'Die Menschen haben die Nase voll von diesem Europa, weil…'

9. Mai 2017 in Kommentar


„… weil Leute wie Juncker, Barroso, Schulz, und die Macrons und Merkels dieses Europa zu dem Moloch gemacht haben, der er ist“. Doch die europäische Idee ist weiterhin wichtig. Gastkommentar von Susanne Wenzel


Köln (kath.net) Vor der Stichwahl in Frankreich am vergangenen Sonntag wurde wiederholt in den Medien der „europäische Geist“ beschworen und erklärt, Marine LePen dürfe unter gar keinen Umständen gewählt werden, weil sie Europa hasse und ihre Abneigung auch auf die Menschen übertragen wolle. Man muss kein Freund oder Unterstützer der Front National und ihrer Vorsitzenden sein, um zu erkennen, dass dies Unsinn ist.

Die Menschen haben die Nase voll von diesem Europa - und nicht von der europäischen Idee -, weil Leute wie Juncker, Barroso, Schulz, und die Macrons und Merkels dieses Europa zu dem Moloch gemacht haben, der er ist. Mit Kompetenzverlagerung nach Brüssel bis fast zum Letzten, mit Zulagen auf Zulagen und Zulagen für sich selbst, mit Rettungsschirmen, die die Existenz vieler bedrohen, mit einer geradezu beispiellosen Regelungswut (Rauchverbot, Glühbirnen etc.) und einer Währung, die auf Biegen und Brechen eingeführt wurde, kommen musste, weil jemand ins Buch der Geschichte wollte - obwohl er längst drin war. Eine gemeinsame Währung, von der man wissen musste, dass sie ohne eine gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik nichts Gutes bringen würde. Eine gemeinsame Währung, die zu übernehmen man auch Ländern erlaubte, die niemals die wirtschaftlichen Kriterien dafür erfüllen konnten. Auch das war bekannt. Man lächelte über das "creative accounting" der Italiener und Griechen, man lächelte darüber, dass auch Frankreich das Tafelsilber verhökert hatte, um die Kriterien zu erfüllen. Und selbst der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel war kurz davor. All das wurde wie ein Hasardeur-Stück regelrecht abgefeiert.

Es konnte jedem klar sein, es musste jedem klar sein, dass das niedrige Niveau der südeuropäischen Staaten nicht wachsen würde, sondern das reiche Nordeuropa mittelfristig herunterziehen würde. Indes, hören wollte es niemand. Stattdessen agierte man immer schneller, erweiterte den Wirtschafts- und Währungsraum geradezu blind.

In einem Aufruf 1998 forderten 155 Professoren die Verschiebung der Währungsunion und unterstützen - nachdem man ihre Fachkompetenz beiseite gewischt hatte - den Versuch der Professoren Wilhelm Hankel, Karl-Albrecht Schachtschneider, Joachim Starbatty und Wilhelm Nölling auf dem Klageweg die Einführung des Euro zu verhindern. Der zuvor verabschiedete Aufruf der Wirtschafts-Experten, die unter anderem forderten, dass Italien aus der Währungsunion herausgehalten werden sollte, wurde totgeschwiegen; heute wären das alternative Fakten, die diese Damen und Herren präsentiert haben.

Der europäische Geist, die europäische Idee entwickelte sich aus anderen Beweggründen, aus Visionen, wie diese Welt einmal werden könnte, wie man Frieden und Freiheit für alle garantieren konnte. Wirtschaftlich wollte man Synergien erzielen und nutzen. Das waren die Ideen der Gründerväter!

Die Menschen haben von Europa nicht die Nase voll, weil Marine LePen es ihnen sagt. Marine LePen und andere als Rechtspopulisten verunglimpfte Politiker sagen das, weil die Menschen es ihnen berichtet und begründet haben. Und wenn auch nur einem unserer Politiker etwas an dieser großartigen europäischen Idee der befreundeten Nationen ernsthaft etwas liegt, dann sollten sie ihre Politik und ihr Verhalten ändern. Dann brauchen sie ihre Unfähigkeit bzw. ihren Unwillen auch nicht länger hinter Politikern wie Marine LePen zu verstecken.

Ob allerdings Emanuel Macron mit seinen Ideen, Brüssel noch mehr zu stärken und aus den Ländern weiter Kompetenzen in die europäische Bürokratie abzugeben dazu beitragen wird, den europäischen Geist wiederzubeleben, darf bezweifelt werden. Er hat zunächst in Frankreich riesige Probleme zu lösen. Versucht er das allerdings durch die EU, unter anderem indem ein europäischer Finanzminister die Mitgliedsländer zu mehr Investitionen zwingt, wird in fünf Jahren auch Macron Geschichte sein. Marine LePen aber wahrscheinlich genau aus diesen Gründen nicht.

Doch auch die Europäische Union hat große Probleme, nicht nur mit Griechenland und der fortlaufenden Ausweitung der Geldmenge durch die EZB, sondern auch mit einer bisher nicht gelösten Flüchtlingsproblematik, die in den letzten Wochen nur etwas aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwunden war. Wenn hier nicht ernsthaft und glaubwürdig Abhilfe geschaffen wird, bleiben das Glühbirnen-Verbot und die Staubsauger-Verordnung Petitessen. Der vielbeschworene europäische Geist aber wird dann nicht mehr länger nur schwach auf der Brust sein, sondern er wird seinen Geist aushauchen.




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