Wird es künftig noch Glauben geben?

19. Dezember 2016 in Kommentar


Und wenn der Mammon sprudelt, aber der Glaube versiegt, wenn die Catholica, wie man sie einmal kannte, vielleicht bald nur noch in Enklaven existiert, dann liegt dies auch am Versagen der Führung - Gedanken zum Advent von Peter Seewald


Rom-Bonn (kath.net) Wie es um den Glauben in Deutschland steht, zeigte sich auf dem Tempelberg von Jerusalem. „Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten“, hatte sich noch ein Julius Döpfner zum Wahlspruch gewählt, einst Bischof von München. An jener Stelle aber, an der Christus lehrte und die Händler aus dem Tempel trieb, unweit davon, wo er sein Leben am Kreuze gab, steckt heute sein Nachfolger, der oberste Vertreter der katholischen Kirche von Deutschland, das Symbol des Christentums verschämt in seine Hosentasche, um gemeinsam mit seinem protestantischen Amtskollegen eine Moschee zu besuchen.

Hirten sollen Orientierung geben. Sie sollen uns ermutigen, den guten Kampf zu kämpfen, katholisch zu glauben und zu leben. Aber wird man künftig noch auf ein Bischofskreuz schauen können, ohne nicht gleichzeitig den Akt des Kleinmutes vor Augen zu haben?

Er habe „nicht provozieren“ wollen, erklärt der Kardinal im Nachhinein. Ganz so, als dürfe das Evangelium die Welt nicht mehr herausfordern. Als würde nicht in diesem Augenblick der Geschichte im Nahen Osten das Christentum ausgerottet und als würden in islamischen Staaten nicht Millionen von Menschen verfolgt werden, weil sie sich zum Kreuz bekennen.

Als die Schändung von Gipfelkreuzen in den Alpen für Schlagzeilen sorgte, reagierte der Bischof von Fulda, Heinz Josef Algermissen, umgehend. „Das Kreuz als zentrales Zeichen des Christentums“, so der Bischof, „war und ist eine Provokation“. Es entsetze ihn, wenn Kreuze „zum Schmuck verkommen.“ Algermissen erachtet es als „ein Symptom für die Verfasstheit dieser Gesellschaft, wenn sie (die Kreuze) aus Klassenzimmern und Gerichtssälen entfernt werden.“ Und weiter: „Kreuze aber aus politischen Gründen eines faulen Kompromisses abzulegen, ist verantwortungslos.“ Klare Worte. Kardinal Marx hingegen vergleicht in der Rechtfertigung seines Verhaltens das Kreuz gar noch mit der „grünen Fahne des Propheten Mohammed“ (die er ja auch nicht in einer Kirche sehen wolle) und vergisst, dass dieses Kreuz das Zeichen für Frieden und Erlösung ist, der ruhende Pol inmitten der Veränderungen und Umwälzungen der Welt, wie Papst Benedikt auslegt; das heilige Symbol für Gottes Liebe zu den Menschen.

Auch Petrus hat Jesus verleugnet. Drei Mal sogar – und bitterlich darüber geweint. Kein Christ ist gefeit vor dem Verrat seines Glaubens. Die Demaskierung von Jerusalem aber erscheint wie ein Menetekel, ein sprechendes Zeichen, das Klarheit schafft. Was ist von solchen Hirten, scheint es zu fragen, noch zu erwarten?

In der Tat, der Akt ist Synonym einer Anpasserkirche, die sich selbst abschafft, die keine Haltung mehr kennt, und wenn ja, dann bitte keine katholische. Klar, es gibt die Aufrufe zu Willkommenskultur und gegen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien. Schön und gut, recht und billig. Aber wo bleibt angesichts des dramatischen Niedergangs des Christentums in Deutschland die Gegenoffensive? Oder wo, zum Beispiel, die konzertierte Aktion für eine eigene Medienpräsenz, um überhaupt noch ein größeres Publikum erreichen zu können? Wo ist der entschiedene Wille, den Exodus von Millionen von Getauften zu stoppen, die in den vergangenen Jahren ihrer Kirche den Rücken kehrten? Business as usual. Tatenlos zusehen. Wegsehen.

Es gibt die Verantwortung der Laien. Unzählige leisten treuen Dienst, ganz ohne Anerkennung. In einer ermüdeten Kirche ist die Glaubenstreue der Einzelnen der große Schatz, der Zukunft möglich macht. Die Verantwortung der Hirten ist dadurch nicht aufgehoben. Und wenn der Mammon sprudelt, aber der Glaube versiegt, wenn die Catholica, wie man sie einmal kannte, vielleicht bald nur noch in Enklaven existiert, dann liegt dies auch am Versagen der Führung.

Nach der Apokalypse des Zweiten Weltkrieges mit der versuchten Auslöschung des jüdischen Volkes galten die säkularisierten Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts als gescheitert. Die Wurzel der totalitären Systeme, so lautete ein breiter gesellschaftlicher Konsens, sei vor allem in der Abkehr von Gott zu sehen. Die große Vision für die Entwicklung einer humanen Zukunft liege einzig in einer religiösen Erneuerung als Rückkehr zu Christus. Der Katholizismus übernahm in den führenden Staatsmännern Robert Schuman, Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi die europäische Integration mit dem Aufbau einer demokratischen, freiheitlichen Gemeinschaft. Die Katholiken galten auch als die „eigentlichen Entdecker“ der Bundesrepublik, als die Bürgen einer neuen, sozial gestalteten Ordnung. Nur sieben Jahrzehnte später werden die Ideen und Leistungen aus der Gründerzeit der zweiten deutschen Republik als fragwürdig und reaktionär diskreditiert, wenn nicht als „mittelalterlich“, jedenfalls als der eigentliche Hinderungsgrund für die neue Heilserwartung einer „Zivilgesellschaft“, was immer das auch sein mag.

Zur Lage des Glaubens einige Stichpunkte: Eine neuheidnische und atheistisch geprägte Kultur und Lebensart dominiert weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, ob in Politik, Handel, Medien oder Freizeit. In der öffentlichen Debatte spielen christliche Weltanschauung und Wertevorstellungen so gut wie keine Rolle mehr. Für neoliberale Leitmedien wie „Spiegel“ oder „Süddeutsche Zeitung“ ist Christentum ohnehin suspekt, der Katholizismus ein Feindbild. Der Exodus des Kirchenvolkes setzt sich ungehindert fort. Die Zahl von potenziell Austrittswilligen aus beiden großen Kirchen wird inzwischen auf 20 Millionen Menschen geschätzt.

Erstmals seit der Nazizeit wächst eine ganze Generation heran, die kaum noch mit Gott zu tun hat, für die christliche Grundbegriffe nach Böhmischen Dörfern klingen. Gleichzeitig scheint sich ein großer Teil des kirchlichen Establishments vom Auftrag des Evangeliums verabschiedet zu haben. Im Verhältnis zu Kardinal Marx wirkt sein Vorgänger, Erzbischof Zollitsch, im Nachhinein gar wie ein Aktivist aus der Occupy-Szene. Ein verweltlichtes System, für das die Bischofskonferenz und ihr umfänglicher Apparat stehen, kann und will die notwendige Umkehr nicht einleiten. Der „schwarze Riese“ (Manfred Lütz) blockiert sich zudem selbst durch die Beschäftigung mit immer gleichen „Streitthemen“ und Dialogrunden, die Unsummen an Geld kosten, aber fruchtlos bleiben. Wie sehr es an Selbstbehauptung und Widerstand fehlt, zeigt sich am unvergleichlichen Ereignis der Geburt Jesu, der Erscheinung Gottes in seinem Mensch gewordenen Sohn. Das bedeutendste Fest der Christenheit konnte inzwischen fast vollständig von fremden Mächten vereinnahmt werden, was nicht einmal den Nazis mit ihrem zum „Julfest“ umgetauften Anti-Weihnachten gelungen war.

Die Botschaft Jesu oder das Heidentum, so lautete einmal die Alternative, Christentum oder Barbarei. So verkehrt ist das nicht. Und was davon abhängt, ob eine Gesellschaft sich an der Hybris des Menschen ausrichtet oder an einer gewissermaßen höheren Ethik, hat die Geschichte leidvoll gezeigt. Dass Glaube dabei immer gefährdet ist, in jeder Generation aufs Neue, bleibt eine Binsenweisheit. „Hilf doch, o Herr“, klagt verzweifelt der Psalm Nummer 12, „die Frommen schwinden dahin.“ Aber auch das ist wahr: Das Reich Gottes, das Jesus verkündete, ist nicht mehr aus der Welt zu bringen. Es ist seit 2000 Jahren Realität. Es wird als metaphysische Wirklichkeit so wenig untergehen wie die Kirche als mystischer Leib des Herrn. Jeder kann daran teilnehmen, unabhängig von Herkunft, von Rasse, von Geschlecht, ob arm oder reich, Sünder oder nicht. Erforderlich ist allerdings genau das, was der deutsche Kardinal und sein evangelischer Amtsbruder sich auf dem Tempelberg nicht zu wagen getrauten: Bekennermut.

Im letzten Grund existiert Kirche durch Christus. Mit Eucharistie und Anbetung, Demut und Vergebung, Gottesfrucht und Nächstenliebe. Sie lebt von den stillen Betern, jenen, die in die Tiefe gehen, um aus dem Kleinen ein großes Rad zu drehen. Aber sie lebt eben auch vom heiligen Ernst und der Haltung jener mutigen Männer und Frauen – von einem Ambrosius von Mailand bis zu den Mitgliedern der „Weißen Rose“ –, die bereit waren, zu widersprechen und an deren Worten und Taten, an deren Glauben wir uns noch heute festhalten können. Einfach so.

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Von Benedikt XVI.; Peter Seewald
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Pressefoto Peter Seewald


Foto oben: Peter Seewald (c) Jung-Hee Seewald


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