fussballstadien und grossePapstaudienzen könnten denkbare Ziele in einem erweitertenSzenario von Angst und Schrecken sein, spekulieren Politikerund Medien. Mit verschärften und zielgerichtetenSicherheitsmassnahmen reagieren die Behörden auf angeblicheoder tatsächliche neue Erkenntnisse.

Im Vatikan wirkte die Situation eine Woche nach denverheerenden in den USA Anschlägen entspannter: ZurGeneralaudienz am Mittwoch fuhr Papst Johannes Paul II. wieder imoffenen Jeep durch das Spalier der jubelnden Gläubigen, bevor ervon seinem erhöhten Platz aus die Predigt hielt. Nicht von ungefährsprach er über einen Klage-Psalm, in dem Gott dem Menschen indunkler Nacht und bedrohlicher, leidvoller Situation wieder Licht undHoffnung gibt.

Handfeste Diplomatie

Mit moralischer Unterstützung und Seelentrost, aber auch mithandfester Diplomatie reagieren Papst und Vatikan auf die Anschlägevon New York und Washington sowie auf die Diskussion um möglicheGegenschläge. Nach den anfänglichen Worte von Bestürzung,Trauer, Beileid und Verbundenheit traten in Papstreden undKardinals-Interviews sehr bald prinzipielle Mahnungen, Warnungenund ethische Empfehlungen in den Vordergrund: Nein zu Rache,Hass und Gewalt, die zu nichts führen, die nicht aufbauen und dieProbleme der Menschheit nicht lösen. Stattdessen plädieren sie fürBesonnenheit, Vernunft und Schritte zum Frieden.

Die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" begrüsst, dass sichdie Staatengemeinschaft nach den schrecklichen Attentatenoffensichtlich verstärkt um einen Damm gegen den Terror bemüht.Die Krankheiten der globalen Gesellschaft liessen sich "nicht durchneue Bomben, durch neue Zerstörungen und neue Massakerkurieren". Es sei Sache von Politik und Diplomatie, die bestehendenProbleme zu lösen, deren Ursachen zu beseitigen und die fataleKette von Aktion und Gegenreaktion zu unterbrechen.

Furcht vor vorschnellen Gegenschlägen

Auch im Vatikan fürchtet man, dass vorschnelle undunverhältnismässige militärische Gegenschläge weitere unschuldigeOpfer fordern und die Spirale von Hass und Gewalt hochschraubenkönnten. Ähnliche Warnungen hatte der Vatikan auch vor demGolfkrieg vor zehn Jahren immer wieder erhoben - weil er dasDialogpotential noch nicht ausgeschöpft und die Zivilbevölkerung alsHauptbetroffenen sah. Er hatte sich damit gerade in den USA nichtnur Freunde geschaffen, sondern politische Entfremdung ausgelöst.

Die Situation damals und die heutige Lage sind jedoch nurbedingt vergleichbar, hört man im Vatikan, denn Terrorgefahr lassesich kaum durch Dialog mit einem potentiellen Aggressor lösen. DerVatikan tut sein Teil dazu, die Ablehnung des Terrors auch im Dialogder Religionen auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen.

Nicht von ungefähr spielt für den Vatikan neben demStaatssekretariat derzeit auch der vom schwarzafrikanischen KardinalFrancis Arinze geleitete Rat für den interreligiösen Dialog einezentrale Rolle. Seine Behörde ist auch für den Kontakt mit dem Islamund mit Muslimen zuständig. Und nach einigen schwierigenJahrzehnten zeichnet sich - vor allem nach Papstbesuchen in Kairound Damaskus - wieder eine bessere Gesprächsbasis an.

Es braucht gerechten Frieden in Nahost

Ein anderer Aspekt lässt sich nur indirekt ableiten, und zwar auseinem Kommentar des "Osservatore Romano". Die Welt stehe in derSchuld der Amerikaner, die in zwei Weltkriegen und im Kalten Kriegan vorderster Front für Menschheit und Zivilisation einstanden.Allerdings dürfe das historische Urteil nicht Irrtümer und Mängel anEntscheidungen der letzten Supermacht übersehen - ohne damit dieSolidarität einzuschränken, so das Vatikanblatt.

Beobachter sehen darin eine Empfehlung, etwa die Suche nacheinem gerechten Frieden im Nahen Osten zu intensivieren. DennHass und Feindbild vieler Terroristen - und vermutlich auch derTäter vom vergangenen Dienstag - wurzeln auch in der wesentlichvon den USA mitgestalteten Nahost-Situation.


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