Am Rosenkranz scheiden sich die katholischen Geister

3. Oktober 2016 in Spirituelles


„Wahr ist: Er wird oft monoton und ziemlich schnell gebetet. Wahr ist aber auch: Die Gottesmutter empfiehlt dies Gebet ausdrücklich und dringend, und viele Heilige lieben es.“ kath.net-Kommentar von Claudia Sperlich


Berlin (kath.net) Manche belächeln ihn, verbinden ihn mit murmelnden alten Frauen (und werden dabei sehr schnell, ganz ohne es zu merken, sexistisch und ehrfurchtslos gegenüber dem Alter), sehen ihn als eine überkommene Tradition, die man nun wirklich mal ablegen kann.

Wahr ist: Er wird oft monoton und ziemlich schnell gebetet, und in der Kirche sind oft die wenigen Rosenkranzbeter über sechzig Jahre alt und weiblich.

Aber der Rosenkranz hat seinen Platz in der Kirche, nicht so sehr deshalb, weil es Menschen gibt, die ihn lieben (denn lieben kann man auch Dinge, die dem Glauben nicht zuträglich sind), sondern weil in ihm wahre Glaubenssätze betend eingeübt und betrachtet werden.

Andere sagen, der Rosenkranz wurde in Lourdes und Medjugorje von der Gottesmutter propagiert, und also ist ein schlechter Katholik, wer ihn nicht (oder nicht oft) betet, halten ihn gar für das größte, wichtigste Gebet der Kirche.

Wahr ist: Die Gottesmutter empfiehlt dies Gebet ausdrücklich und dringend, und viele Heilige lieben es.

Aber der Rosenkranz ist, trotz seiner hohen Bedeutung, selbst nicht ein Glaubenssatz; ein frommer Katholik, dem diese Gebetsform fremd bleibt, hört deshalb nicht auf, ein frommer Katholik zu sein. Es ist meiner Ansicht nach gut, für den Rosenkranz zu werben – aber falsch, Menschen die Katholizität abzusprechen, die ihn nicht oder nur selten beten.

Oft wird er auch unbewusst magisch verstanden, so als ob auf der Stelle die Waffen niedergelegt würden, wenn nur genug Menschen gleichzeitig den Rosenkranz beteten, oder als wäre die Heilung von schwerer Krankheit bei fleißigem Rosenkranzgebet schon beschlossene Sache.

Wahr ist: Dem Sieg bei Lepanto ging eine Gebetswelle voran, und zahlreiche Beter haben Trost und Heilung erfahren.

Aber der Rosenkranz ist kein Zauber. Ein Verständnis des Rosenkranzgebetes als Automatismus, bei dem (sofern richtig bedient) die Gottesmutter aufspringt und ihren Sohn dazu bringt, den Willen des Beters zu tun, ist naiv und lächerlich. Es ist falsch, irgendein Gebet in seiner Bedeutung darauf zu reduzieren, wie stark sein unmittelbar erfahrbarer Nutzen ist. Schließlich gibt es sehr viele Menschen, die häufig den Rosenkranz beten und dennoch früh sterben oder unter schrecklichen Umständen leben. Denn Gebet – gleich ob Rosenkranz oder etwas anderes – ist eben nicht Magie.

Der Rosenkranz ist ein meditatives Gebet. Das lateinische Wort „meditari“ bedeutet „nachsinnen, überdenken, einüben“; in der Meditation bedenkt man Glaubensinhalte und übt sie ein. Er ist ein betrachtendes Gebet; man kann sich dabei Glaubensinhalte innerlich vor Augen führen. Er ist nicht die einzige Meditation und nicht die einzige Betrachtung, die wir als Katholiken zur Verfügung haben. Er ist aber ein besonders wertvolles Stück aus einem großen Schatz und ist wert, oft in die Hand genommen zu werden. Der Rosenkranz betrachtet Jesus durch die Augen Marias, umarmt Jesus mit Marias Armen.

Wie man ihn betet, erfährt man z.B. im Gotteslob und bei kathpedia. In dieser Weise ist es zumindest im deutschen Sprachraum üblich. Eine andere Art des Rosenkranzgebetes – mir aus der italienischen Nachbargemeinde bekannt - stellt jedem Gesätz eine Meditation über das jeweilige Glaubensgeheimnis voran; das Ave wird dann ohne Einschub gebetet. Beide Formen sind legitim, beide haben ihre Vor- und Nachteile. Die uns gewohnte Form mit Einschub eines Glaubensgeheimnisses bei jedem Ave kann vielleicht mehr als die andere zum mechanischen Plappern verführen; der vorangestellte Text kann die Ruhe und Geschlossenheit des Gebetes stören. Aber für beide Formen gilt: Viel häufiger sind sie einfach gute Gebete. Ich selbst finde es hilfreich, nach dem Vaterunser des Rosenkranzes betend über das folgende Geheimnis nachzudenken - mir vor Augen zu führen, was Gott für mich getan hat.

Denn darum geht es. Er hat sich vollkommen machtlos gemacht, als befruchtete Zelle, als Baby und Kleinkind, und später als Gefangener, Gefolterter, Gekreuzigter. Er handelt mit höchster Souveränität als Lehrer, Exorzist und Heiler, als Auferstandener, der den Heiligen Geist sandte und der wiederkommen wird in Herrlichkeit. Er hat eine Frau zu Seiner Mutter gemacht - und sie hat mit Ihm gelitten, als Er am Kreuz starb. Er hat sie mit dem Auftrag „Siehe, das ist dein Sohn“ zur Mutter eines Jüngers gemacht und damit zur Mutter aller Jünger - aller Christen. Ihre Fürbitte können wir vertrauensvoll erbitten. Das alles kommt im Rosenkranzgebet zur Sprache.

Abschließend eine Nachdenkerei über die freudenreichen Geheimnisse. Möge sie als Anregung dienen, den Rosenkranz zu bedenken und zu beten.

Jesus, den Du, O Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast.

Maria wurde von Gottes Wort überrascht – und sie hat es in Demut angenommen. Nicht sie steht im Zentrum des Gebetes, sondern Er, der dreieine Gott. Es ist unbegreiflich: Gott wird zur befruchteten Zelle, zur Morula, zum Embryo. Gott wächst in einer Frau, und zugleich ist Er als Vater und Geist unveränderlich und ewig. Gott macht sich hilflos und zerstörbar. (In Deutschland sprechen Politiker vom „Recht“ auf die Tötung Ungeborener. Auch ohne dass das Gesetz ein solches „Recht“ postuliert, werden hier täglich mehrere hundert Ungeborene mit Wissen und Billigung des Staates getötet.)

Jesus, den Du, O Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast.

Maria ist erst vor einigen Tagen schwanger geworden. Elisabeth ist im sechsten Monat. Der ungeborene Johannes nimmt die Anwesenheit des Messias wahr und kommuniziert sie seiner Mutter. Und der Messias ist noch keine drei Millimeter lang, seiner Mutter noch nicht körperlich spürbar! Er ist aber – wie jeder Mensch – vom Augenblick der Befruchtung an Mensch. Der Mensch Johannes spürt die Nähe des Menschen Jesus. Menschen dürfen manchmal die Nähe des Heilandes spüren – nicht wegen irgendwelcher Verdienste, sondern weil Gott es ihnen in Seiner Gnade gewährt.

Jesus, den Du, O Jungfrau, zu Bethlehem geboren hast.

Der Herr ist aus dem schützenden Mutterleib in eine feindliche, gefährliche Welt gekommen. Maria diente Ihm – wie fast alle Mütter ihren Kindern dienen: mit Windeln und Stillen, mit Liebe und Pflege. Der Herr, der durch den Geburtskanal drängt; der Herr als Säugling, süß und winzig und sicher manchmal auch nervig, weinend, mit vollen Windeln. Die Mutter des Herrn mit den ganz alltäglichen Aufgaben jeder Mutter. Das ist schwer vorstellbar. Gott ist schwer vorstellbar. Aber Er ist da – wahrer Mensch und wahrer Gott.

Jesus, den Du, O Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast.

Das Kind gehört nicht den Eltern, sondern Gott: das wird im Judentum deutlich durch die Vorschrift, jeden Erstgeborenen aufzuopfern. Gott will aber keine Menschenopfer, deshalb wird der „geopferte“ Knabe gleich darauf ausgelöst – zu Jesu Zeit durch Opfertiere, im orthodoxen Judentum bis heute durch fünf Silbermünzen. Die Opferung Jesu im Tempel ist nicht nur Befolgung der Gesetze des Alten Bundes. Gott selbst lässt sich opfern – und wird sich dreiunddreißig Jahre später endgültig opfern am Kreuz.

Jesus, den Du, O Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast.

Maria hat ihren Sohn nicht an sich gebunden. Sie vertraute Ihm, sie musste Ihn nicht ständig im Blick haben. Aber dann war Er drei Tage lang fort! Im Haus des Vaters, im Tempel fand sie Ihn wieder, und die geradezu respektlos wirkende Antwort auf ihre Vorhaltungen brachte sie nicht zum Ausrasten, sondern zum Nachdenken. Viel später war Er drei Tage lang im Reich des Todes. - Paulus schreibt, dass unser Leib Tempel des Heiligen Geistes ist – in diesen Tempel will Gott kommen. Er, der ganz Mensch geworden ist und immer ganz Gott bleibt, will in unseren ganz menschlichen Leib kommen, den Er schon geheiligt hat als Seinen Tempel, den Er im Sakrament der Versöhnung immer wieder reinigt, damit auch wir Ihn in diesem Tempel wiederfinden können.

Zur Autorin: Ich bin 1962 geboren und 1984 katholisch getauft. Die katholische Kirche ist immer mehr zu meiner Heimat geworden und prägt mein Leben immer stärker. Etwas in den Augen der Welt Gescheites habe ich nicht gelernt. Ich bin Dichterin und Übersetzerin lateinischer Texte sowie Bloggerin.

Archivfoto: Der hl. Papst Johannes Paul II. betete häufig den Rosenkranz




© 2016 www.kath.net