Bundestagsdebatte zu Armeniergenozid: Türkischer Druck befürchtet

26. Mai 2016 in Aktuelles


Der Deutsche Bundestag will am 2. Juni eine Resolution verabschieden, in der die Massaker der Jahre 1915 bis 1918 als Völkermord bezeichnet werden - Auch Vatikan ist stark interessiert am Ausgang des Votums


Berlin-Ankara-Jerewan (kath.net/KAP) Die Kurdische Gemeinde Deutschland sieht den Versuch einer "türkischen Lobby", in der Frage der Anerkennung des Armeniergenozids der Jahre 1915-1918 Einfluss auf die Bundestagsabgeordneten zu nehmen, die jetzt darüber beraten. Ihr liege ein gemeinsames Schreiben unter anderem der Berliner Türkischen Gemeinde und der türkischen Botschaft vor, in dem in Deutschland lebende türkischstämmige Bürger aufgerufen würden, in der Armenierfrage auf jeden Bundestagsabgeordneten Einfluss zu nehmen, so die Kurdische Gemeinde am Mittwoch in Gießen.

Zwischen 1915 und 1918 waren im damaligen Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen Armenier, Pontusgriechen, Assyrer und Aramäer ermordet worden. Der Bundestag will am 2. Juni eine Resolution verabschieden, in der die Massaker der Jahre 1915 bis 1918 als Völkermord bezeichnet werden.

Die Türkei räumt bisher lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In der Türkei, so die Kurdische Gemeinde, werde das Thema nicht nur tabuisiert, sondern auch historisch völlig verfälscht wiedergegeben.

Auch im Vatikan wird man Medienberichten zufolge am 2. Juni gespannt nach Berlin schauen. Die Abstimmung gilt allgemein als ein Schmerzempfindlichkeitstest der türkischen Führung, die den Begriff Genozid ablehnt. Nur drei Wochen nach der brisanten Abstimmung reist Franziskus nach Armenien, und er wird dort u.a. am Völkermord-Denkmal in Zizernakaberd an einem ökumenischen Gebet teilnehmen. Das Programm sieht eine Stunde an der Gedenkstätte vor. Es gilt als undenkbar, dass dabei nur Unverbindlichkeiten vom Blatt abgelesen werden.

Die Berliner Debatte über die Massaker an Armeniern gilt damit gleichsam als Testfall für den Vatikan. Denn der Papst wird Ende Juni mit der Frage konfrontiert sein, ob er explizit von Genozid sprechen oder den Terminus vermeiden soll.

Franziskus hatte den Ausdruck erstmals 2014 bei seiner ersten Begegnung mit dem armenisch-katholischen Patriarchen Nerses Bedros XIX. Tarmouni in den Mund genommen. Auch im April 2015, in einem Gottesdienst zum Gedenken an den Beginn der Verfolgungen 100 Jahre zuvor, bezeichnete er die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts", in einer Reihe mit dem nationalsozialistischen Holocaust und den Schlächtereien Stalins.

Der Papst verband damit den Blick nach vorne, den Appell zu Versöhnung zwischen Türken und Armeniern: "Wo es keine Erinnerung gibt, hält das Böse die Wunde weiter offen." Doch die Botschaft kam in Ankara schlecht an. Das Außenministerium bestellte in einem eher seltenen Vorgang den vatikanischen Botschafter ein. Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf dem Papst auf Twitter vor, er schüre "Hass". Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan schalt die Predigt als "Unsinn" und warnte Franziskus unverhohlen vor einer Wiederholung.

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