Die Wahrheit der Ehe und die Tür der Umkehr

8. Dezember 2015 in Interview


Kardinal Sarah: Die Todsünde Europas ist die schweigende Apostasie. Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene: diese ‚Tür’ hat Christus selbst verschlossen. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Liturgie, Gottesverdunkelung in Europa, die notwendige Wiederentdeckung der christlichen Wurzeln und ein kontroverses Thema der Bischofssynode (2015) standen im Mittelpunkt eines ausführlichen Gesprächs mit dem Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Robert Kardinal Sarah.

Nicht nur die Tätigkeit des Kardinals als Präfekt eines bedeutenden Dikasteriums der Römischen Kurie und Synodenvater bat den Anlass, sondern auch sein jüngstes Buch „Gott oder Nichts. Ein Gespräch über den Glauben“ (Fe-Medienverlag, Kißlegg 2015), in dem sich Sarah mit den Grundfesten des Glaubens auseinandersetzt. Es war Erzbischof Georg Gänswein, der das Werk im November 2015 als „radikales“, das heißt an die Wurzeln gehendes Buch würdigte: radikal „im Sinne des Wortursprungs. Das lateinische ‚radix’ heißt ‚Wurzel’ im Deutschen. In diesem Sinn ist das Buch radikal. Denn dorthin, zu den Wurzeln unseres Glaubens, führt uns dieses Buch wieder zurück. Es ist die Radikalität des Evangeliums, die dieses Buch inspiriert“.


Vor einigen Jahren – nicht zuletzt in Verbindung mit dem Motu proprio „Summorum“ Pontificum“ Papst Benedikts XVI. (2007) zur außerordentlichen Form des einen Römischen Ritus – wurde auch intensiv über die Notwendigkeit einer „Reform der Reform“ der Liturgie als Neuansatz bei „Sacrosanctum Concilium“ diskutiert. Es sollte neu deutlich werden, dass und wie die Liturgie Quelle und Ziel, Höhepunkt des christlichen Lebens ist. Ihr Vorgänger als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung betonte 2011: „Die Liturgie stellt uns vor Gott selbst, vor das Wirken Gottes, vor seine Liebe. Wir werden eine dringend notwendige Neuevangelisierung nur dann fördern, wenn die Liturgie wieder den Platz einnimmt, der ihr im Leben aller Christen zukommt“.

Welcher neuen Form der Katechese bedürfte es, um das liturgische Geschehen wieder zum wahren Quell des Lebens der Kirche werden zu lassen?

Kardinal Sarah: Die Liturgie ist an sich Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens. Das ist so, jenseits aller Katechese. Gewiss aber bedarf es dringend einer liturgischen Bildung, deren Ziel das tiefere Verständnis der Sakramente ist. Für den Menschen ist es lebenswichtig und unentbehrlich, die persönlichen und inneren Bande mit Gott durch ein wahres und ausgeprägtes liturgisches Leben neu zu knüpfen. Heute ist es für alle Christen mehr denn je notwendig, den unschätzbaren Wert der Taufe, der Eucharistie, der demütigen Beichte zu entdecken. Aus diesem Grund ist es unabdingbar, den Getauften neu zu helfen, die Schönheit der persönlichen Begegnung mit Gott im Gebet und in der Anbetung als letzten Sinn ihres Daseins zu erfassen und zu leben. Wir wurden geschaffen, um Gott zu lieben, zu ihm zu beten und ihn anzubeten. Auf den Knien vor Gott erreicht der Mensch die höchste Ebene seines Daseins. Die mit ehrfürchtigem Glauben und Liebe gelebte Liturgie lässt uns unsere wahre Größe erreichen. Wo der Mensch Gott nicht mehr wahrnimmt, wird das Leben leer. Man kann es mit Reichtum füllen, mit Geld, Unterhaltung, Sex. All dies macht unser Leben nicht voll und uns nicht froh.

Was können oder sollen die Gläubigen tun, wenn sie mit einer Situation von liturgischen Missbräuchen konfrontiert sind? Worin erkennen Sie die Wurzel der Missstände im Bereich der Liturgie?

Kardinal Sarah: Die Wurzel der Irregularitäten im Bereich der Liturgie ist, wie dies der emeritierte Papst Benedikt XVI. bekräftigte, einem Problem mit dem Glauben geschuldet. Ohne eine klare eucharistische Ekklesiologie und ohne eine auf die heilige Messe konzentrierte Christologie nützt es nichts, von einer „Reform der Reform“ zu sprechen. Jede wahre Reform der Liturgie wird erst in der Neu-Entdeckung dessen konkret, was das Konzil uns aufgetragen hat. Ein Beispiel: die „Heilige Stille“. Die Liturgie sieht viele Momente der Stille vor. Sie sind der privilegierte Ort der Erfahrung der Gegenwart des Herrn. Doch das wird oft einfach nicht mehr begriffen. So läuft jeder Gefahr, den Blick zum Himmel abzuwenden, welcher der grundlegende Teil der Liturgie der Kirche ist.

Was die Missbräuche betrifft, sind die Christen vor allem dazu aufgerufen, die Auseinandersetzung mit ihrem Hirten zu suchen, indem sie auch für ihn beten. Sollte dann dieser fortfahren, diesen liturgischen Missbrauch zu wiederholen, ist der Gläubige zusammen mit anderen Zeugen eingeladen, sich mit dem eigenen Bischof zu konfrontieren. Steht der Missbrauch erst einmal fest, so ist der Ortsordinarius aufgefordert, die betreffende Person zurechtzuweisen und ihr standhaft die klare Vorgabe des Konzils in Erinnerung zu rufen: „Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des Rechtes beim Bischof... Deshalb darf durchaus niemand sonst, auch wenn er Priester wäre, nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern“ (SC 22).

All dies aber ist mit dem Blick auf das Ziel der Liturgie und der Kirche selbst zu tun: auf die Liebe und die Einheit.

Die aktuellen Ereignisse, die islamistischen Terrorakte in Paris haben einmal mehr die europäische Welt erschüttert. Worin sehen Sie hier insbesondere auch eine geistliche Gefahr für unsere europäische Gesellschaft, deren Wertegemeinschaft und halten Sie diese für gefährlicher als den Zerfall des Glaubens und die Gottesverdunklung in Europa? Erkennen Sie aus Ihrer Erfahrung einen Weg, wie ein positives Zusammenleben mit anderen Religionen gelingen kann? Wie sollte gegenüber dem Vordringen einer „heißen“ Religion wie des Islams die Antwort eines „kalt“ gewordenen europäischen und westlichen Christentums sein, dies angesichts eines immer mehr säkularisierten, indifferenten oder militant atheistischen Umfeldes?

Kardinal Sarah: Europa ist in Gefahr, weil es Gott vergessen hat, und folglich seine Kultur, seine Geschichte, seine Wurzeln, seine Identität. Es mag sein, dass das Phänomen des Terrorismus islamistischer Prägung ein vorübergehendes Phänomen ist, wir alle wünsche uns das. Doch das Problem eines Abendlandes, das sich nicht mehr erkennt, wird tragischerweise auch nachher bleiben. Der einzige Weg zur Verwirklichung eines Zusammenlebens zwischen Religionen besteht darin, dass sich unter allen ein menschlicher Dialog über die uns einenden menschlichen und moralischen Werte etabliert, wie die herausragende Würde der menschlichen Person, des Lebens, der Familie. Ein theologischer Dialog scheint mir objektiv schwierig zu sein. Wenn wir auf die brutalen Attentate von Paris blicken, so sehen wir, dass die Dschihadisten gerade jene Orte angegriffen haben, von denen wir meinen, sie seien Ausdruck des „Lebens“ von heute: Freiheit, die oft in Anarchie mündet; Unterhaltung; Unbeschwertheit. Doch ist der Westen nur das? Ist er nur das: eine zügellose Freiheit genießen zu können?

Ich glaube nicht. Es ist aber das, was ein degenerierter Teil des Islams angreift, der sich in trügerischer Weise im terroristischen Geist konkretisiert: diese Terroristen finden einen weichen Bauch, den sie treffen können, in dem uns die Abwesenheit Gottes und einer eigenen Identität schwach und wehrlos und somit nicht einmal fähig gemacht hat, einen Vorschlag positiven Lebens vorzubringen, der nicht in der Annahme besteht: „Ich lebe, wie es mir gefällt“.

Eminenz, in „Gott oder nichts“ schreiben Sie: „Die Entfremdung von Gott ist nicht die Folge eines Denk- und Argumentationsprozesses, sondern eine Willensentscheidung, sich von Ihm loszulösen. Die atheistische Lebenseinstellung ist fast immer eine Willensentscheidung. Der Mensch möchte nicht über seine Beziehung zu Gott nachdenken, da er danach strebt, selbst Gott zu werden“ (S. 237).

Worin sehen Sie die größte Schwäche der Christen in Europa, in dem Teil der Welt, der einst das „christliche Abendland“ war?

Kardinal Sarah: Die größte Schwäche, die ich die Todsünde Europas nennen würde, ist die „schweigende Apostasie“, von der schon der heilige Johannes Paul II. gesprochen hatte (vgl. Ecclesia in Europa, 9). Oder der Wille, einen „Humanismus ohne Gott“ aufzubauen. Europa und die westlichen Gesellschaften im Allgemeinen haben sich von Gott entfernt, dies nicht mehr und nicht allein auf der Grundlage einer Ablehnung seiner Existenz, sondern auch in den äußersten Konsequenzen auf der Grundlage einer Gleichgültigkeit gegenüber dem religiösen Sinn. So ist heute aus der für die Postmoderne typischen Behauptung, die mit der Revolution der Sitten der sechziger Jahre entsteht und nach der Gott nicht existiert, der Satz geworden: „Ob es ihn gibt oder nicht, zählt wenig: jeder ist frei zu glauben, was er will, solange er dies im Privaten tut“. Das bedeutet die Negation von allem, zu leugnen, dass der Mensch die Wahrheit suchen kann (insofern dies unnütz wäre): da nämlich alles gleich ist, zählt nichts mehr. Doch dieser Relativismus ist viel schlimmer als der Nihilismus. Der Westen will daher heute leben, indem er die Möglichkeit ausschließt, auf das große „Warum“ des Lebens eine Antwort zu geben, er will leben, ohne einen Bezug auf das ganzheitliche Wohl und auf die Werte der Liebe und der Gerechtigkeit zu haben.

Es war wieder Papst Benedikt XVI., der gesagt hat: „Erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist“ (24. April 2005). Deshalb ist der Westen, und nicht nur Europa, in Gefahr, weil er in diesem Prozess der Gottesvergessenheit das zerstört hat, was das Christentum an Höchstem und Schönstem gegeben hat: die Achtung des Lebens, der Würde des nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen. Und da ist ein letzter und noch schlimmerer Aspekt: er besteht im oft gewaltsamen Anspruch des Westens, diese seine Dekadenz auch dorthin zu „exportieren“, was nicht „Westen“ ist. Aber ich frage: wenn das Leben nicht in der Wahrheit sein letztes Ziel hat, welchen Sinn hat es dann noch?

Ist die Analyse nicht zu bedrückend? Zu aussichtslos? Ist es das Ende des Abendlandes?

Ich glaube, dass wir einen Neuanfang nur dann schaffen können, wenn wir Gott wieder in unser Leben eintreten lassen. Es muss uns gelingen, Gott wieder in den Mittelpunkt unseres Denkens zu stellen, in den Mittelpunkt unseres Handelns, in den Mittelpunkt unseres Lebens, an den einzigen Platz, den er einnehmen muss, damit unser Weg als Christen seinen Gravitationspunkt in diesem Felsen hat, der Gott ist, in dieser festen Gewissheit unseres christlichen Glaubens. Ich mache einen Vorschlag: kehren wir wieder zum Gebet zurück, das die Weise ist, um mit Gott in einen Dialog zu treten: nur wenn wir unsere Beziehung mit Gott bessern, bessert er die Beziehungen unter den Menschen, ohne dies werden wir immer Kriege, Hass, Zerrissenheit haben. Wir müssen Gott Zeit geben.

In „Gott oder nichts“ bekräftigen Sie: „Die Ehescheidung ist ein schwerer Verstoß gegen das natürliche Sittengesetz und missachtet den Bund des Heiles, dessen Zeichen die sakramentale Ehe ist“ (S. 349). Eines der Hauptthemen, das einige Katholiken und große Bereiche der säkularen Medien in den Jahren 2014 und 2015 beschäftigte, waren die beiden Synoden zur Familie, während derer vor allem das Problem „Sakramente für wiederverheiratete Geschiedene“ der öffentlichen Meinung präsentiert wurde.

Aus welchem Grund wurde Ihrer Ansicht nach ein das Fundament der gesamten katholischen Lehre gefährdendes Thema, das der Statistik nach eine absolute Minderheit von Gläubigen betrifft, derart in den Vordergrund gerückt?

Kardinal Sarah: Weil man leider – heute auch in der Kirche und unter vielen Priestern, Bischöfen und Kardinälen – der Ansicht ist, dass man sich, um den Problemen der Welt entgegenzutreten, dieser anpassen muss, indem man das eindeutige Wort Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe missachtet und aus Barmherzigkeit die Pastoral von der Lehre trennt. Und man tut dies aus Bequemlichkeit, um kein Risiko einzugehen, um nicht „politisch unkorrekt“ zu erscheinen. Das heißt Weltlichkeit, die das Schlimmste ist, was die Christen, Laien und Priester, treffen kann, und es ist dies die Gefahr, auf die Papst Franziskus immer hinweist. Zur Bestätigung der Richtigkeit meiner Aussage rate ich allen zu einer schönen Lektüre – Graham Greenes Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“.

Und dennoch war es gerade Jesus, der uns aufgefordert hat, „in“ der Welt und nicht „von“ der Welt zu sein (Joh 15,18-21). Statt die Schönheit eines Sakraments wie der Ehe, dessen Offenheit für das Leben, die Tatsache zu bekräftigen, dass sie die Grundlage der Gesellschaft von morgen ist, verwickeln wir uns dagegen in den Dingen, die nicht funktionieren. Es ist, als würde ich sagen: es ist besser, aus Angst vor einem Erdbeben ein Haus nicht zu bauen, obwohl ich die Instrumente habe, diesem vorzubeugen und jenes Haus fester zu machen. Dasselbe gilt für die Ehe, die Jesus dem Mann und der Frau als unauflösliche Einheit mit ihm geschenkt hat. Uns erschreckt es so sehr, Gott in unserem Leben zu haben, dass wir es vorziehen, ihn zu „töten“, um alles aus uns selbst heraus zu bestimmen, mit trostlosen Ergebnissen, wie zu sehen ist.

Leider hat uns die positivistische Kultur nur Gelegenheits- Effizienzkriterien eingeschärft, so dass man etwas nur dann tut, wenn und solange es nützlich ist, und diese Nützlichkeit wird leider auch auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Sakramente angewandt. Andererseits hat uns der „Humanismus ohne Gott“, von dem ich vorher sprach, die Krankheit der Sentimentalität eingeimpft, so dass etwas nur solange vorangeht, wie es erträglich ist, und solange wir vom Hauch der Emotion und der Leidenschaft durchdrungen sind. Sind diese Umstände vorübergegangen, kann man den Bund brechen: und es ist egal, dass wir durch diesen Bruch Gott aus unserem Haus werfen. Aber es ist doch ein Skandal, dass wir so denken!

Der eigentliche Bezugspunkt eines Christen ist das Kreuz. Das bedeutet nicht nur Leiden, sondern das Gegenteil: die Selbsthingabe in der Liebe bis zum Ende, da allein dies rettet. Es ist klar, dass das Evangelium anspruchsvoll ist: Jesus fordert alles von uns, aber gleichzeitig bietet er uns alles an. Kann es eine schönere Wirklichkeit geben als diese? Heute dagegen sind wir von der Tatsache überzeugt, dass die Menschen nicht mehr auf die hohen und dauerhaften Dinge setzen: und dann ziehen wir es aus Bequemlichkeit und aus Angst auch in der Kirche vor, sie zum Kontingenten zu erziehen. Und hier kommen wir zum anderen Schlüsselpunkt: die Erziehung. Die Kirche muss zur Schönheit und zur Entdeckung des eigenen Weges der Taufe erziehen, nicht zur Annahme des Übels und der Sünde. Das bedeutet nicht, die aktuelle anthropologische Krise zu unterschätzen. Genau das Gegenteil, ich sage vielmehr: und wenn diese Wüste heute eine Gnade wäre, die es auszunützen gilt, um dazu zurückzukehren, Gott und das Evangelium zu verkünden?

In einem Artikel im Heft Nr. 3970 (28.11.2015) der vom Staatssekretariat gegengelesenen Zeitschrift „La Civilta Cattolica“ spricht deren Direktor Antonio Spadaro SJ explizit von einer „offenen Tür“ für die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Der Jesuit schreibt: „Es wird immer die Aufgabe des Hirten sein, einen Weg zu finden, der der Wahrheit und dem Leben der Personen entspricht, die er begleitet, ohne vielleicht allen erklären zu können, warum diese zu einer Entscheidung statt einer anderen führt. Die Kirche ist Heilssakrament. Es gibt viele Wege und viele Dimensionen zugunsten des salus animarum zu erforschen. Was den Zugang zu den Sakramenten betrifft, hat die ordentliche Synode daher effektiv die Grundlage gelegt, indem sie eine Tür geöffnet hat, die hingegen bei der vorherigen Synode verschlossen geblieben ist“.

Als Synodenvater, der die umstrittenen Paragraphen 84-86 der „Relatio synodi“ kennt: wie beurteilen Sie diese Aussage eines Mitglieds der Synode, das deren Ergebnisse auf diese Weise interpretiert? Kommt die Rede von „eine Tür öffnen“ nicht einer stets bestrittenen „Änderung“ der Lehre über die Unauflöslichkeit der Ehe gleich, die unmöglich ist? Wächst durch derartige Stellungnahmen die in den letzten zwei Jahren spürbare Verunsicherung der Gläubigen?

Kardinal Sarah: Die Synode wollte diesen Getauften helfen und jene begleiten, die sich in einer Lebenssituation befinden, die im Gegensatz zu den Worten Jesu steht. Und sie hat erklärt, dass die Tür für sie immer offen ist, insofern Gott fortfährt, zur Umkehr aufzurufen und in ihrem Herzen zu wirken, um ihr Verlangen nach dem vollen Leben neu zu erwecken, das Jesus verkündigt hat.

Gewiss: Wege vorzuschlagen, die nicht zu diesem Leben in Fülle führen, heißt eben nicht, die Türen zu öffnen. Die Tür, die Gott öffnet, führt uns immer zu ihm, zu seiner Wohnstatt, in der wir sein Leben leben können. Die Sünde verschließt die Tür des Lebens. Eine Person zur eucharistischen Kommunion zuzulassen, wenn sie in offenbarem Widerspruch zu den Worten Jesu lebt, bedeutet, eine Tür zu öffnen, die nicht zu Christus führt, das heißt: die wahre Tür des Lebens zu verschließen. Entsinnen wir uns: die Tür ist Jesus, die Kirche kann nur diese Tür öffnen. Der Hirt, der nicht durch diese Tür eintreten will, ist kein wahrer Hirt. Denn: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe [...] Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen“ (Joh 10,1-2.7).

Das Dokument der Synode (Nr. 84-86) sagt nichts anderes, und der geschriebene Text ist der einzig sichere, um korrekt zu interpretieren, was die Synode sagen wollte. Das Dokument spricht von der Pflicht des Hirten, die Menschen unter der Führung des Bischofs zu begleiten. Doch es fügt auch hinzu, und das ist sehr wichtig, dass die Begleitung „entsprechend der Lehre der Kirche“ geschehen muss . Diese Lehre schließt zweifellos eine nicht umständliche, aber vollständige und treue Lesart von Familiaris Consortio 84 und Sacramentum Caritatis 29 ein, zusammen mit dem Katechismus der Katholischen Kirche : die Begleitung, die den konkreten Umständen Rechnung tragen wird, hat ein allgemeines Ziel: den Menschen zu einem Leben in Übereinstimmung mit dem Leben und dem Wort Jesu zu führen. Am Ende des Weges wird er die Entscheidung gereift habe, die neue Verbindung aufzugeben oder in ihr in absoluter Enthaltsamkeit zu leben. Auf dieses Ziel zu verzichten heißt auch, auf den Weg zu verzichten.

Es ist wahr, dass der Text diese Lehre nicht explizit wiederholt, und in diesem Sinn ist er von der Presse auf verschiedene Weise interpretiert worden. Doch das ist eine missbräuchliche Interpretation, die dessen Bedeutung entstellt, ja das ist eine täuschende Interpretation. Der Text spricht nie von einer Zulassung zur Eucharistie dessen, der weiter ein Leben führt, das in offenem Widerspruch zu ihr steht. Wenn es etwas gibt, das nicht gesagt wird, dann muss dies entsprechend der katholischen Hermeneutik interpretiert werden, das heißt: im Licht des vorhergehenden und beständigen Lehramtes, eines Lehramts, das der Text nie verleugnet. Mit anderen Worten: für die zivil wiederverheirateten Geschiedenen bleibt die Tür zur eucharistischen Kommunion von Jesus selbst verschlossen, der gesagt hat: „Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch. [...] Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,9.6). Die Tür ist verschlossen durch Familiaris Consortio 84 , durch Sacramentum Caritatis 29 und durch den Katechismus der Katholischen Kirche .

Diese Tür zu durchbrechen oder anderswie zu irgendwelchen Ausflüchten zu greifen heißt, ein anderes Evangelium zu schreiben und sich Jesus Christus, unserem Herrn, zu widersetzen. Ich bin mir dessen ganz gewiss, dass Papst Franziskus die Abschnitte 84-86 der „Relatio synodi“ in vollkommener Kontinuität und Treue gegenüber seinen Vorgängern interpretiert. Denn in einem Interview mit der argentinischen Zeitung „La Nacion“ hat er gesagt: „Was machen wir mit ihnen, welche Tür kann man öffnen? Da ist eine pastorale Unruhe: gehen wir also und geben ihnen die Kommunion? Das ist keine Lösung, ihnen die Kommunion zu geben. Das allein ist nicht die Lösung, die Lösung ist die Integration“.

Es ist richtig, dass es „viele Wege und viele Dimensionen zugunsten des salus animarum zu erforschen gibt“, wie Pater Spadaro bemerkt. Erneut möchte ich hinzufügen, dass dies Wege sind, die zu einem Ziel führen, und dieses Ziel kann für die Kirche nur eines sein: den Menschen zu Jesus bringen, das Leben in Harmonie mit Jesus und seiner Lehre über die menschliche und eheliche Liebe setzen. Der Zugang zur Eucharistie, die die Gemeinschaft mit dem Leib Jesu ist, ist für all jene offen, die bereit sind, im Leib nach den Worten Jesu zu leben. Wenn die Kirche die Tür zu einem anderen Ziel öffnet, zu einem anderen Ort, dann ist das nicht die Tür der Barmherzigkeit. Dann würde es sich um eine wahre Veränderung der Lehre handeln, da jede Lehre (wie jene über die Unauflöslichkeit der Ehe) an erster Stelle in der Eucharistie bekannt wird. Wenn ein Christ beim Empfang der Eucharistie „Amen“ sagt, bekräftigt er nicht nur, dass die Eucharistie der Leib Jesu ist, sondern auch, dass er sein Leben im Leib und in seinen Beziehungen Jesus gleichgestalten will, da er glaubt, dass das Wort Jesu Wort des wahren Lebens ist.

Das bedeutet, dass es einen Weg gibt. Dass es eine Hoffnung auch für den gibt, der in der Ferne lebt, und das wollte die Synode bekräftigen. Wenn sich diese Menschen nicht bereit fühlen, nach dem Wort Jesu zu leben, so ist es Aufgabe der Kirche, ihnen mit Geduld, Zartgefühl, Barmherzigkeit in Erinnerung zu rufen, dass sie zur Kirche gehören, dass sie Kinder Gottes sind. Es ist Aufgabe der Kirche, sie zu begleiten, damit sie sich Jesus auf vielerlei Weisen nähern können, indem sie an der Feier der Liturgie teilnehmen, den Werken der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit, der Sendung der Kirche helfen. Sind sie erst einmal näher bei Jesus, dann werden sie seine Worte besser verstehen können. Dann werden sie von der Kraft Gottes in ihrem Leben überzeugt sein können, die die Umkehr ermöglicht, das Ablassen von der Sünde und den totalen Bruch mit ihr.

Gewiss, die Begleitung ist eine Begleitung von Fall zu Fall, wie auch die Vorbereitung zur Ehe von Fall zu Fall stattfindet. Doch dies will nicht besagen, dass die Kirche denen, die sich auf die Ehe vorbereiten, verschiedene Arten von Ehen anbietet, Ehen von einer fallbestimmten Dauer. Die Ehe, auf die sie sich vorbereiten, ist immer dieselbe, so wie das Ziel für die wiederverheirateten Geschiedenen immer dasselbe ist. Und das ist so, weil wir in Gemeinschaft leben, wir sind keine Monaden. Wir teilen dieselbe Berufung zur Heiligkeit und dieselbe Berufung zur Liebe, eben zu jener Liebe der monogamen, stabilen und unauflöslichen Ehe.

Wurde die Synode zumindest medial zu sehr von europäischen oder deutschen Themen geprägt? Wie haben Sie die teilweise sehr eurozentrischen Standpunkte wahrgenommen und worin sehen Sie die Möglichkeit, einer einseitigen Beschneidung der Diskussion zu entgehen?

Kardinal Sarah: Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, könnte man von einer eurozentrischen Darstellung seitens des Instrumentum laboris und gewisser Medien sprechen, dies nicht nur, weil gewisse Themen gewählt wurden, die mehr im Westen von Interesse sind (wie die Kommunion für die Geschiedenen in einer neuen zivilen Verbindung), sondern vor allem aufgrund eines exzessiven Beharrens auf dem Individuum und dem subjektiven Gewissen. In diesem Sinne will die Gefahr eines Eurozentrismus jene Gefahr besagen, sich auf unmäßige Weise der Perspektive der Moderne oder der Postmoderne ohne Gott anzupassen, die nunmehr globalisiert ist und auf vielerlei Arten, wie dies Papst Franziskus bei seiner Reise auf die Philippinen beklagt hat, für die anderen Länder einen „ideologischen Kolonialismus“ darstellt.

In der eurozentrischen Perspektive wird die Familie als eine privatisierte Wirklichkeit gesehen, die allein nach dem Verlangen eines individualistischen Subjekts bemessen wird, das die Liebe auf eine Emotion zurückschneidet. Eine Antwort auf die Probleme der Familie von diesem Gesichtspunkt aus zu geben würde – wie es getan wurde – darin bestehen, den Primat des autonomen Gewissens zu unterstreichen, den Primat eines Subjektivismus des Gewissens, das für sich alleine entscheidet. Das also ist der Grund, warum ein zu eurozentrischer Gesichtspunkt zu jedem Preis Situationen rechtfertigen will, die im Widerspruch zur Wahrheit der Ehe stehen, wie das Konkubinat oder das einfache Zusammenleben oder die Zivilehe, und sie als Weg zur Fülle zu sehen beabsichtigt statt das Übel anzuerkennen, das sie dem Menschen zufügen, da ihnen eine Logik eignet, die im Gegensatz zur wahren Liebe steht. Darüber hinaus neigt dieser Blick dazu, die Wahrheit und die Liebe, die Lehre und die Pastoral einander entgegenzusetzen, dies einem dualistischen Gesichtspunkt entsprechend, der auch eine Eigenschaft des postmodernen Denkens ist.

Ich denke, dass die Synode gerade diesen Gesichtspunkt aufgeben wollte. Es sind besonders die anderen Kulturen, die sich an den Peripherien befinden, aus denen man neue Lichter für die Familie leuchten sehen kann, eine Sicht der Familie im Mittelpunkt der Gesellschaft und der Kirche. Die Gesellschaft und die Kirche sind nicht aus Individuen gebildet, sondern aus Familien, aus Zellen der lebendigen Gemeinschaft. Dies entspricht einer sozusagen „familiären“ Sicht des Menschen, der kein isoliertes Bewusstsein ist, sondern lebt, indem er von anderen empfängt, und berufen ist, sich den anderen zu schenken. So entsteht ein größeres Vertrauen darauf, dass die Liebe Gottes fähig ist, das Herz der Menschen zu erneuern. Man versteht auch besser, dass das Licht der Lehre mit der vitalen Praxis und dem liturgischen Ritus vereint ist: es ist kein rein theoretisches Licht wie im Konzept eines gewissen modernen Dualismus. Doch in Wirklichkeit entspricht dies dem wahren europäischen Denken, das christliche Wurzeln hat: Europa ist dazu aufgerufen, diese Wurzeln neu zu erobern, wenn es überleben will.

Ich danke Ihrer Eminenz für das Gespräch und die Zeit, die Sie den Lesern geschenkt haben.

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Ein Gespräch über den Glauben
Von Nicolas Diat; Robert Sarah
Sonstiger Urheber Georg Gänswein; Übersetzt von Katrin Krips-Schmidt; Claudia Reimüller
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Foto oben (c) Paul Badde


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