Aufklärung über die 'Aufklärer'

9. Oktober 2015 in Familie


Symposion der rechtswissenschaftlichen Sektion der Görres-Gesellschaft zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“. Von Prof. Manfred Spieker


Bonn (kath.net/Die Tagespost) Ein Meinungskartell bestimmt derzeit die Debatte über die Sexualpädagogik in Deutschland. So lässt sich das Ergebnis der diesjährigen Tagung der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaften der Görres-Gesellschaft zusammenfassen, die sich unter dem Vorsitz des Dresdner Verfassungsrechtlers Arnd Uhle im Rahmen der 118. Generalversammlung der Gesellschaft in Bonn mit „Grund und Grenzen der Sexualpädagogik in der staatlichen Schule“ beschäftigte. Im Mittelpunkt stand dabei die „Sexualpädagogik der Vielfalt“, die derzeit wie ein Tsunami übers Land fegt – ohne Frühwarnsystem und ohne Gegenwehr. Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, beleuchtete das Meinungskartell, das mit bereits erheblichem Erfolg Schulen und auch Kindergärten in Deutschland auf die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ verpflichten möchte: Es besteht aus der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Pro Familia, der Gesellschaft für Sexualpädagogik in Kiel, dem Institut für Sexualpädagogik in Dortmund und dem Sexualpädagogischen Studiengang an der Hochschule Merseburg.

In allen Einrichtungen dominiert die Schule von Uwe Sielert, der als ehemaliger Mitarbeiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1992 eine Professur für Sozialpädagogik in Kiel übernahm, aber weiterhin den Kurs der Bundeszentrale bestimmt. Sielert schreibt auf der Homepage der Bundeszentrale, die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ habe die Aufgabe, „Heterosexualität, Generativität und Kernfamilie zu entnaturalisieren und Lust, Zärtlichkeit und Erotik als Energiequelle für Lebensmut und Wohlbefinden, auch unabhängig von Ehe und Liebe in allen Altersphasen zu vermitteln. Sie soll Erlebnisräume öffnen, damit Kinder und Jugendliche gleichgeschlechtliches ebenso wie heterosexuelles Begehren ausdrücken und leben können“. Sielert und seine Schüler bestimmen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Standards für die Sexualpädagogik, die auch von der Weltgesundheitsorganisation übernommen werden, um die eigenen Standards dann als Normen der Bundeszentrale und der Weltgesundheitsorganisation auszugeben. Drei Mitarbeiter der Bundeszentrale machen dort nicht nur die einschlägigen Broschüren, sie verteilen auch die staatlichen Mittel für sexualpädagogische Forschung und für die einschlägigen Netzwerke der LGBTI-Szene. Sielert-Schüler haben das private Institut für Sexualpädagogik in Dortmund errichtet, das als einziges Institut Qualitätssiegel für sexualpädagogische Fortbildung erteilt. Selbst die Mitarbeiter der Caritas kommen um dieses Institut nicht herum, wenn sie ein solches Siegel haben wollen. Auch der Fachhochschul-Studiengang Sexualpädagogik in Merseburg und die fünf Juniorprofessuren für Sexualpädagogik, die im Rahmen des Rundes Tisches gegen Kindesmissbrauch 2012 errichtet wurden, werden von der Sielert-Schule bestimmt. Das Meinungskartell genießt offenkundig staatliche Protektion.

Pastötter begnügte sich aber nicht mit der Aufklärung über die „Aufklärer“ dieses Meinungskartells. Er erläuterte auch Anforderungen an eine „entwicklungssensible“ Sexualpädagogik. Eine zu frühe „Intellektualisierung“ der Sexualität durch Faktenwissen überfordere die Kinder. Auf die Vermittlung von „Schutz- und Gesundheitswissen“ dürfe nicht verzichtet werden, um sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Die Verdrängung der Frage, was Männlichkeit und Weiblichkeit bedeuten, durch die Betonung der „Gender-Diversity“, also der Vielfalt an sexuellen Orientierungen, missachte ein psychisches Grundbedürfnis von Jungen und Mädchen, die getrennt aufgeklärt werden sollen. Die Annahme, Jugendliche seien gegenüber den Einflüssen der Pornographie immun, sei naiv. Zu oft sei bei Sexualpädagogen ein geradezu „zelotischer“ Eifer zu beobachten, „aufzuklären“ und dabei Schamgrenzen zu missachten.

Christian Spaemann bestätigte dies aus der Sicht eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Karla Etschenberg aus der Sicht der Pädagogik. Spaemann präsentierte eine anthropologische Sicht der Sexualität, deren Integration in die Person die Bereitschaft zur Hingabe voraussetzt. Nur in dieser Bereitschaft zur Hingabe, die auch die zeitliche Dimension menschlicher Existenz berücksichtigt, kann der Mensch zu einer geglückten Sexualität gelangen. Aus dieser Perspektive entwickelte Spaemann Grundsätze für eine humane Sexualpädagogik. Sie müsse an der Fruchtbarkeit anknüpfen und die Bindungsforschung einbeziehen. Sie dürfe nie die Schamgrenzen überschreiten und nie sexuelle Selbsterfahrung zum Thema machen. Die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ gehe demgegenüber von einem hedonistischen Verständnis von Sexualität aus und vermittle eine desaströse Orientierungslosigkeit. Sie führe zu „sexuellen Autisten“ mit abgestumpftem Gewissen. Karla Etschenberg kritisierte die Empfehlungen in Tuiders Lehrbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ für praktische Übungen im Sexualkundeunterricht. Streichelübungen seien Grenzüberschreitungen, die die Reifung einer gesunden Sexualität bei Kindern und Jugendlichen behindern und sexuellem Missbrauch Vorschub leisten könnten.

Mit dem Eifer der Gender-Lobby, die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ in den Schulplänen der Bundesländer zu verankern, beschäftigte sich auch der Dresdener Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Er kritisierte, dass sich die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ als alternativlos darstellt, dass ihr jeder evolutionsanalytische Betrachtungsrahmen fehle, dass sie jeden Hinweis auf den Zusammenhang von Sexualität und Zeugung vermeide und verschweige, dass Homosexualität ohne Nachwuchs bleibe. Die Rede von der typischen Sexualität soll unter Homophobieverdacht gestellt werden. Dabei ließ Patzelt keinen Zweifel aufkommen, dass die staatliche Schule über Sexualität zu informieren, auch die verschiedenen Formen der Sexualität darzustellen und zur Toleranz zu erziehen habe. Immer habe sie dabei jedoch das Indokrinationsverbot zu beachten, die Beteiligung der Eltern sicherzustellen und zu gewährleisten, dass die Lehrer die Kontrolle über den Unterricht behalten. Deshalb dürfe dieser Unterricht oder auch Teile davon nicht privaten Gruppen wie den Schwul-lesbischen Aufklärungsgruppen übertragen werden.

Auch der Bonner Verfassungsrechtler Christian Hillgruber kritisierte in seinem Schlussvortrag über verfassungsrechtliche Grenzen der Sexualpädagogik in der staatlichen Schule die Tendenz, privaten Gruppen im Rahmen der Sexualkunde den Zugang zu den Schülern ohne Kontrolle durch die Lehrer zu ermöglichen. Er kritisierte wie schon Uhle in seiner Einführung den Eifer der „Sexualpädagogik der Vielfalt“, mittels reformpädagogischer Ansätze „neue Werte und neue Sünden“ und einen neuen, befreiten Menschen zu propagieren. Das Credo dieser Sexualpädagogik sei die Gleichstellung aller Formen von Sexualität. Hetero-, Bi-, Homo-, Trans- und Intersexualität seien, so die Richtlinien zur Sexualerziehung an den staatlichen Schulen des saarländischen Kultusministeriums von 2013, gleichwertige Ausdrucksformen des menschlichen Empfindens und der menschlichen Identität. Ausgehend von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977, das die Legitimität des Sexualkundeunterrichts in der staatlichen Schule, aber zugleich das Verbot jeglicher Indoktrination unterstrich, setzte sich Hillgruber mit dem Spannungsverhältnis zwischen Elternrecht, Persönlichkeitsrecht des Kindes und staatlichem Bildungs- und Erziehungsauftrag auseinander, um dann die Frage zu erörtern, wie sich Eltern gegen das Umerziehungsprogramm der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ und die aufdringliche Frühsexualisierung der Kinder wehren können.

Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits in seinem Urteil von 1977 fest, dass bei aller Legitimität der Sexualerziehung in der staatlichen Schule der geeignete Platz für die individuelle Sexualerziehung das Elternhaus sei. Es sicherte das Recht der Eltern auf eine ihren Vorstellungen entsprechende Sexualerziehung ihrer Kinder auf doppelte Weise. Eltern haben einerseits einen Anspruch darauf, rechtzeitig und umfassend über den Inhalt und den methodisch-didaktischen Weg der Sexualerziehung informiert zu werden. Diese verfahrensrechtliche Sicherung des Elternrechts setzt natürlich voraus, dass sich Eltern um die schulische Erziehung ihrer Kinder kümmern, zu den Elternabenden gehen und dort ihre Vorstellungen von Sexualerziehung zum Ausdruck bringen, auch wenn sie der political correctness widersprechen. Andererseits unterstrich das Bundesverfassungsgericht eine materiellrechtliche Sicherung des Elternrechts durch das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit in Artikel 4 Grundgesetz und das Verbot einer Benachteiligung auf Grund ihres Glaubens in Artikel 3. Auf Grund dieser Rechte können sie Zurückhaltung und Toleranz bei der Durchführung der Sexualerziehung in der Schule verlangen. Jeder Versuch einer Indoktrination habe zu unterbleiben.

Daraus ergäben sich, so Hillgruber, verfassungsrechtliche Schranken, die für die in einigen Bundesländern zu erwartenden gerichtlichen Auseinandersetzungen um die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von erheblicher Bedeutung seien. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzungen stehe die Unterscheidung zwischen der Bewertung der Homosexualität als solcher und dem allen, selbstverständlich auch homosexuellen Manschen geschuldeten Respekt. Diesen Unterschied einzuebnen und die Ablehnung praktizierter Homosexualität mit einem Angriff auf die Menschenwürde Homosexueller gleichzusetzen, sei das Anliegen der „Sexualpädagogik der Vielfalt“, das sich bereits manche Richtlinien staatlicher Sexualerziehung zu eigen gemacht hätten, so die Richtlinien von Rheinland-Pfalz von 2009. Dies verstoße gegen die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Rücksichtnahme auf unterschiedliche Werthaltungen in Fragen der Sexualität und gegen einen vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen von 2007, dass nämlich zwischen der Bewertung der Homosexualität und der Achtung des gleichen Eigenwerts eines jeden Menschen ungeachtet seiner sexuellen Orientierung ein Unterschied zu machen sei.

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Sektion der Görres-Gesellschaft hat sich mit dieser Tagung große Verdienste um die Klärung eines höchst aktuellen und umstrittenen Themas erworben: Sie hat sich interdisziplinär um die Sicherung des Elternrechts und des Persönlichkeitsrechts des Kindes verdient gemacht. Sie hat gezeigt, dass der Vorwurf vieler Eltern, dass die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ bei Lichte besehen nicht auf Antidiskriminierung, sondern auf Umerziehung abzielt, gut begründet ist. Sie hat aufgeklärt über die „Aufklärer“ dieser Sexualpädagogik.

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Foto Prof. Spieker: © www.kath-theologie.uni-osnabrueck.de


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