Fast vergessen: Mexikanische Kirchenverfolgung des 20. Jahrhunderts

24. November 2017 in Chronik


Am 23. 11. war der Gedenktag des Seligen Michael Pro. Von Prof. Rudolf Grulich


München (kath.net/KIN) Nur die Generation der heute über 60-Jährigen hat im Firmunterricht noch Beispiele von Glaubensmut junger Katholiken während der Verfolgung in Mexiko gehört. 1998 hat zwar der polnische Papst mit P. Michael Pro auch einen ersten Märtyrerpriester jener Zeit seliggesprochen. Ansonsten ist diese Zeit vergessen, obwohl in ihr eine der härtesten Kirchenverfolgungen des 20. Jahrhunderts stattfand. Die lange andauernde Unterdrückung der Kirche in diesem mittelamerikanischen Land schien ein Ende zu nehmen, als 1929 die mexikanische Regierung unter Präsident Portes Gil einen Modus vivendi versprach, dem auch Rom zustimmte. Dennoch flammte die Verfolgung bald wieder auf und vertrieben einzelne Bundesstaaten alle katholischen Priester. Als der englische Schriftsteller und Konvertit Graham Greene Mexiko bereiste, erlebte er diese Situation, die er in seinem Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ schilderte.

Verfolgung seit 150 Jahren

Seit der Unabhängigkeit Mexikos, das nach kurzer Zeit unter einem Kaiser 1823 Republik wurde, ist die Geschichte des Landes von Wirren und Bürgerkriegen geprägt. Allein bis zur Erschießung des Habsburgers Maximilian als Kaiser von Mexiko 1867 erlebte der mittelamerikanische Staat 36 Verfassungen und 72 Staatsoberhäupter. Obgleich im Kampf für die Unabhängigkeit gegen Spanien auch Geistliche wie der Kreole Miguel Hidalgo (erschossen 1811) und der Mestize J. M. Morelos (erschossen 1815) ihr Leben ließen, setzten sich liberale, antikirchliche freimaurerische Politiker durch. Bereits 1822 wurde das kirchliche Eigentum der Indianermissionen verstaatlicht, 1833 der Klerus von den öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Seit 1857 kann man von Verfolgung und versuchter Vernichtung der Kirche sprechen: Das Kirchengut wurde beschlagnahmt, Kirchen und Klöster geplündert. 1874 wurden die kirchlichen Feiertage abgeschafft, geistliche Kleidung und religiöse Feiern außerhalb der Kirche waren verboten.

Unter Präsident Porfirio Diaz erholte sich die Kirche bis 1911 wenigstens etwas, weil einige Orden zurückkehren durften und sich der Klerus reorganisierte. Unter Francisco Madero (1911-1913) konnten sogar eine katholische Nationalpartei und verschiedene katholische Verbände gegründet werden, ehe in den folgenden Jahren mit neuem Bürgerkrieg das Land an den Rand des Unterganges kam. Als sich durch Unterstützung des amerikanischen Präsidenten Wilson 1915 Venustiano Carranza als Präsident durchsetzte, verbot dieser in der „Verfassung von Queretaro“ das Studium in geistlichen Anstalten, ebenso den Zölibat und das Ordenswesen sowie alle gottesdienstlichen Handlungen außerhalb der Kirche. Alle Priester wurden von ihren staatsbürgerlichen und politischen Rechten ausgeschlossen. Die einzelnen Bundesstaaten hatten das Recht, die Zahl der Priester zu bestimmen. 1919 setzte zwar Carranza diese Bestimmungen als „unzeitgemäßen Fanatismus“ außer Kraft, aber nach seinem Tode 1920 flammte der Kulturkampf wieder auf, um unter Präsident Plutarco Elias Calles wieder zur brutalen Verfolgung zu werden. Als 1926 die mexikanischen Bischöfe einen Hirtenbrief gegen diese Verfolgung erließen, verschärfte Calles noch alle Maßnahmen. Allein im Jahre 1926 wurden über 100 Priester getötet. Gegen den Willen der Bischöfe kam es in manchen Landesteilen zu Aufständen der Bevölkerung gegen die Regierung, was zu noch mehr Repressalien führte.

Zahlreiche Märtyrer

Die Zahl der mexikanischen Märtyrer jener Jahre ist groß. Unter den über 5000 Opfern sind 300 Priester. Ihr Zeugnis ist heute vergessen. Einige seien genannt: Als Opfer des Beichtgeheimnisses wurde am 29. Januar 1927 der Priester Mateo Correa in Durango erschossen, im Februar des gleichen Jahres Pfarrer Miguel Dias in Autlan erhängt. In Michoacan tötete man den Priester Miguel Guizir wegen Spendung der Krankensalbung. Seminaristen wurden gefoltert, gehängt, erschossen, zu Tode gemartert, Priester erstochen und verbrannt, Sakristane hingerichtet, weil sie die Verstecke der Priester nicht verrieten.

Das Schicksal von Michael bzw. Miguel Agustin Pro spiegelt die leidvolle Geschichte jener Zeit. Im Jahre 1891 als drittes Kind von elf Geschwistern geboren, trat er als 20-Jähriger bei den Jesuiten ein, aber da das Kloster geschlossen wurde, musste er sein Studium im Ausland fortsetzen. 1925 wurde er zum Priester geweiht, doch es stellten die Ärzte auch eine unheilbare Magenerkrankung fest. Als Pro 1926 nach Mexiko zurückkehrt, tobt der Kirchenkampf. Trotz des Verbotes der Sakramentenspendung arbeitet er als Priester und lässt sich auch durch zweimalige Verhaftung nicht abschrecken. Nach einem versuchten Anschlag auf den Präsidenten wird Pater Pro verhaftet und als Unschuldiger zum Tode verurteilt. Er ruft vor der Erschießung „Viva Cristo Rey!“ (Es lebe Christus der König) und breitet seine Arme aus wie Christus am Kreuz. Seine einzige Schuld war sein Priesteramt.

Ein kurzer Modus vivendi von 1929 ermöglichte die Rückkehr der Bischöfe und Zulassung von Priestern, so dass in beschränktem Maße wieder Gottesdienste möglich waren. Aber schon 1931 begann die Regierung von neuem mit Übergriffen und 1934 mit erneuter Ausweisung aller Bischöfe. „Die Kirchenverfolgung in Mexiko nach bolschewistischen Grundsätzen und Methoden vollzog sich unter Mitwirken des Kommunismus, der Freimaurerei, der protestantischen Sekten Mexikos, vor allem aber unter dem Schutz des Totschweigens bzw. der Verleumdung seitens der liberalen Weltpresse und zivilisierten Welt“, musste dazu die Kirche feststellen.

„Die Kraft und die Herrlichkeit“

Durch den Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ von Graham Greene ist nach dem Zweiten Weltkrieg diese Verfolgung noch im Bewusstsein Europas gewesen. Auch in seinen autobiographischen Skizzen mit dem Titel „Fluchtwege“ und dem Buch „Gesetzlose Straßen“ schildert Greene persönliche Eindrücke „von einem kleinen Teil Mexikos zu einer bestimmten Zeit, dem Frühjahr 1938, kurz nachdem das Land durch Präsident Calles – im Namen der Revolution – die wütendsten Glaubensverfolgungen erlitten hatte, die es in der Welt seit der Regierungszeit Elisabeth I. gegeben hatte. In Tabasco und Chiapas schwebten die Verfolgungen noch weiter“. Wie der Autor feststellt, ahnte er „auch nach meiner Heimkehr … noch nicht, daß aus meinen Erfahrungen ein Roman, ‚Die Kraft und die Herrlichkeit‘, hervorgehen würde“. Das Material für seinen Roman sammelte sich in Begegnungen jener Reise an, „nicht ohne Erschöpfung, Schmerzen oder sogar Furcht“. Greene erlebte, dass in Tabasco alle Kirchen zerstört waren. In Las Casas standen sie noch, aber es war „keinem Priester erlaubt, sie zu betreten, und da es in der Karwoche war, zelebrierten die Indianer aus den Bergen seltsame Gottesdienste. Sie suchten sich an das zu erinnern, was man sie gelehrt hatte – Brocken seltsam ausgesprochenen Lateins und merkwürdige, unkanonische Gebärden“. Der Autor hatte „mit eigenen Augen gesehen, mit welcher Inbrunst die Bauern in den priesterlosen Kirchen beteten, ich hatte an Meßopfern in Dachräumen teilgenommen, bei denen man aus Angst vor der Polizei die Sanctusglocke nicht zu läuten wagte“. Obgleich das Buch seinen Verfasser mehr befriedigte als jedes andere – und Graham Greene hat viele Bücher geschrieben – musste es zehn Jahre auf seinen Erfolg warten. Dieser kam erst mit der französischen Ausgabe, für die François Mauriac eine Einleitung schrieb. Allerdings wurde das Buch auch von ängstlichen Katholiken angefeindet, und zweimal versuchten französische Bischöfe, es in Rom auf den Index der verbotenen Bücher zu setzen. Sein Inhalt ist auch durch eine Hollywood-Verfilmung bekannt: Das Schicksal des letzten katholischen Priesters in einem der mexikanischen Bundesstaaten, sein langjähriges Versteckspiel vor der Polizei, aber auch seine menschlichen Schwächen. Sein Gegenspieler ist ein fanatischer Polizeileutnant, der ihn schließlich hinrichten lässt. Die große Schriftstellerin Gertrud von le Fort lobte das Buch, weil es uns die Unzerstörbarkeit der priesterlichen Weihe vor Augen hält.

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