Irak: 'Weiteren Völkermord an Christen verhindern'

14. Dezember 2015 in Weltkirche


Irakisch-schweizerische Regisseurin Al-Hassani im "Kathpress"-Interview über ihren Film "Noun - Christenverfolgung im Irak", in dem sie christliche Flüchtlinge porträtiert, die vor dem IS-Terror fliehen mussten - Aktionstag für verfolgte Christen in


Wien (kath.net/KAP) "Noun - Christenverfolgung im Irak" heißt der Film der irakisch-schweizerischen Filmemacherin Aida Schläpfer Al-Hassani, in dem sie Schicksale der von IS-Terroristen verfolgten Christen in Flüchtlingslagern im Irak zeigt. Mit ihrem Film wolle sie der Weltöffentlichkeit die Augen öffnen und zeigen, was im Irak tatsächlich vor sich geht und einen weiteren Völkermord an den Christen verhindern, so die Regisseurin im "Kathpress"-Interview: "Und ich will auch den vielen traumatisierten Kindern eine Stimme geben."

Al-Hassani stellte ihren Film am Donnerstagabend in Wien zum Abschluss der Aktionstages für Verfolgte Christen im "Bellaria"-Kino vor. "Noun" steht für "N" ("Nazrani" bzw. "Nazarener", wie die Christen im arabischen Raum genannt werden).

Die Regisseurin drehte u.a. Szenen in Flüchtlingslagern in Erbil, sie zeigt Familien am Ende ihrer Kräfte; Menschen, die Kinder, Eltern, Angehörige oder Freunde verloren haben. Drei Mal war Al-Hassani zu Dreharbeiten im Irak. Im Juni 2014, also kurz vor dem IS-Vormarsch gegen Mosul und die Niniveh-Ebene, im September 2014 und zum Jahreswechsel 2014/15. Sie drehte in Erbil, Bagdad und Basra und lässt in ihrem Film u.a. Kinder zu Wort kommen, die traumatisiert sind durch erlittenen Verlust. Wie das kleine Mädchen Dalal: "Ich vermisse unser Zuhause, meine Freunde, meine Schule und meine Lehrer, unsere Kirchen. Ich vermisse das und vieles mehr. Ich wünschte, sie würden uns unsere Häuser zurück geben, unsere Schulen und Kirchen."

"Wenn du die vielen Kinder mit den dunklen Augenringen siehst, dann weißt du, dass sie nicht schlafen können und Angst haben", zeigte sich die Filmemacherin im "Kathpress"-Gespräch auch jetzt noch erschüttert. Sie sei von ihren Dreharbeiten selbst "seelisch krank" zurückgekommen, so Al-Hassani.

Die christlichen Flüchtlinge seien in der Mehrheit schwer traumatisiert und würden niemandem mehr wirklich vertrauen. Und das könne sie auch verstehen. "Wenn du 20, 30 Jahre oder noch länger mit deinen muslimischen Nachbarn Tür an Tür lebst und dann sind sie plötzlich von einem Tag auf den anderen deine Feinde, dann ist dieses Misstrauen verständlich." Viele Christen berichteten, dass sich ihre muslimischen Nachbarn dem IS angeschlossen bzw. zumindest die Situation ausgenützt hätten und sich an den Plünderungen und Übergriffen gegen die Christen beteiligt hatten.

Für ihren Film recherchierte Al-Hassani auch die Geschichte der Christenverfolgung in ihrer Heimat. Nach eigenen Worten war sie selbst entsetzt über die vielen Massaker und Vertreibungen, denen Christen während des ganzen 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren, angefangen vom Völkermord im Osmanischen Reich ab 1915.

Wenn sie von den Christen spricht, dann verwendete Al-Hassani im "Kathpress"-Gespräch die Formulierung "mein Volk". Alle Iraker gehörten zusammen und seien durch die Liebe zu ihrem Land verbunden, sagte sie. Früher hätten Sunniten, Schiiten, Kurden, Christen als Nachbarn friedlich zusammengelebt, so Al-Hassani. Sie ist Schiitin und Tochter eines Irakers. Die Mutter ist Libanesin. Sie wuchs sieben Jahre in Bagdad auf, bevor die Familie vor dem Regime von Saddam Hussein in den Libanon flüchtete. Schließlich kam sie in die Schweiz, wo sie seit 20 Jahren lebt. Im Irak hatte sie eine katholische Schule besucht und mit Zustimmung der Eltern auch am katholischen Religionsunterricht teilgenommen.

Für sie als Schiitin - Al-Hassani trägt kein Kopftuch - sei es anfangs schwierig gewesen, das Vertrauen der christlichen Flüchtlinge zu gewinnen: "Die Menschen sind verängstigt und wissen nicht, wem sie trauen können. Und das kann ich auch verstehen."

Die Gräben zwischen den Religionen im Irak seien derzeit nur allzu deutlich spürbar, berichtete die Filmemacherin. Für ihr Filmteam musste sie auf rein schiitische Mitarbeiter zurückgreifen, alles andere wäre nicht möglich gewesen. Trotzdem glaube sie, dass es für den Irak und für die Christen im Land eine friedliche Zukunft geben kann. "Christen, Schiiten und Jesiden könnten sicher wieder gemeinsam in Frieden leben", so Al-Hassani. Die Sunniten erwähnte sie dabei freilich nicht.

Die Christen wollten ihre Heimat nicht verlassen, bekräftigte die Filmemacherin. Doch je länger der Konflikt dauere, umso weniger Perspektiven würden sie in ihrer Heimat vorfinden. Und dann bleibe nur der Weg ins Ausland. Die Christen bräuchten viel mehr Solidarität von der internationalen Staatengemeinschaft, und das schließe auch die Kirche ein. "Ich habe noch nie so gläubige und friedliche Menschen in meinem Leben gesehen wie die christlichen Iraker. Aus ihrem Glauben schöpfen sie noch Kraft." Es wäre eine "unglaublich wertvolle Unterstützung" für die Vertriebenen, wenn Papst Franziskus das Land besuchen würde, so Al-Hassani. Auch ein Besuch von Bischöfen aus dem Westen - Österreich inklusive - würde den Flüchtlingen unendlich viel Mut und Hoffnung schenken, "dass sie nicht vergessen und verloren sind".

Einsatz für Menschenrechte

"Noun" ist der siebente Film von Al-Hassani. In ihren Filmen ist es stets um Menschenrechte gegangen, berichtete sie. In einem habe sie sich etwa mit der Revolution in Ägypten, in einem weiteren mit arabischen Flüchtlingen in München beschäftigt.

Beim Filmfestival in Locarno erregte "Noun" Aufsehen. Wegen "technischer Mängel" wurde er abgelehnt, dann aber bei einem anderen Festival in der Schweiz sowie auf diversen arabischen Festivals in Europa gezeigt. Al-Hassani war über die Ablehnung in Locarno zuerst "schockiert", wie sie bei der Präsentation in Wien sagt. Mitten in der Flüchtlingskrise sollte man die Aktualität des Inhalts bewerten und die schwierigen Drehbedingungen in Betracht ziehen. Die Regisseurin vermutet eher eine "feige Haltung" der Schweizer Behörden. "Man will diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit bringen." Umso erstaunter war die Filmemacherin über das Interesse und das Echo in den arabischen Staaten. Der Film zeige wohl, dass der IS nicht den Islam repräsentiert.

Bislang konnte die Regisseurin nur eine Kurzfassung ihres Films zeigen. An der Langfassung arbeite sie noch. Der Film soll im März oder April 2016 in die Kinos kommen.

Fackelzug und Gottesdienst

Der Aktionstag für verfolgte Christen wurde mit einem Fackelzug von der Wiener Oper zum Stephansdom eröffnet. An der Spitze des Zuges trug ein syrisch-orthodoxer Diakon im liturgischen Gewand das Kreuz. Prominente Teilnehmer des Zuges waren u.a. der Wiener Weihbischof Franz Scharl und der Rektor der Päpstlichen Hochschule Heiligenkreuz, P. Karl Wallner. 1.500 Menschen, darunter auch zahlreiche Flüchtlinge, nahmen an dem Fackelzug und dem anschließenden ökumenischen Gottesdienst im Stephansdom teil. Bei der Station vor der Malteserkirche in der Kärntnerstraße ergriff auch die schiitische Filmemacherin Al-Hassani das Wort.

"Die Opfer des IS sind die Märtyrer von heute", so der Jugendseelsorger der Erzdiözese Wien, Gregor Jansen, beim Gottesdienst Im Stephansdom. Die Islamisten wollten das Christentum in seinen Kerngebieten im Irak und in Syrien ausrotten. Aber auch in Europa würden die anti-christlichen Signale immer hörbarer, stellte Jansen fest. Der Atheismus werde "immer lauter, Glocken, Kreuze, christliche Bräuche werden in Frage gestellt".

Die Sammlung beim Gottesdienst diente zur Unterstützung von syrischen Schulkindern. Die Hilfsorganisation "Christian Solidarity International" (CSI) finanziert damit den Transport von Kindern aus christlichen Dörfern in ihre Schule in Damaskus. "Solange die Menschen sehen, dass ihre Kinder in Syrien Zugang zu Bildung haben, sehen sie eine Zukunftsperspektive und bleiben im Land. Dabei wollen wir ihnen helfen", so CSI-Generalsekretär Elmar Kuhn am Rande des Gottesdienstes gegenüber "Kathpress".

Zum Aktionstag hatte die Plattform "Solidarität für verfolgte Christen" eingeladen, der mehr als 20 Organisationen angehören und die "multikonfessionell" zusammengesetzt ist; zu den Mitgliedsorganisationen gehören u.a. die Österreich-Sektion von CSI, die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV), die Evangelische Allianz, die Stiftung "Pro Oriente", das Hilfswerk "Kirche in Not" und die evangelikale Bewegung "Open Doors".

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