Kein Evangelium für Muslime?

8. Oktober 2015 in Deutschland


Gilt der Missionsbefehl Jesu eigentlich auch für die Muslime, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen? idea-Redakteur Matthias Pankau hat die Leitungen der 20 EKD-Mitgliedskirchen und Mitarbeiter an der Basis gefragt, die Antworten überraschen


Wetzlar (kath.net/idea) Gilt der Missionsbefehl Jesu eigentlich auch für die Muslime, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen? 80 Prozent der bis zu 1 Million Asylbewerber in diesem Jahr sind islamischen Glaubens. idea-Redakteur Matthias Pankau hat die Leitungen der 20 EKD-Mitgliedskirchen und Mitarbeiter an der Basis gefragt – und war überrascht über die völlig unterschiedlichen Ansichten.

„Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker! Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“, heißt es am Ende des Matthäus-Evangeliums. Gegenwärtig scheint es so, als komme ein Teil „aller Völker“ auf der Flucht vor Krieg und Armut nach Europa, insbesondere nach Deutschland. Gilt der Missionsbefehl des Herrn der Kirche auch den nach Deutschland strömenden überwiegend muslimischen Flüchtlingen? Deutschlands evangelische Kirchenleiter tun sich schwer mit einer klaren Antwort auf diese Frage. Von den 20 EKD-Mitgliedskirchen reagierte auf die idea-Anfrage gut die Hälfte. Grundtenor: Was jetzt gebraucht werde, seien in erster Linie praktische Hilfe und interreligiöser Dialog.

Kirche: Die Notlage der Flüchtlinge nicht ausnutzen

So erklärte etwa der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge: „Unser Verständnis von Mission bedeutet, mit Menschen, die anderen Glaubens sind, in einen Dialog zu treten und den eigenen Grund des Glaubens nicht zu verschweigen.“ Der bayerische Landesbischof, der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm (München), mahnte, Christen dürften die Notlage von Flüchtlingen nicht dazu ausnutzen, um sie zu einem Religionswechsel zu überreden. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau warnte gar vor „aggressiven oder bedrängenden Bekehrungsversuchen“; diese zählten in der Geschichte des Christentums zu den dunkelsten Kapiteln.

Die Kirche des Wortes tut sich schwer mit demselben

Es dürfte heute allgemeines Einvernehmen darüber bestehen, dass Jesus mit seinen Worten wohl keine Mission mit Holzhammer oder Scheiterhaufen im Sinn hatte. Warum dann trotzdem solch vorsichtige und einschränkende Formulierungen von Deutschlands evangelischen Kirchenoberhäuptern? Das Evangelium werde in Wort und Tat verkündigt, betonen sie. Aber ausgerechnet die Kirche des Wortes tut sich schwer mit demselben in diesen Tagen, obwohl doch laut Luther der Glaube über‘s Hören kommt. Am liebsten würde sie es bei der helfenden Tat bewenden lassen. Der sächsische Landesbischof Carsten Rentzing spricht davon, dass es Verkündigung zur Zeit und zur Unzeit gebe. Gegenwärtig sehe er in den Zeichen der Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit vieler Deutscher gegenüber Flüchtlingen die Weitergabe des Evangeliums zur rechten Zeit: „Und auch die Verkündigung durch das Wort wird ihre Zeit haben.“ Also: Erst soziale Hilfe, dann Mission.

Diakonisse: Natürlich ist Mission die wichtigste Aufgabe

Schwester Rosemarie Götz hingegen sieht die Zeit zur Mission längst gekommen. Sie ist Diakonisse und Predigerin der Landeskirchlichen Gemeinschaft „Haus Gotteshilfe“ in Berlin-Neukölln. „Natürlich ist Missionierung die wichtigste Aufgabe“, sagt sie. „Wozu sonst schickt uns Gott die Flüchtlinge hierher?“ Seit Jahren kümmert sie sich um Zuwanderer – vor allem aus dem Iran und Afghanistan. Viele hat sie auf deren Wunsch hin getauft. Am letzten Sonntag (4. Oktober) sind es wieder 10. Vorher wurden sie unterwiesen.

Junge Männer sagen: „Der Islam ist Stress“

Was die ehemaligen Muslime am Christentum fasziniert hat? „Vor allem junge Männer haben mir gesagt: Der Islam ist Stress. Bei Jesus kommt man zur Ruhe und findet Frieden.“ Die Äußerungen der evangelischen Kirchenleitungen überraschen die rüstige Diakonisse nicht. Die Volkskirche setze auf den Dialog der Religionen. Das unmissverständliche Reden von Jesus als dem Weg, der Wahrheit und dem Leben störe da. „Auf diese Weise findet aber niemand zum Glauben an Jesus Christus“, ist Schwester Rosemarie überzeugt.

Wie sollen sie glauben, wenn sie nichts von Jesus hörten?

Auch andernorts sprechen Christen unmissverständlich über ihren Glauben. Etwa in der schlesischen Oberlausitz. Dort kümmert sich Pfarrer Christian Huth aus dem kleinen Ort See bei Görlitz um die Flüchtlinge, die im nahe gelegenen Niesky untergebracht sind. Er besucht sie – zunächst vor allem, um ihnen zuzuhören, wie er sagt. „Viele haben so viel Schreckliches erlebt, dass sie einfach mit jemandem darüber reden müssen.“ Auf Amtstracht, also Talar oder Kollarhemd, verzichtet der 40-Jährige bei seinen Besuchen. Aus seinem Glauben hingegen macht er keinen Hehl, hält es mit dem Apostel Paulus. Der schreibt im 10. Kapitel seines Römerbriefs: „Denn ‚wer den Namen des HERRN wird anrufen, soll selig werden.’ Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?“

Ist die „Missionssynode“ 1999 in der EKD vergessen?

Die EKD war schon einmal weiter. Auf ihrer wegweisenden Missionssynode 1999 in Leipzig hatte sie formuliert: „Wir haben den Auftrag, Menschen die Augen zu öffnen für die Wahrheit und die Schönheit der christlichen Botschaft. Wir wollen sie dafür gewinnen, dass sie sich in Freiheit an Jesus Christus binden und sich zur Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden halten.“ Zu diesem Satz gab es keine Fußnote, in der stand, Flüchtlinge oder Muslime seien davon ausgenommen. Warum dann jetzt diese Leisetreterei? So plädierte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in der idea-Umfrage dafür, der Mission unter Menschen den Vorrang zu geben, die zwar dem Namen nach Christen sind, es in ihrem Herzen aber kaum noch spüren. Unbedingt! Aber warum nicht das eine tun und das andere (die Mission unter Andersgläubigen) nicht lassen?

Vom Glauben reden: Das wäre echter Respekt!

Begründet wird das zumeist mit dem gebotenen Respekt vor dem Glauben des Gegenübers. Respekt ist jedoch etwas grundlegend anderes als falsch verstandene Zurückhaltung, wie der Wuppertaler Theologe Henning Wrogemann in seinem Buch „Den Glanz widerspiegeln“ deutlich macht. Eine vorauseilende Selbstzensur begegne dem Gegenüber gerade nicht sonderlich respektvoll. Vielmehr könne es geradezu von Respektlosigkeit zeugen, dem anderen das Zeugnis von Christus vorzuenthalten – aus Bedenken, es könnte ihn nicht interessieren, verletzen oder verärgern. Es gäbe auch Formen der „Fürsorge“, die eher Ausdruck einer verdeckten Bevormundung seien, weil man meine, genau zu wissen, was für den anderen gut sei. Dabei sei man häufig erstaunt, welche Aspekte eines Gesprächs der andere aufnimmt und welche nicht.

„Jesus wird uns fragen, was wir getan haben“

Dem kann Schwester Rosemarie Götz aus Berlin-Neukölln nur zustimmen. Ihr sei klar, dass nicht
sie den Glauben bei den jungen Männern und Frauen aus dem Iran, Afghanistan und anderen Ländern wecke. Sie sei nur Zeuge, der Rest falle in den Zuständigkeitsbereich des Heiligen Geistes. „Mir ist aber auch deutlich, dass Jesus uns mit der gegenwärtigen Flüchtlingsflut eine große Aufgabe anvertraut“, sagt sie. „Und er wird uns einmal fragen, wie wir damit umgegangen sind.“




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