'Gewisse Kreise der Kirche in Deutschland sind pikiert'

14. September 2016 in Kommentar


Nach Buch von Benedikt XVI.: Während man den emeritierten Papst maßregelt, ignoriert man die Weisungen des amtierenden und nennt dieses bornierte Beharren auf den eigenen Niedergang „Beflügelung“. kath.net-Kommentar von Anna Diouf


Bonn (kath.net/ad) Man sollte dieser Tage meinen, kontemplative Lebensführung und Schweigen hätten Hochkonjunktur. Dies lässt sich jedenfalls aus den indignierten Äußerungen über das neue Interviewbuch des emeritierten Papstes schließen. Warum schweigt er denn nicht? Da hat er nicht nur Zeit seines Pontifikats glaubenstreu, eifrig und lauter versucht, für die Vernunft zu werben und Entweltlichung (und damit „Verchristlichung“) zu fordern: Nein, nun wagt er es auch noch, Interviews zu geben, obgleich nicht mehr amtierender Papst!

Es gibt ein Syndrom, das wohl jeder von sich kennt, wenn er sich im Unrecht weiß: Man beginnt, extrem sensibel, alles, was in Richtung „Kritik“ geht, auf sich zu beziehen. Wenn der Papst sich zu „Letzte(n) Gespräche(n)“ bereit erklärt, dann sollte ein liebender Katholik sich freuen: Noch einmal bereichern weise Worte eines gottesfürchtigen Mannes unseren Geist und unser Bücherregal. Trotz des Amtsverzichts müssen wir auf den Rat und auf die Gedanken dieses großen Papstes nicht gänzlich verzichten. Wir bekommen noch etwas von ihm geschenkt: Einblicke in seinen spannenden, ergreifenden und epochemachenden Lebensweg, schlichte, demütige Worte, die zum Nachdenken anregen und uns im Glauben stärken. Nicht so gewisse Kreise innerhalb der Kirche: Hier ist man beleidigt, respektive empört oder auch pikiert. Da wagt es der deutsche Ex-Papst, auf deutsche Zustände einzugehen – eine Frechheit. So äußert sich der Jesuit Andreas Batlogg ablehnend im DLF, und natürlich wartet postwendend auch katholisch.de mit einem Standpunkt auf, der das Interviewbuch als „Irritation“ auffasst. Dies irritiert nun wiederum zweifellos jeden, der das Buch gelesen hat, wie überhaupt die Akribie, mit der praktisch alle Äußerungen und Handlungen Benedikts XVI. falsch verstanden, missdeutet und in ihr Gegenteil verkehrt wurden – ein Schicksal, dass er mit seinem Nachfolger teilt.

Zuerst einmal muss man sagen, dass es in dem Buch mitnichten um die deutsche Kirche geht – was vielleicht bereits ein erster Hinweis auf das Problem sein könnte: Verletzte Eitelkeit? Vielleicht kann man es nicht fassen, dass der emeritierte Papst tatsächlich so sanftmütig und heiligmäßig ist, dass ihn ostinates Störfeuer aus Deutschland während seines Pontifikats nicht zu Bitterkeit oder üblen Worten verleiten kann. Zur Sicherheit wirft man schnell Worte wie „Selbstechtfertigung“ in den Raum, um bei mangelnder Skandalträchtigkeit wenigstens anderweitig zu diskreditieren. Nun ist es unvermeidlich, dass ein deutscher Papst, befragt zu seinen Reisen, auch über Reisen in sein eigenes Heimatland befragt wird, und in diesem Zusammenhang auch zu den Zuständen in demselben. Ebenso selbstverständlich ist es, dass er, wenn er den größten Gegenwind aus seiner Heimat erfährt, dazu ebenfalls ein oder zwei Fragen beantworten soll. Gemessen am Umfang des Buches sind die paar Sätze zur deutschen Kirche kaum geeignet, um einen Skandal zu konstruieren, ebenso wenig gemessen am Inhalt.

Batlogg etwa stößt sich an diesen Äußerungen, die er als „stillos und taktlos“ bezeichnet, weil Benedikt XVI. damit angeblich die Amtsführung des Papstes kommentiere. Dies würde voraussetzen, dass der jetzige Papst die deutsche Kirche besonders geprägt oder sie explizit gelobt und in ihrer Struktur gutgeheißen hätte. Angesichts der deutlichen und kritischen Worte Papst Franziskus‘ anlässlich des Ad-Limina-Besuches der deutschen Bischöfe ist diese Behauptung dagegen schlicht lächerlich. Tatsächlich spricht Benedikt XVI. nur aus, was ohnehin jeder weiß: Dass das System, jeden zu exkommunizieren, der die Kirchensteuer nicht zahlt, problematisch ist; dass es in der katholischen Kirche in Deutschland zu viel „Amtskatholizismus“ gibt; zu viele Menschen, die die Kirche in erster Linie als Arbeitgeber, nicht als Mutter verstehen, und sich nicht als Teil des Leibes Christi. All dies ist nicht nur weithin bekannt, es deckt sich auch mit der Kritik des amtierenden Papstes an der deutschen Kirche: Die von Benedikt XVI. geforderte Entweltlichung und die von Franziskus gepredigte Armut bilden zusammen einen untrennbaren Aspekt der Christusnachfolge. So sind Benedikts Aussagen nichts weniger als ein Angriff auf Papst Franziskus, sie sind vielleicht nicht einmal eine Ergänzung, sondern lediglich eine andere Formulierung des gleichen Sachverhalts. In diesem Zusammenhang ist es spannend, dass Batlogg explizit nennt, dass Benedikt XVI. einen „Überhang an Geld“ kritisiere, während ansonsten der Ruf nach der armen Kirche durchgehend von Papst Franziskus ausgeht. Wie man gleichzeitig die Kritik an materiellem Reichtum als unangemessene Aussage geißeln und einen Gegensatz zwischen Franziskus und Benedikt XVI. aufbauen kann, bleibt ein dialektisches Rätsel. Überdies sind die Formulierungen in dem Benedikt XVI. eigenen sachlichen, unaufgeregten Ton gehalten, ohne Vorwurf, ohne Polemik.

Wer hier beleidigt ist, muss Grund dazu haben, und zwar, weil er ganz genau weiß, dass er schärfere Worte und deutlichen Tadel verdient hätte. Batloggs Kritik offenbart zudem eine anscheinend unheilbare Selbstüberschätzung im deutschsprachigen Raum bezüglich der eigenen Bedeutung. Man sollte meinen, der Papst habe oft genug eingeschärft, dass er ein Papst „von den Rändern“ sei, für die Menschen an der „Peripherie“. Dies sind die Schwerpunkte, dort sind die Menschen, die im besonders am Herzen liegen. Nun könnte man sagen: Passt! Geistlich gesehen befindet sich die deutschsprachige Kirche (neben Deutschland sieht es in Österreich und der Schweiz nicht wirklich rosiger aus) nicht bloß an der Peripherie, sondern nicht selten bereits abgestürzt im Abgrund und hat größte Aufmerksamkeit nötig. Was für eine segensreiche neue Demut ist das, die eigene geistliche Bedürftigkeit zu erkennen? Aber nein, natürlich meint man ganz einfach, so wie immer, dass man besonders wichtig sei. Batloggs Worte sprechen Bände: „(…) es ist irgendwo stillos und taktlos, wenn ich meinen Nachfolger kommentiere, das tut er, wenn ich die deutsche Kirche kommentiere.“ Verstehen wir das recht? Da sich die Güte der Amtsführung des Papstes über die Beziehung zur deutschen Kirche definiert (die sich wohlgemerkt nicht als „Filiale von Rom“ verstehen will, also laut eigener Aussage nicht die innigste Verbindung zum Heiligen Vater unterhält), ist es automatisch ein Affront gegen diese Amtsführung, wenn die deutsche Kirche kritisiert wird – zumindest an Selbstbewusstsein mangelt es nicht.

Bei Batlogg klingt es, als sei das Buch eine Abrechnung mit Franziskus‘ Pontifikat und eine Kritik an der Kirche in Deutschland. Wie bereits dargelegt reine Nebelkerzen - Offenbar nutzt man die Gunst der Stunde, schließlich hat das Buch noch niemand gelesen, und Vorbehalte, die einmal gesät sind, lassen sich später ohnehin nicht mehr ausrotten. Die Kritik ist dabei äußerst schamlos, und wer Zurückhaltung einfordert, sollte vielleicht gemäß der Weisung Christi bei seinem eigenen Balken anfangen: Das Buch solle es eigentlich gar nicht geben, schöpft der Jesuit aus dem Vollen, ohne allerdings deutlich machen zu können, worin nun genau das Problem bestünde. Die großzügig gestreuten Anregungen der interviewenden Journalistin, ob dies Benedikt nun zum Schatten- oder Zweitpapst stilisieren würde, ob es Reizworte oder Sensationen gäbe, etc., muss der Jesuit leider verneinen, um dann gleich allgemein die Existenz eines emeritierten Papstes zu problematisieren. Natürlich eine ungewohnte Situation, keine Frage, aber was hat das Buch damit zu tun? Offenbar will man um jeden Preis ein Problem darin sehen, obwohl man sichtlich Schwierigkeiten hat, ein solches zu konstruieren. Um den Verdacht abzuwehren, man sei bloß unzufrieden damit, dass die deutsche Kirche nicht vorbildlich wegkommt, behauptet man, eine solche Äußerung sei eine Anmaßung gegenüber dem amtierenden Papst – wie gesagt kein brauchbarer Vorwurf, da Papst Franziskus die Verhältnisse gleichermaßen moniert.

Tatsache ist (und Benedikt XVI. ist viel zu barmherzig, um so etwas zu sagen): In der deutschen Kirche suhlt man sich in Selbstgefälligkeit, und was nicht passt, wird passend gemacht. Auf katholisch.de fantasiert Stefan Orth davon, dass man sich in der Kirche in Deutschland gerade von Papst Franziskus „beflügeln“ lasse, da sei die Äußerung des emeritierten Papstes unangebracht. Neben der unweigerlich unangenehm hervortretenden Suggestion, aus irgendeinem Grund sei es nicht möglich gewesen, sich von Benedikt beflügeln zu lassen – was außerhalb des deutschsprachigen Raumes durchaus gegeben war – balanciert diese Aussage natürlich auf einem schmalen Grat zwischen Realitätsverlust und Nonsens: Bei 58 Neupriestern, Statistiken, die ergeben, dass der überwältigende Teil der Priesterschaft nicht (wie in „nie“) zur Beichte geht (obwohl Papst Franziskus dieses Sakrament mehrfach empfohlen und in Erinnerung gerufen hat), bei Überalterung der Gemeinden, kaum Gottesdienstbesuch etc. von Aufbruch zu sprechen, braucht kein geringes Maß an Chuzpe: Während man den emeritierten Papst maßregelt, ignoriert man geflissentlich die Weisungen des amtierenden und nennt dieses bornierte Beharren auf den eigenen Niedergang „Beflügelung“.

Der Versuch, Benedikt XVI. als halb geheimen Gegenspieler Franziskus‘ zu konstruieren, wird in regelmäßigen Abständen unternommen, aber dies anhand eines derart freundlichen, ehrlichen und menschlichen Interviews zu tun, trägt Züge von Perfidie.

Tatsächlich ist das von Peter Seewald geführte Interview ein berührendes Lebens- und Glaubenszeugnis, unaufgeregt und bescheiden, das andächtige und wohlgesonnene Leser verdient, keine unnötige und künstliche Skandalisierung.

Foto Anna Bineta Diouf


Das lesenswerte Vorwort von Peter Seewald zu seinem Interviewband mit Papst em. Benedikt XVI. auf kath.net in voller Länge!

kath.net-Buchtipp!
Letzte Gespräche
Von Benedikt XVI.; Peter Seewald
Hardcover, 288 Seiten
2016 Droemer/Knaur
ISBN 978-3-426-27695-2
Preis 20.60 EUR

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Foto Diouf (c) Heike Mischevsky


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