Kirchensteuer: Was passiert, wenn die Einkommenssteuer gesenkt wird?

16. September 2016 in Kommentar


84 Prozent der Bundesbürger lehnen gemäß Umfrage das Kirchensteuermodell ab. idea-Kommentar von Prof. Gerhard Besier.


Berlin (kath.net/idea) Ein Jahr vor den Bundestagswahlen sind wir in den Wahlkampf eingetreten, und eines der heißen Themen wird die Steuerreform sein. Sie wird 2016 nicht mehr nur von der FDP gefordert, sondern jetzt auch von der CDU und sogar von der SPD, die vor vier Jahren ihren Wählern noch mit Steuererhöhungen gedroht hatte. Das Ziel aller genannten Parteien ist die Herstellung von mehr Steuergerechtigkeit. Dank der florierenden Wirtschaft schwimmt der Staat förmlich im Geld. Es erscheint daher unabweisbar, den Bürger zu entlasten. Insbesondere der sogenannte „Mittelstandsbauch“ – der besonders hohe Steuertarif bei unteren und mittleren Einkommen – muss verschwinden. Auch die ungerechte Steuerprogression, die manche Gehaltserhöhung nahezu schluckt, weil damit die nächsthöhere Steuerkategorie erreicht wurde, muss fallen. Schließlich dringt das Bundesverfassungsgericht auf eine Neuregelung der Erbschaftssteuer. Gegen eine umfassende Steuerreform, wie sie der Heidelberger Professor Paul Kirchhof oder die Politiker Friedrich Merz (CDU) und auch Otto Solms (FDP) längst vorgeschlagen haben, machen mächtige Lobby-Verbände Front. Kirchhofs oder Merz’ Vorschläge beispielweise hätten die meisten Steuerberater arbeitslos gemacht. Familienbetriebe drohen mit einer Standortverlagerung im Falle einer Erhöhung der Erbschaftssteuer.

Kleine Korrekturen statt große Reform

Aller Voraussicht nach wird es also nicht zu einer großen Steuerreform kommen, sondern lediglich kleinere Korrekturen geben, um die ärgsten Steuerungerechtigkeiten zu mildern. Im Gespräch ist derzeit vor allem eine Erhöhung und Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer sowie eine Modernisierung der Einkommenssteuer zur Begradigung des „Mittelstandsbauches“ und zur Entlastung der Gewinne und Einkommen. Eine faktische Senkung der Einkommens- und Körperschaftssteuer aber träfe auch die Kirchen.

Die Kirchensteuer hängt an der Einkommenssteuer

Denn die Bemessungsgrundlagen für die Kirchensteuern sind die Einkommenssteuer bzw. Lohnsteuer. Rechtlich möglich ist auch die Erhebung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Vermögenssteuer sowie zum Solidaritätszuschlag, aber die Kirchen in Deutschland haben bisher auf diese beiden Möglichkeiten verzichtet. Die Kirchensteuer ihrer Mitglieder macht den größten Teil der Einnahmen der Kirchen aus. Der Kirchensteuersatz beträgt in Bayern und Baden-Württemberg 8 Prozent, in den übrigen Bundesländern 9 Prozent der Einkommenssteuer. Eine sogenannte „Kappung“ der Kirchensteuer führt bei hohen Einkommen, die über einer Schwelle liegen, zur Begrenzung der Kirchensteuer auf 2,75 bis 3,5 Prozent des zu versteuernden Einkommens.

Kapitalertragssteuer: Kirchenmitglieder traten in Massen aus

Auch im Rahmen der Kapitalertragssteuer wird die Kirchensteuer mit 8 Prozent bzw. 9 Prozent berücksichtigt. Soweit Steuerpflichtige einer Religionsgemeinschaft angehören, wird auf die 25-prozentige Kapitalertragssteuer noch die Kirchensteuer in Höhe von 9 Prozent bzw. 8 Prozent einbehalten. Als 2009 die pauschale Abgeltung der Steuerpflichten sich dadurch änderte, dass schon an der Quelle – also im Regelfall bei der Bank – die Kapitalertragssteuer und ggf. die Kirchensteuer einbehalten und an die jeweiligen Steuergläubiger – den Staat und die Kirchen – weitergeleitet wurde, antworteten viele Kirchenmitglieder mit Massenaustritten.

84 Prozent lehnen das Kirchensteuermodell ab

Im Blick auf die Kirchensteuern, aber auch die sonstigen Staatsleistungen an die Kirchen sind Gläubige wie Ungläubige außerordentlich kritisch. Bei einer im Jahr 2015 veröffentlichten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben 84 Prozent der befragten Bundesbürger an, das deutsche Kirchensteuermodell abzulehnen. Spätestens seit 2009 ist den Landeskirchenämtern nur zu bewusst, dass jede noch so kleine Veränderung bei der Erhebung der Kirchensteuern zu einer neuen Austrittswelle führen würde.

Mit den üppigen Kirchensteuereinnahmen wäre es vorbei

Insofern droht sich nun die kirchliche Privilegierung durch den Staat und die Koppelung an das staatliche Steuersystem bitter zu rächen. Die Kirchen werden in den Sog der Steuerreformdebatte hineingezogen werden. Sollte ihre Lobbyarbeit fehlschlagen und eine Modernisierung der Einkommenssteuer tatsächlich durchgesetzt werden, verlören sie aller Voraussicht nach Millionenbeträge. Mit den üppig sprudelnden Kirchensteuereinnahmen ohne alles Zutun der Kirchen wäre es dann vorbei. Natürlich könnten die Kirchen den Kirchensteuersatz erhöhen, um die Ausfälle zu kompensieren, oder Zuschläge zur Vermögenssteuer oder dem Solidaritätszuschlag erheben. Aber ein solcher Schritt würde die Unzufriedenheit der kirchlichen Basis mit dem Kirchensteuersystem erneut wachrufen und wieder zu neuen Austrittsschüben führen.

Die Kirchen sind gefangen

Die Kirchen sind also in mehrfacher Weise gefangen: Ihre Finanzen sind einerseits von den staatlichen Entscheidungen absolut abhängig, und andererseits müssen sie Angst vor den negativen Reaktionen der Kirchensteuerzahler haben, wenn sich nur eine Kleinigkeit ändert. Über viele Jahrzehnte haben sie eine offene Debatte über das kontroverse Kirchensteuersystem immer wieder erfolgreich unterdrückt. Bis jetzt hatten sie damit einfach nur unverschämtes Glück. Aber damit dürfte es im kommenden Wahlkampf vorbei sein.

Der Autor, Gerhard Besier (Dresden), ist habilitierter evangelischer Theologe, promovierter Historiker und Diplom-Psychologe. Er lehrt an verschiedenen europäischen Universitäten und an der Stanford-Universität in Kalifornien.


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