Wo dein Herz zur Ruhe kommt

18. Jänner 2019 in Kommentar


Medjugorje revisited. Eine Silvesterreise an einen der stärksten Orte der Welt. Benedicta von Petra Knapp-Biermeier.


Linz (kath.net) Da liegen wir, eingemummt in zerschlissene dünne Sommerschlafsäcke, im Zweimann-Zelt, meine Schulfreundin L. und ich. Plitsch – platsch. Ich zähle bis drei. Plitsch – Platsch. Das Leck dürfte direkt über unseren Köpfen sein. Ich taste vorsichtig, greife in eine kleine Lacke mitten im Zelt und rutsche ein wenig zur Seite. Egal. Meine Reisebegleiterin schläft. Ich starre lange ins Dunkle.

Hundemüde sind wir beide gewesen, heute am späten Nachmittag, als wir eilig das Zelt aufbauten, über uns dunkle Gewitterwolken. Wir sind Rucksacktouristen, mit irgendeinem Autobus angereist, sicherlich war es eine Nachtfahrt, ins südlichste Jugoslawien, damals. Waren wir 15 oder 16? Ich rufe L. an und frage sie, und fünf Minuten später kriegen wir uns nicht mehr ein vor Lachen. „Skorpione waren im Zelt!“, kichert sie 100 Kilometer entfernt von mir ins Telefon. „Es war blau, und es war windschief. Ringsum war nichts – nur Felder!“

Über die marschierten wir dann zur Kirche, dem Mittelpunkt der verstreuten Ortschaften in dem karstigen Gelände. Ein Ort der Gottesbegegnung. Medjugorje. Im Frühsommer vor knapp vierzig Jahren verzogen sich dort ein paar Teenager auf einen Hügel, den Podbrdo. Sie wollten heimlich rauchen, verrät uns die quirlige blonde Dame, eine Schulkollegin und Verwandte von einer der späteren Seherinnen. Sie ist zu unserer Reisegruppe ins Hotel gekommen. Ja: Drei Jahrzehnte nach dem Zeltabenteuer bin ich zum Jahreswechsel wieder hier gelandet, mit Familie, Koffer und komfortablem Zimmer mit Dusche und WC.

Am 24. Juni 1981 ist also sechs Kindern erstmals die Muttergottes erschienen. Sie übermittelte ihnen Botschaften und bat um das Gebet. Die Kinder hätten ab diesem Zeitpunkt keine ruhige Minute mehr gehabt, weiß P. Tomislav Pervan, der von 1982 bis 1988 Pfarrer in Medjugorje war und seit dreißig Jahren Seelsorger dort ist. Sie wurden schikaniert, hinterfragt, überprüft, beobachtet und analysiert. Ihre Kindheit sei vorbei gewesen, schreibt er in seinem Buch „Medjugorje. Ein prophetisches Zeichen für die Welt“.

Was mit einer heimlich gerauchten Zigarette begann, löste einen geistlichen Flächenbrand aus, von Tokio bis Toronto, von Johannesburg bis London, immer und immer wieder rund um die Welt. Geschätzte 50 Millionen Pilger besuchten seither Ort im Nirgendwo. Tausende Berufungen gehen auf das Konto von Medjugorje, ebenso viele Gebetsgruppen und missionarische Initiativen.

Drei dieser Seher bekommen noch heute Botschaften von der Muttergottes, und eine Ahnung davon, wie so etwas abläuft, bekommt man mittlerweile mit „youtube“-Videos. Die katholische Kirche hat noch kein abschließendes Urteil über das Phänomen Medjugorje gefällt. Der Ort gelte als „Gebetsstätte“, und eine von Papst Benedikt XVI. eingesetzte Kommission habe die Geschehnisse dokumentiert und dem Vatikan vorgelegt, weiß P. Pervan.

Er sitzt jetzt vor mir. Ich bin mir sicher, dass ich ihm damals begegnet bin, vor dreißig Jahren, irgendwo im Beichtstuhl oder in der Kirche. Aber meine Erinnerung streikt. Die Zeit ist weitergelaufen. Wir plaudern bei einer Tasse Kaffee, und er ist sehr positiv gestimmt, was Medjugorje betrifft. Ich betrachte ihn. In jeder seiner Gesichtsfalten versteckt sich eine Geschichte, durch seine knolligen Ohren sind zehntausende Beichten hindurch gezogen, hin zu dem, der unsere Sünden vergibt und vergisst. Er spricht von „erschütternden Lebensbeichten“, die in den ersten Monaten und Jahren noch rings um die Kirche, auf der Wiese, abgelegt wurden. Heute gibt es etwa 50 Beichtstühle, aber auch hier steht man Schlange.

Es ist schon faszinierend: Der Ort war damals ein Refugium, eine Heimat für meine suchende, jugendliche Seele. Und er ist es heute noch immer. Er ist einer der stärksten Orte der Welt. Ich war nie ein Fan von Wallfahrtsorten. Aber gegen den starken Frieden, den dieser Ort ausstrahlt, bin ich machtlos. Mich lassen die Plastikrosenkränze ebenso kalt wie die Boutiquen, die nur hunderte Meter von der Kirche entfernt geöffnet haben. Es irritiert mich nicht.

Denn hier ist definitiv ein Ort, an dem Gott zu meiner Seele spricht. Es ist ein Ort, an dem ich plötzlich Dinge beichte, die mir noch nie bewusst geworden sind. Es ist ein Ort, an dem es keine Ablenkungen gibt. Die Rosenkränze, die alle paar Meter angeboten werden, werden hier tatsächlich gebraucht und millionenfach gebetet. Und wer Silvester in die Kirche hinein will, muss sich bereits mittags einen Platz sichern.

Die Highlights von Medjugorje sind zwei Bergtouren, eine auf den kleinen Hügel, den Erscheinungsberg, eine auf den Kreuzberg. Heute wie vor dreißig Jahren gehen manche barfuß über die scharfkantigen Steine. Es ist richtig unwirtlich, ungemütlich, und keiner plaudert auf diesem Weg über belanglose Dinge. Nein, bequem ist dieser Ort nicht. Aber wahr, wie ein durchdringender Lichtstrahl.

In Medjugorje passiert genau das, was Kirche ausmacht: Hier ist der Himmel offen, Menschen erkennen, wer sie sind, entdecken Gott als ihren Retter, Erlöser und Schöpfer, bitten um Vergebung, machen einen Neuanfang, gehen zurück und erzählen anderen davon. Kein kirchlicher PR-Stratege könnte das besser hinkriegen, und irgendwie wirkt es, wie der Film „Mary's Land“ poetisch-fantastisch skizziert, als würde hier jemand Regie führen, nämlich Maria, die Mutter Jesu, die ihn einfach bittet „Jetzt lass doch mich mal machen...!“

Wie auch immer das zu lesen ist in diesem etwas skurillen, aber eindrücklichen Film: Niemand kann leugnen, dass hier etwas passiert, dass hier von unsichtbarer Hand Herzen angerührt, Biographien verändert werden. „Wenn es von Gott ist wird es bleiben. Wenn nicht, dann wird es verschwinden“, kommentierte P. Pervan von Anfang an die Geschehnisse.

Es klingelt, und L. ist jetzt wieder dran. Sie hat mir Fotos geschickt von damals, es war 1987. Da steht sie, beim Abstieg vom Kreuzberg, mitten im Geröll und Gestrüpp, ein paar Meter entfernt von ihr ein paar Schafe. Es sind wunderbare Erinnerungen, und je länger ich darüber nachdenke, desto dankbarer bin ich für diesen abgelegenen Ort, wo Gott damals wie heute seine Gnaden ausschüttet, wo der Friede sich wie ein sanfter, wärmender Mantel um deine Schultern legt, wo dein Herz zur Ruhe kommt.


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