4. Oktober 2017 in Interview
Ex-FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg zu den Folgen der Bundestagswahl, zu den Koalitionsverhandlungen (Ich bin sehr skeptisch) und zur AfD im Bundestag: Tabubrüche Das war bei den Grünen 1983 nicht anders. KATH.NET-Interview von Petra Lorleberg
Berlin (kath.net/pl) Große Koalitionen stärken die Ränder. In diesem Fall war es vor allem der rechte Rand. Eines wird gern übersehen: AfD und Linke sind von jedem Fünften gewählt worden. Das erläutert der Publizist und frühere Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Hugo Müller-Vogg, im Interview mit KATH.NET, im Blick auf die Ergebnisse der Wahl zum Deutschen Bundestag.
Der bekannte Journalist gilt als profunder Politikkenner. Sein derzeit jüngstes Buch ist ein Interviewband mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
kath.net: Wer sind denn nun wirklich die Gewinner und wer die Verlierer dieser Wahl?
Hugo Müller-Vogg: Das liegt ja auf der Hand: FDP und AfD sind die großen Gewinner, CDU/CSU und SPD die großen Verlierer. Grüne und Die Linke freuen sich über minimale Zugewinne. Sie haben bis heute nicht bemerkt, dass die Wähler von ihrer Oppositionspolitik seit 2013 nicht viel gehalten haben.
kath.net: Welche Folgen wird das Wahlergebnis in der Union nach sich ziehen?
Müller-Vogg: Mit ihren 41,5 Prozent vor vier Jahren konnte Angela Merkel alle Diskussionen über den Kurs der sozialdemokratisierten CDU abwehren. Das geht jetzt nicht mehr. Der CDU stehen heftige Richtungsdebatten bevor. Bei der CSU geht es darum, dass Seehofers Zick-Zack-Kurs mal heftige Kritik an Merkel, mal innige Umarmung das Profil der Partei als kantig-konservatives Korrektiv zur CDU massiv beschädigt hat. Horst Seehofer ist nicht mehr der starke Mann, auf dessen Kommando die ganze CSU hört.
kath.net: Martin Schulz kündigte die schwarz-rote Koalition auf. Hat die große Koalition zur Radikalisierung der politischen Landschaft beigetragen?
Müller-Vogg: Das Ergebnis entspricht haargenau den politischen Lehrbüchern: Große Koalitionen stärken die Ränder. In diesem Fall war es vor allem der rechte Rand. Eines wird gern übersehen: AfD und Linke sind von jedem Fünften gewählt worden. Die Ränder werden breiter und fransen aus.
kath.net: Was erwarten Sie, falls eine Jamaika-Koalition entsteht? Und: Welche Richtung wird die Flüchtlingspolitik nehmen?
Müller-Vogg: Ich bin sehr skeptisch, ob es zu Jamaika kommt. Meine Phantasie reicht nicht aus, um mir einen glaubwürdigen Kompromiss zwischen möglichst offenen Grenzen und einer Obergrenze vorzustellen.
kath.net: Wie sehen Sie die Zukunft der Linken?
Müller-Vogg: Falls es zu Jamaika kommen sollte, darf sich Die Linke auf eine Annäherung der SPD an ihren radikaleren Kurs freuen. Ihre Rolle als Protestpartei hat Die Linke längst eingebüßt. Wer es denen da oben mal richtig zeigen will, der wählt die AfD.
kath.net: Was kommt mit der AfD im Bundestag konkret auf uns zu?
Müller-Vogg: Die AfD ist eine reine Protestpartei, hat auf wichtigen Politikfeldern zum Beispiel in der Rentenpolitik keine Konzepte. Wir werden erleben, dass die parlamentarischen Repräsentanten der Wutbürger und Wutwähler die Altparteien im Bundestag ständig zu provozieren versuchen. Sie werden auch mit völkischen und nationalistischen Tönen ganz gezielt Tabubrüche begehen. Das alles war bei den Grünen 1983 nicht anders. Ich hielte es für kontraproduktiv, die AfD durch Geschäftsordnungs-Tricks in ihren parlamentarischen Rechten zu beschneiden.
kath.net: Frauke Petry hat ihren AfD-Austritt erklärt. Ein zweiter Fall Lucke? Oder gibt es Unterschiede?
Müller-Vogg: In der AfD-Bundestagsfraktion dürfte sich wiederholt, was in den meisten AfD-Landtagsfraktionen der Fall ist: Streit, Intrigen, Austritte, Abspaltungen. Frauke Petry wird dabei wohl keine wesentliche Rolle spielen. Anders als bei Lucke geht es der politischen Zugewinn-Gemeinschaft Petry-Pretzell mehr um Selbstdarstellung als um Inhalte.
kath.net: Die Rolle der Medien in Bezug auf die AfD wird hier und da kritisiert. Teilen Sie die Meinung, dass die Medien durch diese oder jene Art von Berichterstattung unabsichtlich der AfD genutzt haben?
Müller-Vogg: Die Medien haben es nicht einfach: Neue Parteien kann man nicht einfach totschweigen, nur weil sie einem politisch nicht zusagen. Zugleich ist für eine neue Kraft auf dem politischen Parkett jede Berichterstattung wertvolle Werbung, selbst kritische Berichte helfen einem Newcomer. Mich stört, wie leichtfertig viele Medien für die AfD Begriffe wie Nazis oder Rechtsextreme verwenden. Ich halte die AfD für eine chaotische Mischung aus Konservativen, Rechtspopulisten, Rechtsradikalen, Völkischen und auch Rechtsextremen. Diese Truppe aber pauschal als Nazis zu bezeichnen, verniedlicht die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten. Und je mehr die etablierten Medien die AfD verteufeln, umso mehr bestärken sie deren Anhänger, dass die neue Partei die einzige und wahre Opposition ist.
kath.net-Buchtipp
Endspurt
Wie Politik tatsächlich ist - und wie sie sein sollte. Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen
Von Wolfgang Bosbach
Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg
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Phoenix - Hugo Müller-Vogg und andere zu Gast im Presseclub - ´Zwischen Willkommenskultur und Abschottung: Wie bewältigen wir den Flüchtlingsandrang´
Foto © Hugo Müller-Vogg
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