Aufruhr in Rom oder nur ein Disput unter Kardinälen?

14. Februar 2019 in Kommentar


„Man kann Kardinal Müller danken, dass er in seinem Manifest an den verbindlich gültigen Katechismus der katholischen Kirche erinnert. Dieser ist keine Kuriositätensammlung, sondern ein Leitfaden.“ Gastbeitrag von Thorsten Paprotny


Vatikan (kath.net) Zwei prominente deutsche Römer führen offenbar eine Art Streitgespräch vor den Augen der Welt. Kardinal Walter Kasper, der ehemalige Präfekt des Rates für die Einheit der Christen, gehörte offenbar nicht zu den Bischöfen, die Kardinal Gerhard Müller um ein klärendes Zeugnis für den Glauben der Kirche gebeten haben. Erstaunlich ist das weder für Insider unter Gläubigen noch für säkulare, schlicht an der vatikanischen Kirchenpolitik interessierte Zeitgenossen. Kardinal Gerhard Müllers Glaubensmanifest und Kardinal Walter Kaspers Antwort sind frei zugänglich und können gewissenhaft studiert, bedacht und betrachtet werden.

Kardinal Müller spricht an exponierter Stelle die sich „ausbreitende Verwirrung in der Lehre des Glaubens“ an. Nun mag man aber skeptisch fragen: Gab es eine Zeit in der langen Geschichte der römisch-katholischen Kirche, in der Ahnungslosigkeit, Häresie, Apostasie und Irrtum nicht verbreitet gewesen wären? Möglicherweise gab es in der Zeit, als in Deutschland und Österreich die katholischen Milieus noch stabiler waren als heute, weniger die besondere Situation, mit der sich die Pfarrgemeinden vor Ort heute konfrontiert sehen. Zwei Beispiele zur Erläuterung, erstens: Nicht nur die Kinder benötigen eine Katechese vor der Erstkommunion, sondern auch die Eltern, also die Erwachsenen, haben – dringend – eine angemessene Form der Katechese begleitend zu ihren Kindern nötig, im Bistum Hildesheim sicher graduell noch mehr als vielleicht in Bistümern wie Passau und Regensburg. Zweitens: Wenn sich die Ehevorbereitung von jungen Paaren auf die Planung und Gestaltung der gottesdienstlichen Feier beschränkt – auf die Dekoration einer möglichst repräsentativ ausgewählten Kirche, auf die feiergemäße Text- und Liedauswahl –, dann lässt sich auch kaum von einer Vorbereitung auf den Empfang des Ehesakraments sprechen. Dieser Mangel wird übrigens auch in „Amoris laetitia“ thematisiert. Wird das überhaupt theologisch diskutiert? Es wäre nötig. Haben Befürworter wie Kritiker, ob Priester, pastorale Mitarbeiter oder Weltchristen, den umfangreichen Text in gebotener Intensität hinreichend studiert?

Ja, Kardinal Müller hat recht, an den Glauben der Kirche zu erinnern. Der Katechismus ist frei verfügbar – im Internet –, als Buch, als Kompendium, aber wird der Text gelesen, bedacht und nachvollzogen? So kann man dem ehemaligen Präfekten danken, dass er in seinem Manifest an den verbindlich gültigen Katechismus der katholischen Kirche erinnert. Dieser ist keine Kuriositätensammlung, sondern ein Leitfaden für Gläubige und eine Orientierungshilfe für Suchende. Der Bischof ist, wie Kardinal Müller richtig bemerkt, ein „Lehrer des Glaubens“, kein Politiker. Hinzugefügt sei: der Bischof ist auch kein Kirchenpolitiker, kein Strukturreformer, kein Dienstherr einer wohltätigen NGO und kein Aufsichtsratsvorsitzender einer „Kirche in der Welt von heute“-AG.

Kardinal Kasper äußert eine Reihe von kritischen Einwänden. Es mag meiner katholischen Naivität geschuldet sein, dass ich die antipäpstliche Schwungkraft des Glaubensmanifests nicht bemerkt habe. Auch seine persönliche Treue zu Papst Franziskus hat der ehemalige Glaubenspräfekt in dem umfangreichen Buch „Der Papst – Sendung und Auftrag“, erschienen im Verlag Herder 2017, ausführlich dargelegt und überzeugend vorgestellt. Ein „Luther redivivus“ hätte ein solch imposantes Buch in fester Treue zum Papst nicht geschrieben.

Kasper bemerkt zudem zu Müllers Erwägungen zum Kommunionempfang für wiederverheiratet Geschiedene und nichtkatholische Christen: „Für die Aussage, dass standesamtlich wiederverheiratet Geschiedene und nichtkatholische Christen die Eucharistie nicht fruchtbar empfangen könnten, beruft sich das Manifest auf Nr. 1457 des Katechismus der katholischen Kirche. Ich habe zweimal nachgeschlagen und diesen Satz dort so nicht gefunden. Ich kenne auch keine andere dogmatisch verbindliche Aussage, in der der Satz in dieser Form steht.“ Es steht jedem frei, im Katechismus die entsprechende Stelle nachzulesen: „Wer sich bewußt ist, eine Todsünde begangen zu haben, darf selbst dann, wenn er tiefe Reue empfindet, die heilige Kommunion nicht empfangen, bevor er die sakramentale Absolution erhalten hat [Vgl. K. v. Trient: DS 1647; 1661], außer wenn ein schwerer Grund vorliegt zu kommunizieren, und es ihm nicht möglich ist zu beichten [Vgl. CIC, can. 916; CCEO, can. 711].“ Der standesamtlich wiederverheiratet Geschiedene kann die sakramentale Absolution nicht empfangen, so verstehe ich den Katechismus und Müllers zugestandenermaßen sehr knappen Hinweis darauf, und somit ist der standesamtlich wiederverheiratete Katholik genauso vom Empfang der heiligen Kommunion ausgeschlossen wie ein Nichtkatholik. Oder sollte etwa die konfessionelle Verschiedenheit der Ehepartner tatsächlich ein maßgebend „schwerer Grund“ sein, um die heilige Kommunion empfangen zu können? Wenn ein nichtkatholischer Ehepartner das Bedürfnis nach dem Empfang der Sakramente der Buße und der Kommunion hat, besteht meines Wissens noch immer überall auf der Welt, sogar in Deutschland und Österreich, die Möglichkeit der Konversion zur römisch-katholischen Kirche.

In jedem Fall: Wer diese Abschnitte genau nachliest und die Ausführungen der Dogmatiker Kasper und Müller hierzu bedenkt, mag die Hoffnung auf ein öffentliches, klärendes Gespräch der beiden großen Theologen – und vielleicht auf ein gemeinsames Glaubenszeugnis hegen. So könnten die angesehenen und verdienstvollen Kardinäle, die zu den wichtigsten Mitarbeitern unseres Papstes Franziskus gehören, vereint Christus, das „Lumen gentium“, bezeugen. Ich würde mir das sehr wünschen.

Und worin könnte unsere Aufgabe als einfach gläubige Katholiken in dieser Zeit bestehen? Auch, auf unsere Weise, das Licht des Herrn auszustrahlen, ganz gleich in welcher Situation wir uns befinden – und wer hören möchte, wie das gelingen könnte, dem empfehle ich, eine Predigt von Pater Engelbert Recktenwald hierzu anzuhören. Glaubenszeugnisse wie diese, von Priestern und Bischöfen, aber auch von Christen wie uns, werden dringend gebraucht.

Dr. Thorsten Paprotny lehrte von 1998-2010 am Philosophischen Seminar und von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er publizierte 2018 den Band „Theologisch denken mit Benedikt XVI.“ im Verlag Traugott Bautz und arbeitet an einer Studie zum Verhältnis von Systematischer Theologie und Exegese im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.

kath.net-Buchtipp
Theologisch denken mit Benedikt XVI.
Von Thorsten Paprotny
Taschenbuch, 112 Seiten
2018 Bautz
ISBN 978-3-95948-336-0
Preis 15.50 EUR

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