Durch Nichtbeteiligung an einer Wahl gewinnen wir nichts

19. September 2017 in Kommentar


Warum sollte ich am 24. September Feiglingen und Anpassern meine Stimme geben?“ - Diakrisis am Dienstag von Sebastian Moll


Linz (kath.net)
Mein Leben lang habe ich mich immer auf Wahlen gefreut, sie waren für mich meist spannender als die großen Sportereignisse. Andere fiebern mit ihrer Lieblingsmannschaft mit, ich mit meiner Lieblingspartei. Und das Beste: Ich darf sogar mitspielen! Meine Handlung hat Einfluss auf den Ausgang des Spiels – wenn auch nur einen kleinen. Aber bei dieser Wahl ist alles anders. Einen so starken politischen Verfall wie in den letzten vier Jahren habe ich noch nicht erlebt. Ja, wir befinden uns in einer Zeit des gesellschaftlichen Niedergangs, daran kann kein Zweifel bestehen. Wählen macht keinen Spaß mehr. Der Kabarettist Vince Ebert beschrieb es kürzlich wie folgt:
„Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Landes- und Bundespolitiker aus allen politischen Lagern kennengelernt.

Die meisten von ihnen hatten unter vier Augen durchaus konstruktive und vernünftige Meinungen und Lösungsvorschläge zu den drängendsten Problemen. Nicht selten haben mir einige sogar durch die Blume gesagt, dass sie die offizielle Richtung ihrer Partei zu vielen Themen eigentlich nicht gutheißen. Und ich spreche hier von wirklich fundamentalen Themen wie Griechenland-Rettung, Energiewende oder Flüchtlingskrise. Umso erstaunter war und bin ich, dass sich der allergrößte Teil ebendieser Volksvertreter aus Angst vor Machtverlust, Furcht vor Widerspruch oder Opportunismus in vielen Abstimmungen und Gesetzesvorlagen dann plötzlich genau ‚auf Linie‘ verhält. Das betrifft, wie schon gesagt, Mitglieder aus allen politischen Richtungen. Die frustrierende Frage, die ich mir nun stelle: Warum sollte ich am 24. September Feiglingen und Anpassern meine Stimme geben?“

Tatsächlich sind derartige Erfahrungen auch für mich stets die frustrierendsten gewesen. Menschen, die es nicht besser wissen, kann man mit einem gewissen Wohlwollen begegnen. Aber für Opportunisten und Feiglinge habe ich nur Verachtung übrig. Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Vince Ebert auf seine Frage zu antworten, warum er seine Stimme abgeben sollte.

Viele Nichtwähler glauben, sie würden durch ihren Wahlverzicht eine Art Boykott ausüben. Leider handelt es sich hierbei um einen fatalen Irrtum. Der Begriff ‚Boykott‘ geht auf den britischen Gutsverwalter Charles Cunningham Boycott (1832-1897) zurück, der allerdings nicht der erste Boykottierer, sondern er erste Boykottierte war. Seither wird mit diesem Wort ein organisiertes Vorgehen bezeichnet, bei dem Druck auf eine Person, eine Gruppe oder eine Institution ausgeübt wird, indem diese vom regelmäßigen Geschäftsverkehr ausgeschlossen wird. Wenn beispielweise ein bestimmtes Unternehmen aufgrund seiner Geschäftsmethoden (Korruption, Ausbeutung, Umweltverschmutzung etc.) Ziel eines Boykottaufrufs wird und sich genügend Menschen diesem Boykott anschließen, so ist besagtes Unternehmen früher oder später gezwungen, seine Geschäftsmethoden zu ändern. Einen ähnlichen Effekt erhoffen sich viele Nichtwähler von ihrem Wahlboykott. Sie empfinden die ‚Geschäftsmethoden‘ der Politiker als kritikwürdig – und, wie oben beschrieben, zu Recht! Die Frage ist: Würden Politiker ihre Verhaltensweisen ändern, wenn weniger Menschen zur Wahl gingen? Die Antwort lautet: Nein!

Der Grund dafür ist, dass Politiker sich nicht für die absolute Zahl von Wählerstimmen interessieren, sondern nur für ihren jeweiligen Teil vom Kuchen. Die Zahl der Sitze einer Partei im Deutschen Bundestag hängt einzig und allein von dem prozentualen Anteil an Wählerstimmen ab. Selbst wenn sich die Wahlbeteiligung gegenüber der letzten Wahl halbieren würde, wäre das den Politikern herzlich egal. Ja, es gäbe einige besorgte Mienen zu sehen und salbungsvolle Worte über den Wert der Demokratie zu hören. Aber am Ende bevorzugt jede Partei 40% von 30 Millionen Wählern gegenüber 20% von 60 Millionen. In den USA liegt die Wahlbeteiligung – rechnet man alle nicht registrierten Wahlberechtigten heraus – seit Jahren bei unter 40%. Hat dies irgendwelche Auswirkungen auf das System? Donald Trump wurde nur von etwa jedem Fünften Amerikaner gewählt. Aber Präsident ist er trotzdem, mit allen dazugehörigen Vollmachten.

Zeiten des Verfalls hat es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben. Als die römische Republik vor ihrem Ende stand, lehnte es der integre Cato ab, sich der neuen Bewegung des Diktators Caesar anzuschließen. Mit einer stoischen Sentenz stürzte er sich in sein Schwert, zog den Freitod der Anpassung vor. In gewisser Weise ist die Verweigerung, seine Stimme abzugeben, so etwas wie der Freitod des modernen Wählers. Man mag ihn für ehrenhaft halten, konstruktiv ist er nicht. Wir alle müssen mit unserem demokratischen System leben, durch Nichtbeteiligung gewinnen wir nichts. Im Übrigen gilt noch immer die Weisheit des großen Winston Churchill: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von allen anderen.“


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