Briefe schreiben – oder beten?

7. Februar 2019 in Deutschland


„Etwas knauserig sind die Unterzeichner in geistlicher Hinsicht: kein Gebetsversprechen, weder für die Bischöfe noch für den Papst, beispielsweise.“ Kleine Anmerkungen zum „Offenen Brief an Kardinal Marx“. Gastbeitrag von Thorsten Paprotny


Hannover (kath.net) Um „Offene Briefe“ hat Papst Franziskus am Ende der Predigt in der heiligen Messe zur Amtseinführung am 19. März 2013 nicht gebeten, sehr wohl aber um unsere Gebete: „Zu euch allen sage ich: Betet für mich!“ Darüber könnten wir alle in diesen Tagen vielleicht neu nachdenken, auch im Hinblick auf den von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ am 3. Februar 2019 publizierten „Offenen Brief an Kardinal Marx“.

Die dort aufgestellten kirchenpolitischen Forderungen, die vielen gläubigen Katholiken genauso vertraut sein mögen wie nichtkatholischen Christen, Andersgläubigen, Agnostikern und Atheisten mögen, je nach Belieben, theologisch bedacht wie ekklesiologisch kontrovers diskutiert werden. Irritierend bleibt auch nach längerem Nachdenken die abstrakt gehaltene Bemerkung, die deutschen Bischöfe seien seit 2010 mit der „Sanktion von Missbrauchstaten gut vorangekommen“. Was heißt das? Kein Bischof in der Bundesrepublik Deutschland ist befugt – oder auch je befugt gewesen –, „Missbrauchstaten“ kraft seines Amtes rechtlich zu sanktionieren. Ein Bischof ist Bischof, nichts anderes. Er ist ein Dienstvorgesetzter, aber so wenig ein weltlicher Richter wie ein Konzernchef, ein Parteivorsitzender oder ein Geschäftsinhaber. Wer Kenntnis von strafrechtlich relevanten Delikten dieser Art hat, muss die Straftat unverzüglich den zuständigen Behörden zur Anzeige bringen. Alles Nötige dazu sagt das für alle, also auch für Bischöfe, verbindlich geltende Strafrecht, (insbesondere StGB § 176). Die unmissverständlich formulierte Rechtslage bedarf auch keiner näheren theologischen Klärung und keiner kirchenpolitischen Diskussion.

Angesprochen wird in dem „Offenen Brief“ auch die „vormoderne Ordnung der Kirche“, die von der „Mehrheit“ der „aktiven Katholiken“ nicht mitgetragen, sondern nur noch ertragen werde: Was mag damit gemeint sein? Wer hat diese „Mehrheit“ festgestellt? Auf gewisse Weise lyrisch – ob vormodern, modern oder postmodern, mögen Berufene entscheiden – mutet die Formulierung an: „Die Sonne der Gerechtigkeit kommt nicht mehr durch. Unter einem bleiernen Himmel verkümmert die Freude am Glauben.“ Gesprochen wird auch von einer „Weite“, „ohne die das Evangelium nicht atmen kann“. Die Betrachtungen münden in einen Aufruf: „Nehmen Sie Ihre geistliche Vollmacht für mutige Reformen in Anspruch: Binden Sie sich selbst durch echte Gewaltenteilung – das passt besser zur Demut Christi und in den Rahmen der für alle geltenden Gesetze.“ Kein Bischof steht über dem Gesetz. Welche „geistliche Vollmacht“, welche „Gewaltenteilung“ ist nun also gemeint? In Deutschland ist die Gewaltenteilung verfassungsrechtlich geklärt. Worum also geht es? Welche Gewaltenteilung wird eigentlich gefordert?

Der Brief endet appellativ: „Lieber Herr Vorsitzender, liebe Herren Bischöfe – Sie können mit uns rechnen. Wenn Sie sich an die Spitze der Reformbewegung setzen, haben Sie uns entschlossen hinter sich. Aber wir zählen auch auf Sie. Die Bischöfe haben das Heft in der Hand. Bitte zögern Sie nicht. Schlagen Sie eine neue Seite auf, schreiben Sie ‚2019‘ darüber, und fangen Sie an.“ Mit „uns“ meinen die Unterzeichner sicherlich sich selbst. Wenn die „lieben Herren Bischöfe“ brav den durchaus forschen Ratschlägen folgen, dann ist Unterstützung – „entschlossen“ – garantiert. Auch „herzliche Grüße an Papst Franziskus“ werden noch bestellt. Etwas knauserig sind die Unterzeichner in geistlicher Hinsicht: kein Gebetsversprechen, weder für die Bischöfe noch für den Papst, beispielsweise. Das finde ich sehr schade. Um nichts bittet Papst Franziskus so oft wie um das Gebet. Das ist keine Floskel. Der Heilige Vater, scheint mir, weiß ganz genau, wovon er spricht, wenn er diese Bitte äußert.

Ist dieser „Offene Brief“ ein mutiger kirchenpolitischer Weckruf? Eine fällige oder überfällige Grundsatzerklärung? Oder – vielleicht haben Sie, liebe Leser, eine verlässliche, fundierte Meinung dazu? Ich denke: Wir müssen gar nicht entscheiden, ob dieser „Offene Brief“ wichtig und brisant ist. Dafür haben wir unsere Bischöfe. Vielleicht bin ich „vormodern“, wenn ich das einfach so sage? Mag sein. Dass alle deutschen Bischöfe diesen „Offenen Brief“ richtig verstehen, beurteilen und einschätzen werden, dessen bin ich mir einfach gewiss. Die Bischöfe wissen, denke ich, auch vor allem eines: Es gibt immer noch Menschen in Deutschland, nicht wenige, die von der Gottesfrage bewegt sind – und nicht von der Kirchenpolitik. Vom sehnsüchtigen Gottsucher berichtet Professor Joseph Ratzinger 1967 in der Vorlesung „Einführung in das Christentum“, von einem Menschen, der ganz und gar um den Glauben ringt: „In einer scheinbar bruchlos verfugten Welt wird jählings einem Menschen der Abgrund sichtbar, der unter dem festen Zusammenhang der tragenden Konventionen lauert – auch für ihn. In einer solchen Situation steht dann nicht mehr dies oder jenes zur Frage, um das man sonst vielleicht streitet – Himmelfahrt Marias oder nicht, Beichte so oder anders –, all das wird völlig sekundär. Es geht dann wirklich um das Ganze, alles oder nichts. Das ist die einzige Alternative, die bleibt, und nirgendwo scheint ein Grund sich anzubieten, auf dem man in diesem jähen Absturz sich dennoch festklammern könnte. Nur noch die bodenlose Tiefe des Nichts ist zu sehen, wohin man auch blickt.“ Es geht also um den Glauben in der Kirche, um die Frage nach Gott – worum auch sonst?

Erinnern möchte ich abschließend an den großen Regensburger Erzbischof Michael Buchberger. Bei einer Begegnung des Schülerkreises von Joseph Ratzinger wurde über das Zweite Vatikanische Konzil gesprochen. In diesem Zusammenhang erinnerte Benedikt XVI. daran, dass Kardinal Frings ihm wiederholt von Beratungen der deutschen Bischöfe erzählt habe: „Wir sind in der Deutschen Bischofskonferenz mehrmals zusammengekommen, um zu beraten, was im Konzil geschehen soll. Da hat dann der alte Bischof Buchberger von Regensburg (er war damals etwa 87 Jahre alt und 1961 gestorben) gesagt: »Es muss um Gott gehen. Es geht um Gott, das ist das Wesentliche.«“ Nach diesen Worten verstummten die deutschen Bischöfe. Sie hatten ihren hellsichtigen greisen Mitbruder ganz und gar verstanden. Worum muss es heute in der Kirche gehen? Um die Zentralität Gottes.

Pater Engelbert Recktenwald sagte in seinem ausgesprochen hörenswerten (Podcast „Kritischer Verstand“) am 4. Februar 2019 treffend und ganz einfach: Wir wünschen uns mutige Bischöfe. Gut gesagt, recht hat er! Wenn wir an unseren Papst Franziskus und die Gemeinschaft der Bischöfe in aller Welt denken, an ihre Sorge um den rechten katholischen und apostolischen Glauben, auch in den Irrungen und Wirrungen dieser Zeit, dann müssen wir vielleicht als Bettler vor Gott gar keine Briefe schreiben. Wir können auch, als einfach gläubige Christen, vielleicht nichts Besseres tun, als für unseren Papst Franziskus, für unsere Bischöfe und für die Kirche des Herrn zu beten. Könnte ein Leben im Gebet nicht unser vornehmster Dienst, unsere wichtigste Aufgabe heute sein? Machen Sie mit?

Dr. Thorsten Paprotny lehrte von 1998-2010 am Philosophischen Seminar und von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er publizierte 2018 den Band „Theologisch denken mit Benedikt XVI.“ im Verlag Traugott Bautz und arbeitet an einer Studie zum Verhältnis von Systematischer Theologie und Exegese im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.

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Taschenbuch, 112 Seiten
2018 Bautz
ISBN 978-3-95948-336-0
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