'Probleme sind virulent, offene Thematisierung ist überfällig'

26. Jänner 2016 in Interview


FDP-Vize Katja Suding im kath.net-Interview zur Flüchtlingsfrage: „Die Mitte der Gesellschaft muss sagen was Sache ist“. Von Merkels Flüchtlingspolitik hält Suding „wenig“. Von Petra Lorleberg


Hamburg-Berlin (kath.net/pl) „Die Probleme sind in Köln, Hamburg und anderswo seit längerem so virulent, dass eine offene Thematisierung überfällig ist. Das Verschweigen hilft politischen Extremisten, das Benennen und das Angehen der Probleme entzieht denen nach meiner Einschätzung den Resonanzboden.“ Dies sagt Katja Suding, stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Landesvorsitzende der FDP Hamburg (Foto), im kath.net-Interview.

kath.net: Frau Suding, in Köln und in anderen Städten kam es in der Silvesternacht zu massiven sexuellen Übergriffen gegen Frauen, unter den Augen der Polizei war ihnen der Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr gefahrlos möglich. Der Kölner Kardinal Woelki spricht inzwischen von „marodierenden Männerhorden“. Die Interpretationen variieren allerdings von oktoberfestähnlichen Zufallsereignissen bis hin zum waffenlosen Terroranschlag. Was ist Ihrer Einschätzung nach in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof geschehen?

Suding: Es ist offensichtlich, dass wir in Deutschland ein heftiges Problem mit einem Teil junger Zuwanderer aus Nordafrika und Arabien haben.

Aus meiner Sicht bedarf es hier eines härteren Vorgehens der Polizei, wie wir es zum Beispiel in Hamburg erst seit Mitte Januar erleben. Gleichzeitig müssen Abschiebungen straffälliger Ausländer konsequenter vollzogen werden, die von der Großen Koalition in Berlin angekündigten Verschärfungen der Voraussetzungen dazu unterstützen wir.

Wir erwarten, dass sich insbesondere die SPD in den rot-grünen Koalitionen in Hamburg, Düsseldorf und anderswo den Bestrebungen ihres Koalitionspartners widersetzt, diese Maßnahmen zu verwässern.

kath.net: Vermissen Sie den #aufschrei der Feministinnen? Und: Verstehen Sie es, dass seit Silvester sehr viele Frauen explizit Angst äußern?

Suding: Natürlich verstehe ich die Angst. Das Kleinreden und Relativieren des Vorgangs durch die #aufschrei-Aktivistinnen hilft niemandem: Nicht den vielen Flüchtlingen, die sich anständig verhalten und keine Probleme mit dem Strafrecht bekommen. Nicht den verängstigten Frauen, die sich nach den Übergriffen mehr Sicherheit wünschen. Und nicht den Polizisten, Staatsanwälten und Richtern, die Unterstützung für ihre schwierige Arbeit verdient haben.

kath.net: Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich spricht von „Schweigekartell“, nicht nur für Köln. Wurde Ihrer Einschätzung nach die Öffentlichkeit über Silvesternacht-Vorfälle zeitnah und ausreichend informiert?

Suding: Offenbar war das in Köln nicht der Fall. Ich teile die Einschätzung Christian Lindners: Die NRW-Landesregierung und insbesondere Innenminister Jäger haben mindestens fahrlässig zugelassen, dass hier ein Klima des Verleugnens und Verschweigens entstanden ist. Das darf nicht wieder passieren.

kath.net: Unter dem Titel „Staatsohnmacht“ sprach das Titelblatt des „Spiegel“ vor kurzem von „rechtsfreien Räumen“ und „hilfloser Polizei“. Mit der Frage „Können wir uns noch sicher fühlen?“ griff der „Spiegel“ den Vorwurf auf, dass die innere Sicherheit in Gefahr sei. Verbalisiert der „Spiegel“ mit solchen Aussagen berechtigte Ängste der Bevölkerung? Aber spielen solche Formulierungen nicht gerade rechtsextremen Kreisen in die Hände?

Suding: Die Probleme sind in Köln, Hamburg und anderswo seit längerem so virulent, dass eine offene Thematisierung überfällig ist.

Das Verschweigen hilft politischen Extremisten, das Benennen und das Angehen der Probleme entzieht denen nach meiner Einschätzung den Resonanzboden.

Die Mitte der Gesellschaft muss sagen was Sache ist, auch die Medien, die politische Mitte muss handeln.

kath.net: Apropos Rechtsextremismus: Wie bewerten Sie die Gewaltausbrüche am rechten Rand der Gesellschaft? Sind brennende Asylunterkünfte und Gewalt gegen Flüchtlinge wirklich eine „Kulturbereicherung“? Wie können wir uns gegen diese Unmenschlichkeit von rechts wehren?

Suding: Wir verurteilen solche Gewaltausbrüche mit aller Schärfe. Polizei und Justiz müssen rassistisch und ausländerfeindlich motivierte Übergriffe genauso verfolgen wie die Übergriffe von Köln.

Das Recht ist unteilbar, Verstöße müssen ohne Ansehen der Person oder Motivation verfolgt werden. Die Rechtstaatspartei FDP hat das immer gesagt und bleibt dabei.

kath.net: Wäre es mit unseren europäischen Werten vereinbar, über die existenzielle Not echter Flüchtlinge hinwegzusehen? Gebietet uns nicht vielmehr auch weiterhin die Mitmenschlichkeit dringendst, dass wir Herzen und Hände öffnen? Und: Brauchen wir obendrein die integrationsbereiten Menschen unter den Flüchtlingen für unsere eigene Gesellschaft?

Suding: Natürlich brauchen wir weiter ein Asylrecht, dass den Menschen hilft, die vor Krieg und Gewalt fliehen. Und wir unterstützen eine Willkommenskultur, die diesen Menschen ein würdiges Leben und ein gute Integration ermöglichen. Dazu braucht es frühe Bildungsangebote, intensive Begleitung – aber auch die klare und frühe Trennung der Verfolgten von denjenigen, die hier nur bessere Lebensverhältnisse suchen als in ihrer Heimat. Letzteres ist kein Asylgrund.

kath.net: Frau Suding, was halten Sie von der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel?

Suding: Wenig: Merkel hat die Grenzen geöffnet und ihr berühmtes ‚Wir schaffen das‘ gesagt, ohne dass sie die Voraussetzungen für dieses Versprechen etabliert hat. Das ist fahrlässig und rächt sich nun.

Deutschland braucht stattdessen ein Einwanderungsgesetz, das Migration zu unseren Bedingungen in unserem Interesse lenkt.

Und wir sollten die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge unter einen zeitweiligen Schutz mit Rückkehrpflicht stellen, statt das Asylrecht zu nutzen.

kath.net: Hätte Frau Merkel politische Grundsatzentscheidungen dieser Größenordnung durch den Bundestag billigen lassen müssen? Wurden von der CDU/SPD-Bundesregierung im Vorfeld Bedenken aus der Bevölkerung ausreichend zur Kenntnis genommen und auf ihre Stichhaltigkeit hin reflektiert?

Suding: Merkels Entscheidung des ersten Septemberwochenendes hätte spätestens kurz danach im Bundestag beraten werden sollen. Dann wären sicher auch Bedenken aus der Bevölkerung mehr zur Sprache gekommen. Überdies fehlte die Beteiligung der europäischen Partner, was uns nun in einer besonders schwierigen Zeit auf dem Kontinent isoliert.

kath.net: Sollte den sexuellen Gewaltausbrüchen der Silvesternacht sowie den Erkenntnissen, dass auch Terroristen in unseren Flüchtlingsunterkünften Obdach und Hilfe gefunden hatten, jetzt differenziert und offen eine gesellschaftliche und parlamentarische Neudiskussion über die Flüchtlingsthematik erfolgen?

Suding: Aus meiner Sicht erfolgt die offene Diskussion jetzt.

Wir sehen, dass es gute Rahmenbedingungen nicht nur für Hilfe oder Unterbringung sondern auch für die innere Sicherheit braucht. Hier war die Große Koalition eindeutig nicht vorbereitet.

Die Menschen müssen sich auf den Staat verlassen können, der für ihre Sicherheit sorgt – ohne bürokratische Überregulierung aber mit kraftvollem Handeln.

kath.net: Was vermuten Sie: Könnte die Flüchtlingsfrage die Kanzlerin ihr Amt kosten?

Suding: Der Druck auf die Kanzlerin wird angesichts sinkender Umfragewerte und absehbar schwacher Ergebnisse bei den Landtagswahlen im März noch steigen.

kath.net: Nächstes Jahr steht wieder eine Bundestagswahl an. Welchen Kurs geht die FDP in der Flüchtlingsfrage? Wie positioniert sie beispielsweise zu den Punkten Identitätsprüfung, Strafverfolgung bei Flüchtlingen, Grenzschutz, Einwanderungsgesetz und last not least Verstärkung der Integrationsbemühungen?

Suding: Die FDP fordert mehr Geld für rasche Integrationsbemühungen und frühen Spracherwerb, erwartet aber auch die Stärkung von Polizei und Justiz. Wir unterstützen Identitätsprüfungen und eine erleichterte Abschiebung ausländischer Krimineller.

Wir plädieren für einen zeitweisen, widerrufbaren Schutz für syrische Kriegsflüchtlinge abseits des Asylrechts und fordern seit langem ein modernes Einwanderungsgesetzt, das uns ermöglicht Aspiranten nach Qualifikation auszuwählen.

Und Deutschland muss wieder eine Rolle in Europa einnehmen, die uns nicht isoliert sondern die Einheit Europas auch in der Flüchtlingspolitik stärkt.

kath.net: Danke für Ihre Antworten!

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Foto FDP-Vize Suding © FDP


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