Gesinnungsdiktat für Privatschulen?

6. Juni 2017 in Kommentar


St. Galler Kantonsräte verschiedener Parteien fordern in einer Motion strengere Auflagen für Privatschulen. Sie wollen damit angeblich verhindern, dass Schüler an konfessionellen Schulen „gezielt indoktriniert“ werden. Gastbeitrag von Dominik Lusser


Winterthur (kath.net/www.zukunft-ch.ch) Im Kanton St. Gallen gibt es derzeit 29 Privatschulen mit einer offiziellen Bewilligung. Das
Volksschulgesetz macht die Erteilung einer Bewilligung von zwei Bedingungen abhängig: Erstens müssen die Privatschulen einen der öffentlichen Schule gleichwertigen, auf Dauer angelegten Unterricht gewährleisten. Zweitens müssen die obligatorischen Unterrichtsbereiche der öffentlichen Schule unterrichtet werden. Das Amt für Volksschule überprüft die Privatschulen regelmässig.

Manchen St. Galler Kantonsräten genügen diese Bestimmungen nicht. Im Kanton St. Gallen gäbe es Privatschulen, die zum Teil „religiös-fundamentalistischen Kreisen“ nahestünden, heisst es in einer Motion vom 25. April 2017. Zudem fehlten im Volksschulgesetz klare inhaltliche Vorgaben für den Unterricht an Privatschulen. Diese Lücke gelte es mit Blick auf einen weltanschaulich neutralen Unterricht zu schliessen. Bewilligungen für Privatschulen sollen demnach künftig nur noch erteilt werden, „wenn an der Privatschule keine religiöse bzw. weltanschauliche Beeinflussung stattfindet.“

Neutral heisst nicht gottlos

Wie weit zumindest einer der Motionäre die Freiheit von Privatschulen einschränken will, zeigen Aussagen von Max Lemmenmeier (SP). Dieser wirft laut Bericht des „St. Galler Tagblatts“ der Priesterbruderschaft St. Pius X. vor, an ihren Schulen die Evolutionstheorie abzulehnen und den Kreationismus zu lehren. Theorien, gemäss denen das Leben auf der Erde nur durch den Eingriff eines Schöpfergottes zu erklären ist, widersprechen laut Lemmenmeier den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Was die Piusbruderschaft an ihren Schulen aber tatsächlich vermittelt, ist kein wissenschaftsfeindlicher Kreationismus, sondern eine differenzierte Position zur Entstehung des Lebens.

Wie Pater Pirmin Suter, Rektor des Instituts Sancta Maria in Wangs und selbst studierter Biologe, gegenüber der „St. Galler Tagblatts“ erklärt, habe man im Bereich der Mikroevolution kein Problem mit Darwins Selektionstheorie. Doch im Bereich der Makroevolution könnten selbst Naturwissenschaftler einige Evolutionsschritte nicht plausibel erklären. So zum Beispiel der Übergang von der unbelebten Materie zu den Lebewesen. Hier müsse der Schöpfergott eine gewisse Rolle gespielt haben, ist Suter überzeugt. Es sei auch unwissenschaftlich, Gott kategorisch auszuschliessen. Es sind also keineswegs biblisch gestützte Glaubenssätze, sondern die Schwächen der Evolutionstheorie selbst, mit denen Suter und seine Mitbrüder gegen die Vollständigkeitsbehauptung rein naturalistischer Erklärungen des Lebens argumentieren.

Doch Lemmenmeier gibt sich damit keineswegs zufrieden. Gott habe in dieser Darstellung die Erde zwar nicht in sechs Tagen erschaffen, doch wirke er über einen längeren Zeitraum. Das laufe auf dasselbe hinaus. Der SP-Kantonsrat spricht gar von einer „knallharten ideologischen Indoktrination“. Es sei klar, dass dies nicht Teil der Schule sein könne.

Dass Gott nicht Gegenstand wissenschaftlicher Biologie sein kann, ist offensichtlich, und wird auch von niemandem bestritten. Die eigentliche Frage aber ist, ob biologische Theorien bzw. die Selbstorganisation der Materie in Interaktion mit Umwelteinflüssen tatsächlich genügt, um das Leben auf der Erde zu erklären. Der evolutive Übergang von unbelebter zu belebter Materie ist bisher tatsächlich von niemandem beobachtet oder experimentell beschrieben worden. Bei der Anwendung der darwinschen Erkenntnisse auf die Makroevolution handelt es sich darum auch nur um eine mehr oder weniger plausible Hypothese. Sie im Schulunterricht auszulassen wäre angesichts der Dominanz dieser Theorie im wissenschaftlichen Diskurs sicher unzulässig. Eine kritische Gegenüberstellung der Evolutionshypothese mit theologisch-philosophischen Erklärungen des Lebens ist hingegen ein gelungenes Beispiel für interdisziplinären Schulunterricht.

Auch ist es keineswegs so, dass sich Schöpfungsglaube und Evolutionsbiologie gegenseitig ausschliessen müssen; liegen doch die beiden Erklärungsansätze auf unterschiedlichen Ebenen. Während die Biologie der Frage nachgeht, wie sich Leben entwickelt, fragen Theologie und Philosophie nach der letzten Ursache, warum es überhaupt Seiendes gibt; oder auch nach einem zureichenden Grund, wie aus unbelebter Materie Leben entstehen kann. Die Behauptung, Leben und geistiges Bewusstsein seien nichts anderes als besonders komplex organisierte Materie, ist weltanschaulich alles andere als neutral. Lemmenmeiers Forderung, die Schule habe Gott als Erklärung des Lebens ganz auszuschliessen, würde den Biologieunterricht also letztlich den Prämissen einer rein atheistisch-materialistischen Weltanschauung unterwerfen. Die Schule täte dann genau das, was Lemmenmeier den Piusbrüdern vorwirft: Sie würde Schüler weltanschaulich indoktrinieren.

Kontroverse Diskussion

Das führt uns zur Frage, was mit der weltanschaulichen Neutralität der Schule sinnvollerweise überhaupt gemeint sein kann. Dürfte der Unterricht an öffentlichen Schulen überhaupt keine Werturteile beinhalten, müsste man sich dort auf die Vermittlung des Alphabets und des Einmaleins beschränken. Schon Geschichtsunterricht wäre dann nicht mehr vertretbar. Sexualkunde oder Genderfragen müssten erst recht komplett ins Private verlagert werden. Entscheidend für die staatliche Schule in einer pluralistischen Gesellschaft aber ist, dass die in der Gesellschaft vorhandenen unterschiedlichen Ansichten thematisiert und kontrovers diskutiert werden können.

Je nach Zusammensetzung der Klasse, aber auch je nach Lehrer, wird die kontroverse Diskussion unterschiedlich ausfallen. Das ist in einer freien Gesellschaft unter Menschen, die alle eine eigene Meinung haben dürfen, auch nicht anders zu erwarten. Manchmal ist es aber leider auch so, dass die kontroverse Diskussion zu kurz kommt oder gar nicht stattfindet. Wenn eine Schulklasse etwa durch das Schulprojekt „Comout“ der St. Galler Aids-Hilfe über das Thema Homosexualität aufgeklärt wird, ist eine einseitige, d.h. indoktrinäre Thematisierung vorhersehbar. Klassenbesuche von Personen, die für ihren homosexuellen Lebensstil werben, sollten darum unterbleiben. Gegebenenfalls aber müssten sie zumindest ausgewogen werden durch den Besuch eines Ehepaars, das gerade ein Kind erwartet und der Auffassung ist, dass menschliche Sexualität ohne die Komplementarität der Geschlechter weit hinter ihrem positiven Potential zurückbleibt.

Elterliches Erziehungsrecht

Staat und öffentliche Schulen sind verpflichtet, dem weltanschaulichen Pluralismus der Bürger Rechnung zu tragen, und den Schülern zu gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen keine bestimmte Moral aufzuzwingen. Diese Pflicht kann aber, und das scheint mir ganz zentral, nicht eins zu eins auf Privatschulen übertragen werden. Es ist legitim, wenn weltanschauliche Diskussionen an einer konfessionellen Privatschule nicht in der Weise offen geführt werden, wie das an staatlichen Schulen der Fall ist. Das bedeutet ja nicht, dass relevantes Wissen unterschlagen wird. Wohl aber, dass die Beurteilung mancher Phänomene anders ausfallen kann. Das ist ja gerade der Sinn der konfessionellen Privatschule. Weltanschauliche Beeinflussung wird dort zur Indoktrination, wo sie nicht sein darf; z.B. an öffentlichen Schulen und gegen den Willen der Eltern. Ansonsten ist weltanschauliche Beeinflussung legitimer Teil jeder Erziehung. Sie ist Ausdruck der elterlichen Freiheit, „die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen“ (UNO-Pakt zu den bürgerlichen Rechten, Art. 18).

Privatschulen werden ja von den Eltern in aller Regel gerade nach weltanschaulichen Gesichtspunkten ausgewählt. Eine Privatschule partizipiert somit in höherem Mass am elterlichen Erziehungssauftrag, als das bei der staatlichen Schule der Fall ist. Die Freiheiten der Privatschulen einzuschränken hiesse also letztlich, die Erziehungsfreiheit der Eltern zu beschneiden. Eine solche Absicht liegt allerdings weit weg vom Geist des St. Galler Schulgesetzes, wo es in Art. 3 heisst, dass die Volksschule „die Eltern in der Erziehung des Kindes zu einem lebensbejahenden, tüchtigen und gemeinschaftsfähigen Menschen“ unterstützt. Wer aber meint, Gemeinschaftsfähigkeit habe die Gleichschaltung im Denken zur Voraussetzung, hat von Demokratie und Toleranz nichts verstanden.

Die St. Galler Motion ist darum nichts als ein Ausdruck pauschaler Religionsfeindlichkeit, ja ein Schritt in Richtung eines schulischen Gesinnungsdiktats, das mit einer freiheitlichen pluralistischen Gesellschaft nicht vereinbar ist.


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