Aufbruch und Niedergang der Blogozese

10. Februar 2017 in Aktuelles


War Johannes Paul II. der Mann des Fernsehens und der Bilder, wurde Benedikt XVI. schnell zum Papst des Internets. Heute zwitschert man lieber. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/VATICAN magazin) Der Pontifikat von Benedikt XVI. war auch die Zeit, in der sich katholische Laien, Priester und Ordensleute im Internet freischwammen. Einer der Gründe dafür ist äußerer Natur: Die technischen Möglichkeiten einer Präsenz im immer größeren und unüberschaubareren Meer des weltweiten Netzes hatten sich vereinfacht. Jeder konnte ohne größere Schwierigkeiten und Kosten auf diese Vielfalt zugreifen. Interaktivität war angesagt, nicht bloßes Konsumieren von Inhalten. Eine Vielzahl von Blogs entstand, zunächst als Plattformen, auf denen man Eigenes veröffentlichen konnte, dies auch verbunden mit unterschiedlichsten Absichten.

Schnell konnte aber aus einer Internet-Seite, die sehr persönlich angefangen hatte und eigentlich nur an einen kleineren Kreis gerichtet war – Familie, Freunde, Bekannte, Kollegen – ein Platz umfassenderer Reflexionen und des Austauschs werden. Inhalte wurden produziert, sowohl selbständig als auch als Reaktion auf Vorgänge, die sich in der Gesellschaft und in den herkömmlichen Medien abspielten, den so genannten „Mainstream-Medien“. Für viele Katholiken wurde diese Internet-Realität zu einem Bild von Kirche. Engagierter und intelligenter Umgang miteinander, stets verbunden mit der Gefahr eines zu großen oder aufdringlichen Protagonismus des Individuums, Gemeinschaften, die zueinander fanden: In kurzer Zeit wurde hierfür – in Anlehnung an die Worte „Blog“ und „Diözese“ – der Begriff der „Blogozese“ geprägt, einer im Internet entstandenen kirchlichen Gemeinschaft der katholischen Einsichten und des konkreten Glaubenslebens.

Dieses Gemeinschaftsgefühl kondensierte sich in erster Linie um die Gestalt Benedikts XVI. herum. War Johannes Paul II. der Papst der Bilder und des Fernsehens gewesen, so wurde Benedikt XVI. als Mann des Wortes und des Logos schnell zum Papst des Internets, denn was im Vordergrund stand, war die Glaubenslehre. Das Internet ermöglichte es dann, aus räumlichen und ideologischen Grenzen auszubrechen. Es konnte zum einen in frischer, aber vertiefter Weise vorgebracht werden, was es eigentlich heißt, katholisch zu sein, was Katholiken wirklich glauben. Mit Benedikt XVI. hatte für viele eine Zeit der katholischen Aufklärung begonnen, die in vollen Zügen die Luft des freien Austauschs einatmete, die der deutsche Theologen-Papst in Bewegung gebracht hatte.

Die neue freie Auseinandersetzung mit dem Wesen des Glaubens, der Lehre und der Wahrheit der katholischen Kirche verband sich dann auch mit der Freiheit, sich mit institutionellen Formen der Kirche auseinandersetzen zu können, die bisher ungehemmt das Bild dominiert hatten. Dies reichte von der Distanz zum „offiziellen Katholikenkomitee“ ZdK mit seinen liberalen und daher ewig alten Themen, die wie ein Mantra vorgebetet wurden, bis hin zur Verfassung einer Petition „Pro Ecclesia“ im Jahr 2011 als Reaktion auf ein von 144 Theologen verfasstes „Memorandum“. Jenes Memorandum hatte nochmals, gestützt von Politikern und Teilen der deutschen Hierarchie, die altbekannten Themen vorgelegt: Abschaffung des Zölibats, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, Frauenpriestertum, Anerkennung von nichtehelichen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften als der christlichen Ehe äquivalente Lebensformen, Ablehnung einer „zentralistischen Vereinheitlichung“ der Liturgie und vieles mehr. Demgegenüber wollte „Pro Ecclesia“ denen eine hörbare Stimme geben, die bislang meist geschwiegen hatten oder einfach nicht gehört worden waren. Und das Internet zeigte sich für dieses Ansinnen besonders geeignet.

Benedikt XVI. war ein „Papst im Gegenwind“. Dieser Wind wehte ihm vor allem aus einer säkularen Presselandschaft entgegen, die mit dem „Panzerkardinal“ Ratzinger begonnen und mit dem „Rottweiler Gottes“ weitergemacht hatte. Nicht die Inhalte der Lehre des Papstes wurden präsentiert, sondern ein Zerrbild, eine „schwarze Legende“ des konservativen, reaktionären deutschen Pontifex, der zusammen mit seinem Werk so hart und so schnell wie möglich demoliert werden musste. Es fing an mit der Rede zu „Glaube und Vernunft“ in Regensburg von 2006 und setzte sich über die verschiedenen Skandale fort, Stichworte: der Fall Williamson, die Missbrauchsskandale in der Kirche und schließlich Vatileaks I.

Die Mainstreampresse war feindlich gesonnen und versäumte keine Gelegenheit, den Papst als Person und Institution zu attackieren. Dazu kam: Benedikt wurde von den zuständigen vatikanischen Stellen alleine gelassen. Erst sehr spät wurde klar, dass im Zeitalter der schnellen Nachrichten nicht nur nicht zu spät reagiert werden darf, sondern die Kommunikation koordiniert und programmiert werden muss. Dieses kommunikative Vakuum füllte weltweit eine Vielzahl von Blogs, jeder auf sein Land ausgerichtet, alle mit dem Blick auf den Papst und Rom in dieser krisengeschüttelten Zeit. Es entspann sich ein Kampf um die Wahrhaftigkeit des Pontifikats.

Von besonderer Bedeutung – auch für den internationalen Raum – war in diesem Zusammenhang der nunmehr legendäre „Papa Ratzinger Blog“. Er wurde im Jahr 2007 von Raffaella aus dem Erzbistum Mailand initiiert. Tag um Tag, Stunde um Stunde und zumeist im Minutentakt wurden alle im Internet zugänglichen Meldungen, Artikel, Kommentare vor allem aus Italien gesammelt, die Benedikt XVI. und Vorgänge in seinem Pontifikat zum Inhalt hatten. Es war dies eine Zeit, da Soziale Medien wie Facebook und Twitter noch nicht „explodiert“ und zu einem gesellschaftlichen Massenphänomen geworden waren, eine Zeit des „langsameren Lesens“. Raffaella war es gelungen, ein großes Pressearchiv zu schaffen, das sich im Lauf der Zeit zu einem wichtigen Arbeitsinstrument entwickelte. Journalisten wandten sich direkt an sie. Ihr Anliegen: der Pontifikat, seine Botschaft, seine Lehre nicht in einem Rauschen verlaufen zu lassen und reaktionsfähig zu sein, wenn die Angriffe hart wurden und auch unter die Gürtellinie gingen.

Raffaella hatte zudem eine innere Beziehung zu Benedikt XVI. und seiner Theologie, was sie schnell erkennen ließ, dass der Nachrichtenblog allein nicht reichte. Es entstand so eine ganze Galaxie von Blogs und Unter-Blogs zusammen mit thematischen „Specials“, die sich mit der Lehre des Papstes, der Theologie Joseph Ratzingers und dem Leben der Kirche in der „benediktinischen Zeit“ auseinandersetzten. Diese Blogs gehören zum Erbe des Pontifikats Benedikts XVI. und stellen eine Vielzahl von Material zur Verfügung, das andernfalls nur schwer zugänglich wäre. Es war klar: der Pontifikat eines „Kirchenlehrers“ war nicht nur journalistisch zu bewältigen, es machte eine tiefgehende inhaltliche Auseinandersetzung notwendig.

Raffaella war der Mittelpunkt dieser Blogs. Die Gemeinschaft der Zulieferer und kommentierenden Nutzer wuchs von Tag zu Tag. Auf den Höhepunkten der jeweiligen Krisen ein unverzichtbares Instrument, um der gewaltigen Woge entgegentreten zu können, die immer wieder über Benedikt XVI. niederging. Er war wie gesagt der „Papst des Wortes“. Gerade das passte perfekt für das Zeitalter des Internets. Die herkömmlichen Medien waren nicht mehr ausreichend, denn „Meldungen“ waren nicht in der Lage, die Komplexität des Pontifikats zu erfassen und zu begleiten. Die Arbeit Raffaellas wurde zu einem wesentlichen Beitrag für die Verkündigung. Nachrichten, Kommunikation, Inhalte, Glaubenslehre und gelebter Glaube verzahnten sich.

Nun, es hat sich alles verändert, was symbolisch auch dadurch zum Ausdruck kam, dass Raffaellas Blog seine Arbeit ab dem 13. März 2013 einstellen konnte und de facto eingestellt hat (definitives Ende: Weltjugendtag in Rio 2013), nicht zuletzt auch wegen ihrer einzigartigen persönlichen Bindung an Benedikt XVI. Dies gilt aus den verschiedensten Gründen nicht nur für Raffaella. Franziskus ist der „Papst der Gesten“, der Medienstar, der Medienliebling. So kann Raffaella heute sagen: „Ein Blog wie der unsere hat in dem jetzigen besonderen geschichtlichen Moment wenig Sinn. Die Artikel und die Kommentare – was auch für die Sondersendungen im Fernsehen gilt – sind sehr zahlreich, aber im Grunde sprechen sie alle dieselbe Sprache, und wenn man einen gelesen hat, dann hat man alle gelesen. Ein Blog, der nur Sätze wiedergibt, die auf Effekt aus sind, hat keinen Grund zu existieren. Dafür gibt es Twitter. Ein Raum für Fotos hat noch weniger Sinn, denn es gibt Facebook und Instagram. Vertiefende Beiträge wären angesichts dieser Verwirrung, die das Klima bestimmt, sehr schwierig. Also: Wir schauen bei den Ereignissen vom Fenster aus zu und versuchen alles Mögliche zu tun, um die Erinnerung an den leuchtenden Pontifikat Benedikts XVI. zu bewahren.“

Das, was man noch vor vier Jahren „Blogozese“ genannt hatte, gibt es nicht mehr. Auch große und bekannte Blogger aus Übersee sind verstummt. Klickt man auf manche alten Links, kann man feststellen, wie sporadisch die Einträge geworden sind, und viele Blogs sind einfach aus dem Netz verschwunden. Dann gibt es noch jene, die sich an der neuen Situation abarbeiten und eine Art Quadratur des Kreises versuchen, sowohl im Hinblick auf das römische Geschehen als auch hinsichtlich der persönlichen Beziehung zu dem, was sich in der neurömischen Kirche oft abspielt. Es besteht ein offensichtlicher Bruch in der von den Medien forcierten Wahrnehmung des Papstes. Salopp ausgedrückt: Franziskus hat die Medien auf seiner Seite. Diese interessieren sich allerdings weniger für die Kirche und den Glauben, sondern oft dafür, den „Revolutionär“ auf dem Papstthron zu stilisieren. Dabei wird das „Revolutionäre“ in der Parallelisierung mit dem erkannt, was die Welt sowieso schon bietet. Vom „Wer bin ich, um zu urteilen?“ über „Karnickel“, die sich in Überzahl vermehren, bis hin zum Gott, „der nicht katholisch ist“ – die Welt brennt ein Feuerwerk für den Papst ab, der „einer von uns“ ist.

Diese unkritische und undifferenzierte Sicht bringt es mit sich, dass Inhalte nicht zählen, sondern die Wirksamkeit von Slogans im Vordergrund steht. Franziskus ist der Papst, auf den die Welt ihre rein horizontale Sicht projiziert. Jeder Versuch einer angemessenen und tiefer gehenden Auseinandersetzung muss daran scheitern: Sie wird weder wahrgenommen noch gewollt. Wo Benedikt XVI. die Fleischwerdung dessen darstellte, was die Welt bekämpfte, dies mit der Folge, dass sich Menschen um den Papst scharten, denen an der Wahrheit gelegen war und die sich sein Motto, „Mitarbeiter an der Wahrheit“ zu sein, angeeignet hatten, um es zum Grund ihres Glaubens zu machen, da ist Franziskus der Papst, „den man kennt“, weil man die Welt sowieso schon kennt. Es braucht keine „Blogozese“ mehr, und die Zukunft wird zeigen, wie sich das Kirchliche im Netz neu aufstellen wird. Benedikts Ruf, zu den Wurzeln des Christentums und des Glaubens vorzudringen, verhallte und bleibt für einen „kleinen Rest“ bestimmend. Die Geschichte wird zeigen, wohin der Kurs des Schiffes Kirche geht, wenn pseudorevolutionäre Thesen im Nichts verdunstet sein werden.

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Archivbild: Der legendäre "Papa-Ratzinger-Blog"



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