Der 'Kampfbund Satans'?

27. Juni 2017 in Kommentar


Maximilian Kolbe und der 300. Geburtstag der Freimaurerei. Bestätigt ein Dokument aus dem Vatikanarchiv die Sorge des Heiligen? Gastbeitrag von Michael Hesemann


Vatikan (kath.net) Hunderte Freimaurerlogen auf der ganzen Welt feierten vor wenigen Tagen mit Konzerten, Festakten, Vorträgen und Ausstellungen den 300. Geburtstag ihrer Bewegung. Am 24. Juni 1717, dem Johannestag, trafen sich in London Vertreter von vier alten Freimaurerlogen im Hinterzimmer des Pubs „Goose and Gridiron Ale House“ (wörtlich: „Gans und Grill Bierhaus“) zur Gründung der „Vereinigten Großloge von England“, die zugleich die erste Großloge der Welt war.

Unklar sind die Ursprünge der Freimaurerei. Während sie selbst den Anspruch erhebt, aus der Bauhütte des Salomonischen Tempels hervorgegangen zu sein, ist eher eine Entstehung aus den Maurerzünften des Mittelalters wahrscheinlich. Zum ersten Mal finden wir den Begriff „Free Masons“ in Dokumenten der Kathedrale von Exeter aus dem Jahre 1396. 1537 nannte sich eine Maurergilde in London „Free Masons“, was von „Freestone Masons“ abgeleitet wird; sie waren, im Gegensatz zu den „Roughstone Masons“, für die feineren Arbeiten am Bau zuständig. Ähnliche Steinmetzbruderschaften gab es wohl seit dem 11. Jahrhundert auch auf dem europäischen Festland. Sie bildeten eine verschworene Gemeinschaft, die ihr technisches Wissen eifersüchtig vor Konkurrenten hütete.

Doch erst in England wurden die Bauhütten offenbar zum Auffangbecken für Anhänger gnostischer Sekten, vielleicht Nachkommen der manichäischen Katharer, die vor der Verfolgung in Kontinentaleuropa auf die britischen Inseln geflüchtet waren. 1737 wurde die erste deutsche Loge gegründet, zuvor hatte sich die Freimaurerei bereits in Frankreich und, ab 1733, in Italien ausgebreitet, wo sie zum Sammelbecken für antiklerikale Kräfte innerhalb der Aufklärung wurde.

Das veranlasste Papst Clemens XII. in seiner Bulle „In eminenti apostolatus specula“ 1738 die Freimaurerei mit dem Bannfluch zu belegen. Bis heute ist es Katholiken bei Strafe der Exkommunikation untersagt, einer Loge beizutreten.

Obwohl nachweisbar ranghohe Freimaurer an der amerikanischen und französischen Revolution sowie der italienischen Unabhängigkeitsbewegung beteiligt waren, wird jede Darstellung ihrer Rolle in der Gestaltung der Geschichte schnell in den Bereich der Verschwörungstheorien verbannt. Auch offene Kampfansagen gegen Papst und Kirche relativiert man gerne.

Dass man sich aber einst in höchsten politischen und kirchlichen Kreisen Sorgen um den Einfluss der Logen machte, zeigt exemplarisch ein Dokument, das ich im vatikanischen Geheimarchiv in den Akten der Münchener Nuntiatur entdeckte. Dabei handelt es sich um einen handschriftlichen Brief des damaligen Kölner Erzbischofs Felix Kardinal von Hartmann an den apostolischen Nuntius in München, Erzbischof Eugenio Pacelli (den späteren Papst Pius XII.) vom 8. November 1918. Kardinal von Hartmann, der einer alten Beamtenfamilie entstammte, war ein persönlicher Freund des deutschen Kaisers Wilhelm II. Dieser aber, so schrieb Hartmann, sei jetzt „in großer Besorgnis“. Ein kaisertreues Mitglied der Berliner Großloge habe den Monarchen über die Pläne des freimaurerischen Groß-Orients informiert, „zunächst alle Souveräne“, auch den deutschen Kaiser, abzusetzen, „dann die katholische Kirche zu vernichten und schließlich eine Weltrepublik unter Führung des amerikanischen Großkapitals auf den Trümmern der bisherigen bürgerlichen Gesellschaft aufzurichten… Der Bolschewismus solle das äußere Werkzeug sein, die gewünschten Zustände herzustellen.“

Die Gefahr, in der Europa damals schwebte, begriff keiner besser als der heilige Maximilian Kolbe (1894-1941), dessen Militia Immaculatae (heute auch: Marianische Initiative) vor genau hundert Jahren gegründet wurde. Kolbe, Sohn eines deutschstämmigen Webers und einer polnischen Mutter, war 1910 nach einer Marienerscheinung in den Franziskanerorden eingetreten. Als er 1917 in Rom Theologie studierte, wurde er Zeuge der 200-Jahrfeier der Freimaurer, die in einer satanistischen Prozession zum Petersplatz gipfelte. Die Logenbrüder trugen ein Banner mit der Aufschrift „Satan muss im Vatikan regieren und der Papst sein Sklave sein“, das den Erzengel Michael in den Klauen des Dämons zeigte. Dazu sangen sie die Satanshymne des italienischen Dichters, Freimaurers und Literatur-Nobelpreisträgers Giosué Carducci: „Der Wind trägt Deinen immer lauter werdenden Ruf: Das Neue Zeitalter dämmert, Deine Zeit ist gekommen. Und schon erzittern Mitren und Kronen, in den Klöstern erwacht die Rebellion.“ Erschüttert von dem blasphemischen Spektakel beschloss Kolbe, zusammen mit sechs Mitbrüdern, gegen den „Kampfbund Satans“, die Freimaurerei, eine marianische Ritterschaft ins Leben zu rufen. So hob er am 16. Oktober 1917, nur drei Tage nach der letzten Erscheinung und dem spektakulären Sonnenwunder von Fatima und neun Tage vor dem Ausbruch der Oktoberrevolution in St. Petersburg, die „Ritterschaft der Immaculata“ aus der Taufe. Ihr Ziel war, durch das tägliche Gebet, das Tragen und die Verbreitung der „Wundertätigen Medaille“ und die Hingabe an die Gottesmutter die Bekehrung aller Häretiker und Schismatiker, vor allem der Freimaurer, zu erflehen. 1918 segnete Papst Benedikt XV. diese Initiative, die 1927 den kirchenrechtlichen Status einer „Erzbruderschaft“ erhielt. Zurück in Polen gründete Maximilian Kolbe in Niepokalanów ein katholisches Pressehaus, das auf einer Missionsreise nach Japan 1930 seinen ersten überseeischen Ableger bekam. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen 1939 gewährte der Pater 2300 Juden und zahlreichen polnischen und ukrainischen Katholiken in seinem Missionszentrum Zuflucht. Als die Nazis das 1941 entdeckten, wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Dort sprang er ein, um einen unschuldigen Familienvater vor seiner Hinrichtung zu bewahren und starb nach vierzehntägiger Qual im berüchtigten „Hungerbunker“ des Lagers durch eine Giftspritze. Der Ritter der Gottesmutter wurde zum Märtyrer und gilt heute als einer der größten Heiligen des 20. Jahrhunderts. Das neu entdeckte Dokument scheint seine große Sorge über den Einfluss der Freimaurerei zu bestätigen. Die geschichtliche Entwicklung der Jahre 1917/18 lassen seine Prognosen als realistisch erscheinen.

Der Eintritt Russlands in den Ersten Weltkrieg 1914 hatte das Schicksal des Zarenreiches besiegelt. Eine Reihe militärischer Niederlagen, die schlechte Versorgung der Truppen, die zunehmende Lebensmittelknappheit im Lande selbst erschütterten das Vertrauen in den Zaren und führten den lautstarken Parolen der Bolschewisten immer breitere Bevölkerungsgruppen zu. Als Zar Nikolaus II. schließlich den Befehl erteilte, auf sich erhebende Truppenteile zu schießen, unterschrieb er, ohne es zu wissen, sein eigenes Todesurteil. Am 8. März 1917 kam es zu Streiks und Unruhen in St. Petersburg. Statt dem Befehl des Zaren zu folgen, verbündete sich die St. Petersburger Garnison mit den Arbeitern zur »Februarrevolution«, die am 12. März eine »provisorische Regierung« an die Macht brachte und den Zaren am 15. März zur Abdankung zwang. Zusammen mit seiner Familie wurde Nikolaus II. gefangen genommen. Am 16. April kehrte der Bolschewistenführer Vladmir Iljitsch Lenin in einem verplombten Eisenbahnwaggon aus dem schweizer Exil zurück – unter tatkräftiger Hilfe und großzügiger Unterstützung des Freimaurers Alexander Parvus und der Deutschen, die dabei ganz nach dem Motto »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« handelten. Durch flammende Reden gelang es ihm, in Russland genügend Unterstützung für den entscheidenden Schritt zur Macht zu gewinnen. Am 6./7. November 1917 putschten die Bolschewisten mit dem Militär auf ihrer Seite in St. Petersburg, ihre Arbeiter- und Soldatenräte (Sowjets) übernahmen die Macht. Die Folge war ein blutiger dreijähriger Bürgerkrieg, bei dem über 13 Millionen Menschen ums Leben kamen. Der Zar, Lenins Erzfeind, und seine Familie wurden nach Jekaterinenburg gebracht, wo man sie am 17. Juli 1918 vor ein Erschießungskommando stellte. Doch der Tod des Zaren beendete nicht den Blutrausch der neuen bolschewistischen Herrscher. Eines seiner prominentesten Opfer wurde die orthodoxe Kirche. Am 20. Januar 1918 erklärte der Oberste Sowjet »die Trennung von Staat und Kirche, die Konfiszierung der Besitztümer der Kirche und die Aufhebung ihrer Rechte«. Die »Konfiszierung der Besitztümer der Kirche« beinhaltete die Beschlagnahmung von Sakralgegenständen, zu deren Herausgabe natürlich kein Gottesmann bereit war, was zu einem massenhaften Martyrium führte.

Während in Russland die Oktoberrevolution wütete, tobte an der Westfront ein zermürbender Stellungskrieg, den keine Seite gewinnen konnte. Als die deutsche Reichsregierung versuchte, einen Waffenstillstand mit US-Präsident Wilson auszuhandeln, kam es am 28. Oktober 1918 zu einer Meuterei der deutschen Hochseeflotte, gefolgt von einem Matrosenaufstand in Kiel, der bald auch auf andere Städte übergriff. Eine Woche später tobte die Revolution in München und Berlin: Kaiser Wilhelm II. war gezwungen, abzudanken, der Sozialdemokrat und mutmaßliche Freimaurer Philipp Scheidemann rief die Republik aus. Am 11. November 1918 wurde der Waffenstillstand von der neuen deutschen Regierung unterzeichnet. Der Krieg, der acht Millionen Todesopfer gefordert hatte, war zu Ende. Am selben Tag wurde Kaiser Karl von Österreich von Ministern seiner Regierung gedrängt, einen Verzicht auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften zu unterschreiben. Dabei hatte sich gerade der sel. Kaiser Karl, inspiriert durch den Friedensappell Benedikts XV. um einen Separatfrieden bemüht. Zudem hatte er den uneingeschränkten U-Boot-Krieg ebenso abgelehnt wie die Bombardierung ziviler Ziele, was zu immer größeren Differenzen mit dem Reich geführt hatte. Da er sich weigerte, auf die Krone zu verzichten, wurde er 1919 offiziell des Landes verwiesen; zuvor war er auf Drängen der österreichischen Regierung in die Schweiz geflohen. Mit dem erzwungenen Amtsverzicht der drei Kaiser war zumindest der erste Schritt des oben erwähnten Freimaurer-Planes realisiert worden.

Als sehr viel widerstandsfähiger erwies sich dabei die „zum Tode verurteilte“ katholische Kirche, die, im Gegenteil, in der Weimarer Republik eine neue Blüte erlebte; erst den Nazis gelang es, ihren gesellschaftlichen Einfluss massiv zurückzudrängen. Der Bolschewismus dagegen verfehlte sein Ziel in Westdeutschland wie in Spanien, ging aber in ganz Osteuropa massiv gegen die christlichen Kirchen vor, bis erst die Wahl eines polnischen Papstes das Selbstbewusstsein der Gläubigen massiv stärkte und zum Kollaps des kommunistischen Riesenreiches führte. Vielleicht trug diese frühe Warnung aber dazu bei, dass Pius XII. (1938-1958) als Papst in den Nachkriegsjahren die Ausbreitung des Kommunismus in Europa mit größter Sorge verfolgte, nachdem der noch gefährlichere Nationalsozialismus 1945 besiegt worden war.

Wie weit wir heute, 98 Jahre später, von der avisierten „Weltrepublik unter Führung des amerikanischen Großkapitals“ entfernt sind, mag jeder selbst beurteilen. Das „Transatlantische Freihandelsabkommen“ TTIP hätte die Welt diesem Ziel gewiss um einen gewaltigen Schritt näher gebracht. Insofern wirkt das Dokument aus dem Jahre 1918 geradezu prophetisch. Doch es schildert nicht die Visionen eines Sehers, sondern zitiert einen angeblichen Plan. War also ein solcher Plan des freimaurerischen Groß-Orients die Blaupause für die Geschichte Europas im 20. und frühen 21. Jahrhundert? Das wäre gewiss eine Simplifizierung, wie jede Verschwörungstheorie. Nicht bestritten aber werden kann, dass die Freimaurerei vor fast hundert Jahren plante, was sich nachfolgend auf geradezu unheimliche Weise bewahrheitete. Das wiederum würde bedeuten, dass ihre Rolle in der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht unterschätzt werden darf und dass die Warnung der Kirche vor der Geheimgesellschaft zumindest damals nicht ganz unberechtigt war.

Das Hartmann-Dokument im Original-Wortlaut:

„Der Erzbischof von Cöln
Cöln, den 8. November 1918
Exzellenz!

Se(ine) Majestät der Kaiser läßt mir soeben mittheilen, daß nach ihm gestern zugegangenen Nachrichten der Groß-Orient beschlossen habe, zunächst alle Souveräne, in erster Linie ihn, den Kaiser, abzusetzen, dann die Kathol. Kirche zu vernichten (?), den Papst zu internieren etc. und schließlich eine Weltrepublik unter Führung des amerikanischen Großkapitals auf den Trümmern der bisherigen bürgerlichen Gesellschaft aufzurichten. Die deutschen Freimaurer seien dem Kaiser treu (was sehr zu bezweifeln ist!) und hätten ihn das wissen lassen.
Auch England wolle die bisherige bürgerliche Ordnung aufrecht erhalten. Frankreich und America aber ständen ganz unter der Herrschaft des Großorients. Der Bolschewismus solle das äußere Werkzeug sein, die gewünschten Zustände herzustellen. Bei der großen Gefahr, die außer der Monarchie auch der katholischen Kirche drohe, sei es nothwendig, daß der deutsche Episkopat hierüber informiert sei und daß auch der Papst gewarnt werde.“ Soweit die Mittheilung von Sr. Majestät.

Ich habe geglaubt, verpflichtet zu sein, sie Euerer Excellenz zur Kenntniß zu bringen, und muß (Eurem) weisem Ermessen überlassen, ob Sie die Mittheilung nach Rom weiter geben wollen. Das stürmische Verlangen der Sozialdemokraten, der Kaiser solle abdanken, gibt der Nachricht eine gewisse Bestätigung. Gott schütze uns und seine hl. Kirche in diesen furchtbaren Wirren! (…)

In ausgezeichneter Verehrung
Euer Excellenz ergebener
Felix Card. de Hartmann.“
(A.S.V., Arch. Nunz. Monaco d.B. 342, fasc. 13, p. 95-96)

Michael Hesemann studierte Geschichte und Kulturanthropologie an der Universität Göttingen, lebt heute in Düsseldorf und Rom und hat bereits viele Bücher veröffentlicht. Als Historiker ist er für die amerikanische „Pave the Way Foundation“, den Malteser-Orden und die Gustav-Siewerth-Akademie tätig. Im Jahre 2009 erhielt er die Genehmigung, im vatikanischen Geheimarchiv zu forschen. Für seine Entdeckungen zum Völkermord an den Armeniern 1915-16 wurde ihm im Juni 2016 von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Republik Armenien die Ehrendoktorwürde verliehen.

Kölner Erzbischof Felix Kardinal von Hartmann schreibt 1918 an apostolischen Nuntius Erzbischof Eugenio Pacelli (später Papst Pius XII.)


Buchtipp
Völkermord an den Armeniern.
Mit unveröffentlichten Dokumenten aus dem Geheimarchiv des Vatikans über das größte Verbrechen des Ersten Weltkriegs
Von Michael Hesemann
Hardcover, 352 Seiten
2015 Herbig
ISBN 978-3-7766-2755-8
Preis 10.30 EUR

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