28. Juni 2003 in Aktuelles
Die irakische Bevölkerung brauche vor allem Stabilität, meinte der päpstliche Legat in einem Interview nach seiner Rückkehr aus dem Irak.
Vatikan (www.kath.net / ZENIT.org)
Erzbischof Paul Josef Cordes, Präsident des Päpstlichen Rates "Cor Unum" bestätigte nach seiner Rückkehr von einer Reise in den Irak, die er im Namen des Heiligen Vaters unternommen hatte, dass die irakische Bevölkerung vor allem "Stabilität" braucht, um wieder an die Zukunft denken zu können. Der Erzbischof ist für die Koordination und Förderung der Aktivitäten katholischer Hilfswerke zuständig. In dem folgenden Interview nennt er die großen Schwierigkeiten beim Wiederaufbau des Landes, aber auch das Engagement der Christen bei dieser Aufgabe.
Wie ist die Lage im Irak?
Erzbischof Cordes: Der Weg zur "Normalität" scheint noch sehr lang. Die Leute verlangen nach Elektrizität, Wasser und Nahrung. Derzeit sind politische Probleme hintan gestellt, denn es geht ums Überleben. Daher muss die erste Errungenschaft, die garantiert werden sollte, Stabilität sein. Stabilität ist unerlässlich, damit das Problem des politischen Systems gelassen angegangen und das Risiko eines theokratischen Systems oder eines Konfliktes zwischen Christen und Muslimen vermieden werden kann. Ein solcher Konflikt würde sich unweigerlich zum Nachteil der Christen auswirken. Ich habe den Eindruck, die amerikanische Militärverwaltung wird nicht von kurzer Dauer sein, ganz im Gegenteil.
Warum sind Sie in den Irak gereist?
Erzbischof Cordes: Der Papst selbst hat mir diese Mission übertragen, um einen persönlichen Eindruck von der Lage zu gewinnen. In Bagdad, aber auch in anderen irakischen Städten habe ich mich mit den christlichen Gemeinden getroffen und konnte feststellen, dass sie beim Wiederaufbau des Landes mit den Alliierten und den Vereinten Nationen kooperieren wollen.
Sind sie besorgt?
Erzbischof Cordes: Sagen wir, es fehlt nicht an Grund zur Besorgnis. Ich habe Bedenken, ob das Demokratiemodell, das die Amerikaner exportieren wollen, dort anwendbar ist. Die amerikanische Demokratie ist eine große, aus Parteien bestehende Demokratie, die auf Zahlen basiert: jeder Bürger hat eine Stimme. Meines Erachtens kann ein solches System aber nicht unbedingt in ein Land mit einer ganz anderen Kulturdynamik - wie der Irak es ist - eingeführt werden. Ich glaube, die USA werden verstehen, dass dieses Modell nicht anwendbar ist und dass man vielmehr an ein anderes Modell denken sollte: an eines, das die Geschichte des Irak berücksichtigt.
Sind sich die Amerikaner dieses Problems bewusst?
Erzbischof Cordes: Diejenigen, die ich getroffen habe, sind auch meiner Ansicht. Daher scheint mir, dass sie wohl noch sehr lange dort bleiben werden. Es kann nicht einfach so übers Knie gebrochen werden. Eine neue Staatsstruktur wird es nicht von heute auf morgen geben. Und da liegt auch das Risiko, denn je länger der von den Irakern als militärische Besatzung interpretierte Aufenthalt dauert, desto schwächer wird dieser kleine Überschuss an Gewogenheit, auf den man momentan aufbauen könnte.
Wie ergeht es den Christen in dieser Situation?
Erzbischof Cordes: Es gibt positive Zeichen. In Mosul im Norden des Landes konnte ich zum Beispiel feststellen, dass an der Stadtverwaltung nach dem Sturz von Saddam Hussein auch einige Christen beteiligt sind. Auch konnte ich beobachten, dass viele Iraker die Aktivitäten des Papstes honorieren. Doch in einem Land mit überwältigender muslimischer Mehrheit - 60 % sind Schiiten - und einer christlichen Minderheit von gerade 4 % besteht immer das große Risiko einer Theokratie.
Im gesamten Nahen Osten ist die Abwanderung der christlichen Bevölkerung ein sehr großes Problem. Kann es auch im Irak zu einem Massenexodus der Christen kommen?
Erzbischof Cordes: Nein, diesen Eindruck hatte ich nicht. Vielmehr scheinen sie sich für das Land zur Verfügung zu stellen, um zum humanen, zivilen und materiellen Wiederaufbau etwas beizutragen. In diesem Sinne ist auch das Dokument der irakischen Bischöfe vom 29. April sehr positiv zu werten, in dem sie ganz entschieden diese Absicht zum Ausdruck bringen. Selbstverständlich, und hier komme ich auf das vorhin Gesagte zurück, müssen den Minderheiten gewisse Garantien zugestanden werden.
Wie kann man dem Irak momentan helfen?
Erzbischof Cordes: Es führt vor allem kein Weg daran vorbei, Stabilität und Sicherheit zu garantieren. Am meisten tut die Wasserversorgung der Bevölkerung, die Nahrungsbeschaffung und die Versorgung mit Elektrizität Not. Auch das Sicherheitsproblem ist immer noch sehr groß. Man denke nur an die Plünderung eines ganzen Konvois mitten in der Wüste, der vor einigen Wochen von Amman in Richtung Bagdad unterwegs war. Gott sei Dank waren die Wegelagerer so "freundlich" und haben den Fahrern die Fahrzeuge nicht auch noch weggenommen, so dass sie wieder nach Jordanien zurückkehren konnten. Unter solchen Umständen kann keine humanitäre Hilfe entfaltet werden. Daher ist das Wichtigste für alle, so schnell wie möglich für Stabilität und Sicherheit zu sorgen.
Wie denken Sie heute über den Krieg?
Erzbischof Cordes: Krieg schafft keinen Frieden und darf daher auch nicht als Mittel zur Vernichtung des Bösen im Herzen des Menschen betrachtet werden. Und ich möchte hinzufügen, dass sich all das als unwahr erwiesen hat, was man zur Rechtfertigung dieses Konfliktes gesagt hat. Daher frage ich mich: warum sucht man nicht bis zum Schluss einen anderen Weg? Gott sei Dank war der Krieg von kurzer Dauer und hat nicht zu verheerenden Zerstörungen geführt. Wenn wir bedenken, was alles hätte passieren können und wovor alle Angst hatten, dann können wir nur froh sein.
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