Hier irrt der Papst

19. Mai 2016 in Kommentar


Franziskus sprach vom „Konzept der Eroberung“ im Islam und behauptete dann, man könne das Ziel des Matthäus-Evangeliums als „gleichen Eroberungs-Begriff interpretieren“. kath.net-Kommentar von Peter Winnemöller


Geseke-Rom (kath.net/pw) „Hier irrt der Papst.“ Man darf schon fragen, ob das überhaupt geht. Dem Papst ist doch die Irrtumslosigkeit sozusagen ins Amt gelegt. Doch sind dem auch wieder sehr enge Grenzen gesetzt. Es muss eine Aussage zur Glaubens- oder Sittenlehre sein, es muss feierlich verkündigt werden und es muss der Anspruch auf Unfehlbarkeit zum Ausdruck gebracht werden. In dem Falle kann ein Papst nicht irren. Auch dann, wenn ein Papst die Lehre der Kirche unverkürzt verkündet, kann er nicht irren, denn wer die Wahrheit lehrt, ist vor Irrtum sicher. Das gilt nicht nur für den Papst.

„Hier irrt das Bundesverfassungsgericht.“ Diesen Satz einmal zu schreiben, davon träumen viele Jurastudenten. Manche trauen sich nicht, andere trauen sich. Danach sollte eine echt gute Begründung folgen, sonst ist die Note dahin. Das Bundesverfassungsgericht ist in Deutschland die höchste juristische Instanz. Und dennoch wird es niemand bemängeln oder dramatisieren, wenn man diesem einen Irrtum nachweist.

Der wissenschaftliche Fortschritt lebt davon, Irrtümer aufzudecken, nachzuweisen und in Gestalt neuer Gedanken, Thesen oder Formeln zu beseitigen. Die Politik und die Diplomatie können nur dann das Wohlergehen der Menschen sichern, wenn man ihre Irrtümer und Fehler offenlegt und im Diskurs oder in Verhandlungen beseitigt.

Doch hier geht es um innerweltliche Fragen des mitmenschlichen Miteinanders, bei denen immer die erbsündlich gebrochene Natur des Menschen die Grenzen des Machbaren bestimmen. Zeitliche Irrtümer haben auch nur zeitliche Folgen. In der Kirche geht es um mehr, da geht um ewige Wahrheiten und möglicherweise um ewige Folgen. Das Verharren im Irrtum in Fragen des Glaubens und der Sitten kann unter Umständen den Verlust der ewigen Seligkeit bedeuten. Darum ist hier die weitaus größere Sorgfalt angebracht. Und kein seriöser Theologe, kein Priester, kein Bischof und erst recht kein Theologiestudent träumt davon, einmal schreiben zu können: „Hier irrt der Papst“, handelte es sich um Fragen des Glaubens und der Sitten. Die Folgen wären fatal, behielte er recht.

Aus diesem Grund haben die Päpste der Vergangenheit jedes öffentlich gesprochene lehramtliche Wort mehrfach prüfen lassen, um die Gefahr auch des geringsten Irrtums zu vermeiden. Dies gilt, insofern es sich um Fragen der Lehre handelt auch sicher für Papst Franziskus.

Bereits Papst Benedikt XVI. hatte jedoch im Vorwort seines dreibändigen Werkes „Jesus von Nazareth“ ausdrücklich betont, dass Widerspruch hier möglich ist. Er begründete dies damit, dass es eben kein lehramtlicher Akt sei, ein wissenschaftliches Buch zu veröffentlichen. Dabei erbat sich der Papst allerdings „jenen Vorschuss an Symaphatie, ohne den es kein Verstehen gibt.“[1] Und nun hätte es doch klappen können. „Hier irrt der Papst“ wäre als Aussage in einer Seminararbeit möglich gewesen. Doch wer traut sich schon gegen den Mozart der Theologie aufzuspielen?

In einem Interview mit der französischen Zeitung „La Croix“ sagte Papst Franziskus, „Es ist wahr, dass das Konzept der Eroberung der Seele des Islam innewohnt. Aber man könnte das Ziel des Matthäus-Evangeliums, in dem Jesus seine Jünger in alle Nationen aussendet, als gleichen Eroberungs-Begriff interpretieren.“

Der Blogger „Le Penseur“ stellt in einem Artikel dazu die Perikope aus dem Matthäus-Evangelium der Sure aus dem Koran gegenüber. Und schreibt dazu: „Das ist, Euer Heiligkeit, schlichtweg kompletter Unsinn! Wer den Unterschied zwischen den Sätzen des Evangeliums [...] und des Koran [...] nicht erkennt, sondern als den gleichen Eroberungs-Begriff zu interpretieren vermag, sollte eigentlich sein Theologie-Diplom zurückgeben, bzw. nimmt es an Rabulistik locker mit jedem Staatsanwalt kommunistischer Schauprozesse (oder NS-Volksgerichtshof-Verfahren, wenn einem dieser Vergleich sympathischer ist) auf.“[2] Hier lässt Le Penseur, auch wenn ihm inhaltlich zuzustimmen ist, eindeutig jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt, vermissen. Es ist blanke Polemik, wie er schreibt. Man das machen, am Ende ist man damit sehr einsam.

Doch es lohnt wirklich, die Aussage des Papstes anzusehen. Papst Franziskus behauptet, man könne das Ziel des Matthäus-Evangeliums als Eroberungs-Begriff interpretieren.

Hier irrt der Papst.

Es ist in der einschlägigen exegetischen Literatur, soweit sie dem Verfasser dieses Artikels bekannt ist, nicht eine einzige These zu Mt 28,18-20 bekannt, die dies behaupten würde. Der Textbefund des Taufbefehls gibt dies nicht im Geringsten her. Es besteht wohl durchaus ein Unterschied zwischen Eroberung mit der Waffe und dem Lehren und Taufen. Letzteres gebietet der Taufbefehl. Vom Umgang mit der Waffe rät Jesus selbst angesichts seiner Verhaftung ab.[3] Wer durch das Schwert kämpft, wird dann eben auch durch das Schwert umkommen. Das gilt auch für die Mission.

Wohl ist es so, dass in früheren Jahrhunderten christliche Machthaber Kriege geführt und Länder erobert haben. Dabei wurde nicht selten die Ausrede der Mission als vermeintliche Legitimation für Eroberungen gebraucht. Legitim im Sinne der Kirche war dies niemals. Eine theologische Rechtfertigung dafür hat niemals den Rang einer offiziellen Lehre der Kirche erlangt. Der Unterschied zur einschlägigen Sure im Koran ist signifikant.

Dem Papst ist zuzustimmen, wenn er den Fehler der Eroberung und Unterdrückung von Völkern durch machtbewusste Herrscher und deren Ausreden (z.B. Mission) kritisiert. Ihm ist zu widersprechen, wenn er dies als legitime oder mögliche Auslegung von Mt 28,18-20 darstellt. Der Versuch durch einen Vorschuss an Sympathie zu verstehen, was der Papst zum Ausdruck bringen wollte, sei damit erbracht, auch wenn Widerspruch in der Sache nötig ist.

Gewalt als Mittel der Mission kann im Christentum niemals als legitim angesehen werden. Diese Aussage dürfte auf Anhieb d'accord mit dem Papst sein.

Und wer nun glaubt, man könne des Satz „Hier irrt der Papst“ als Katholik nicht schreiben, ohne gleich das Papsttum in seiner Gesamtheit in Frage zu stellen, sei durch diesen Artikel eines Besseren belehrt. (Nebenbemerkung: Es hat auch ein bisschen Spaß gemacht.)

Wer aber glaubt, einen Papst wegen einer kritischen Aussage in einem Interview gleich zum Papa haereticus stempeln zu können, sollte vielleicht doch einmal bei einem so diskussions- und diskursfreudigen Wissenschaftler und Papst wie Josef Ratzinger / Benedikt XVI. in die Lehre gehen.

Wer am Ende Angst davor hat, dass ein Papst, der in einem Interview zu locker und theologisch etwas unsauber daher redet, gleich den Untergang der Kirche auslösen könnte, sollte sich durch Betrachten von Mt 16,18 beruhigen lassen.

In einer Medienwelt ist auch der Papst ein Medienereignis. Bleibt er darin nicht nur passiv, sondern mischt aktiv – eben auch durch Interviews – mit, dann sind kleinere Verbalunfälle nicht zu vermeiden. Es liegt im System.

Das ist im Grunde trotzdem sympathischer als eine hochprofessionelle völlig plangeschliffene und dadurch am Ende nur allzu flache, nichtssagende Pressearbeit, wie man sie andernorts kennt. Für Aufmerksamkeit – letztendlich Aufmerksamkeit für das Evangelium – nimmt der Papst also offensichtlich auch mal ein blaues Auge in Kauf.

Aus Mediensicht muss man sagen: Hier irrt der Papst nicht.

Fußnoten
1 Josef Ratzinger / Benedikt XVI. Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freburg i.Br. 2007. S. 22.
2 http://lepenseur-lepenseur.blogspot.de/2016/05/wer-so-einen-papst-hat-braucht-keinen.html
3 Vgl. Mt 26, 52



Foto Peter Winnemöller (c) kath.net/Michael Hesemann


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