Was manche Welterklärer von Hiob lernen könnten

20. Juni 2018 in Kommentar


„Könnten sich Urknall-Forscher von Gott belehren lassen, würden sie eine neue Dimension der Schönheit und Harmonie entdecken – worüber man nur staunen, aber nichts davon begreifen kann.“ Gastkommentar der Religionspsychologin Martha von Jesensky


Zürich (kath.net) Die P e r s o n a ist die Rolle, die man oft in der Gesellschaft spielt oder spielen möchte, eine „Maske“, die über die eigentliche Individualität gestülpt wird. Sie ist also nur eine Scheinpersönlichkeit. Im Ganzen ist sie ein System von Formen des Verhaltens, die das Ursprüngliche entweder überdecken oder ihm gar widersprechen. Das sind etwa unechte, aufgepfropfte Meinungen, Behauptungen, Wertschätzungen, Einigungen, Interessen oder Bestrebungen aus blinder Angleichung.

In dem Masse, wie das Ich (Zentrum des Bewusstseins) mit der Maske übereinstimmt, bleibt das Echte, beziehungsweise das Gute oder das Schädliche am Rand des Bewusstseins gedrückt, oder wie das so oft geschieht, ins Unbewusste verdrängt. Das Echte tritt dann in ein kontrastierendes Verhältnis zum Unechten, zur Maske. Hinter der Maske verbirgt sich dann, was man gewöhnlich „Privatleben“ nennt. Auf jeden Fall hat eine zu starke Identifikation mit der sozialen Rolle im Unbewussten stets ihre andere Seite. So kann zum Beispiel das Zerstörerische, wenn es nicht heilt, wie das schon Augustinus (5 Jhd. n. Chr.) erkannt hat, „die Macht einer unheilvollen Unordnung“ in der Seele bewirken. Darum betete er so: „Du hast es angeordnet, Herr, und so wird sich selbst jeder ungeordnete Geist zur Strafe“. Ähnliches vernimmt Heinrich Seuse (14 Jhd.) von der „Ewigen Weisheit“ (Gott): „Es ist doch meine ewige Ordnung, dass ein ungeordnetes Gemüt sich selber eine Marter und eine schwere Busse ist…“ (Vgl. J. Sudbrack, 1981, S. 154)

Psychologisch ausgedrückt: Der sozial starke Mann ist im Privatleben öfters ein Kind seinen eigenen Gefühlszuständen gegenüber, seine öffentliche Disziplin (die er ganz besonders von anderen verlangt) wirkt privat jämmerlich. Seine „Berufsfreudigkeit“ hat Zuhause ein melancholisches Gesicht; seine „fleckenlose“ öffentliche Moral sieht hinter der Maske merkwürdig aus – „wir wollen nicht von Taten sprechen, sondern bloß von Phantasien, auch wüssten die Frauen solcher Männer einiges zu erzählen; sein selbstloser Altruismus – seine Kinder haben andere Ansichten“. (Vgl. Heinz Remplein, 1975, S. 405)

Nun, solche leidenschaftlichen Identifikationen mit einer Rolle finden sich auch in den renommiertesten wissenschaftlichen Kreisen, etwa bei Physikern, die die Entstehung des Universums mit ihren Gesetzen erklären wollen. Ihr Ziel ist es, die Bibel zu widerlegen. Eine der bekanntesten Orte, wo fieberhaft nach einem solchen „Weltformel“ gesucht wird, ist das CERN (Kernforschung) bei Genf. Alles dreht sich bei der Europäischen Organisation für Kernforschung um die von Physikern erzeugten Kollisionen der Protonen (Elementarteilchen mit elektrischer Ladung), die durch einen 27 Kilometer langen Tunnel in entgegengesetzte Richtung geschossen werden. Die Forscher wollen damit vor allem den Urknall aufspüren – doch bis jetzt ohne Erfolg. Trotzdem wollen sie den Beschleuniger bis zum Jahre 2025 noch leistungsstärker machen. Dafür muss jetzt wieder gebohrt und getunnelt werden, bis 100 Meter Tiefe.

Die Physikerin Sabine Hossenfelder (41) am Frankfurter Insitute for Advanced Studies wirft den Physiker vor, sich heillos in Spekulationen verrannt zu haben; ihre Detektoren suchen nach „Geisterteilchen“. Ehrlich bekennt sie: „Wir kommen mit dem Verständnis der Naturgesetze nicht mehr voran. Wir betreiben Detektoren in unterirdischen Minen… trotzdem haben wir seit vier Jahrzehnten kaum mehr Daten gewonnen, die uns etwas Neues sagen könnten“.

Selbst Einstein, sagt sie, ließ sich noch von einem Gefühl für Schönheit leiten. Er war überzeugt, das Universum bleibe stets in sich gleich. Die Vorstellung eines Urknalls fand er abscheulich, wie viele seiner Zeitgenossen. Später hat Einstein sich aber damit abgefunden. Die Physiker wünschten sich einen Kosmos, der von „schönen“ und „natürlichen“ Gesetzen bestimmt ist. „Ich sehe da“, so Hossenfelder, „keinen großen Unterschied zum Glauben an einen gütigen Gott… Die Theorie funktioniert aber nur, wenn es etliche Extradimensionen außer den uns bekannten gibt. Leider fand sich auch davon bislang keine Spur“. („Spiegel“ Nr: 24 /Juni 2018)

Im Unterschied zu denen, die in Scheinidentität leben oder denjenigen, die nach einer „Weltformel“ suchen, hat der biblische Hiob (um 200 v. Chr.) nach anfänglichem Hadern mit Gott - im Gegensatz zu den „Welterklärern“ – seine beschränkte Erkenntnisfähigkeit eingesehen. Er beugte sich vor Gottes Allmacht und Überlegenheit. Als gottesfürchtiger Diener Gottes interessierte sich Hiob natürlich nicht für einem „Urknall“ – aber nachdem es ihm aus unerklärlichen Gründen schlecht ging, verlangte er Rechenschaft von Gott. Hiob glaubte nämlich, seine Lebenserfahrung sei Maßstab für Andere und stellte sich damit Gott gleich.

Gott empfindet dies als Anmaßung und belehrt ihn (Auszug aus Ijob 38,1-6): „Wer ist es, der den Ratschluss verdunkelt / mit Gerede ohne Einsicht? Auf, gürte deine Lenden wie ein Mann: / Ich will dich fragen, du belehre mich! Wo warst du, als ich die Erde gegründet? / Sag es denn, wenn du Bescheid weißt. Wer setzte ihre Maße? Du weißt ja. / Wer hat die Messschnur über ihr gespannt? Wohin sind ihre Pfeiler eingesenkt?

Hiobs Umkehr (Ijob, 42,1-6): „Da antwortete Ijob dem Herrn und sprach: Ich hab‘ erkannt, dass du alles vermagst; / kein Vorhaben ist dir verwehrt. Wer ist es, der ohne Einsicht den Rat verdunkelt? / So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, / die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind… Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen… Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche.“

(Hiobs neues Glück danach: Gott segnete die spätere Lebenszeit Hiobs mehr als seine frühere. Auch bekam er noch sieben Söhne und drei Töchter, er starb hochbetagt und satt an Lebenstagen. [Ijob 42-17])

Ich sehe es so: Könnten sich auch die Urknall-Forscher von Gott belehren lassen, würden sie eine neue, überwältigende Dimension der Schönheit und Harmonie entdecken – worüber man nur staunen, aber nichts davon begreifen kann.

Dr. phil. Martha von Jesensky (Foto) ist Religionspsychologin und praktizierende Katholikin. Die Schweizerin führte lange eine eigene Praxis in Zürich, ihren (Un-)Ruhestand verbringt sie in Matzingen TG.

Foto (c) Martha von Jesensky


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