Er sah sich vor dem Angesicht Gottes: Konrad Adenauer

1. Oktober 2015 in Buchtipp


Buchbesprechung von „Konrad Adenauer. Der Katholik und sein Europa“ von Dorothea und Wolfgang Koch. Gastbeitrag von Hans Jakob Bürger


Kisslegg (kath.net) Die Eheleute Dorothea und Wolfgang Koch haben ein Buch über den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt, das gleich beim ersten Durchblättern der fast 300 Seiten aufmerken lässt. Immer wieder liest man von katholischen Schriftstellern, von Priestern und Klöstern; ebenso von Frömmigkeit, Religiosität und Katholizismus. Adenauer sah sich und seine Entscheidungen stets vor dem Angesicht Gottes und wusste, dass er sich vor ihm zu verantworten hatte. Er war ein Mensch, der in der katholischen Welt im wahrsten Sinne des Wortes verankert und beheimatet war und der dazu etwas zu sagen hatte.

Streng genommen handelt es sich bei diesem Buch um keine Biographie, es behandelt vorwiegend die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als den Deutschen eine Zukunft ermöglicht und aufgebaut werden musste. Die vier Kapitel tragen die Überschriften: Konrad Adenauers „Christliches Abendland“; Konrad Adenauer, der christliche Politiker, Konrad Adenauer, der katholische Christ, sowie: Konrad Adenauers weiterwirkendes Erbe. Im Anhang finden sich Texte Adenauers sowie solche, die an ihn gerichtet sind oder über ihn berichten.

Das Buch „Konrad Adenauer. Der Katholik und sein Europa“ ist erstmals im Jahre 2013 im MM-Verlag erschienen; es war eines der letzten Bücher, das von dem allzu früh verstorbenen Michael Müller verlegt wurde. Das Buch hat bis heute leider in der politischen Szene wenig Beachtung gefunden, und das, obwohl ein Thema wie Europa jeden Politiker tagtäglich in seiner politischen Arbeit beschäftigt und jeden Menschen in seinem Tun und Denken beeinflusst. Dem FE-Verlag gebührt Dank, das Buch noch einmal veröffentlicht zu haben und dazu noch zu einem sehr günstigen Preis.

Was bewegte die beiden Autoren Wolfgang Koch und seine Frau Dorothea dazu, dieses Buch zu schreiben? Wolfgang Koch ist promovierter Physiker der Fraunhofer-Gesellschaft und Privatdozent auf dem Fachgebiet Datenfusion, der über Themen im Grenzgebiet zwischen Natur- und Geisteswissenschaften publiziert. Seine Frau Dorothea ist freie Mitarbeiterin der „Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus“ in Rhöndorf.

Die Autoren schildern, dass Adenauer schon als Kölner Oberbürgermeister zwischen den beiden Weltkriegen vom Gedanken der europäischen Einigung geprägt gewesen sei. Für ihn sei dieses Bestreben aus einem tieferen Gedanken erwachsen, den er selbst mit Begriffen wie „christliches Abendland“, „christlich-humanistische Weltanschauung“ oder auch „Würde der menschlichen Person“ umschrieb. Die Menschenwürde sei ein christliches Konzept: „Die Lehre vom Wert und der Würde der menschlichen Person ist zuerst vom Christentum aufgestellt worden und rund 2.000 Jahre hin- durch von ihm bewahrt und gegen alle Angriffe siegreich verteidigt worden.“

Wer in den vergangenen Jahren Kinder in der Schule hatte oder noch hat, weiß darüber zu berichten, was im Geschichts- oder im Politikunterricht über die deutschen Nachkriegsjahre bis heute gelehrt wird. Konrad Adenauer wird zwar als erster Bundeskanzler gewürdigt, aber im weiteren Verlauf seiner Amtszeit wird er kaum noch beachtet. Man gesteht ihm zu, er habe die Westöffnung vollzogen, gleichzeitig aber den Osten vernachlässigt; er habe die Bundeswehr als Nachfolgeorganisation der Wehrmacht errichtet und sie der Nato unterstellt und sei somit ein Kriegstreiber. Man stellt Adenauer, der sich in Wahrheit dem naturrechtlichen Denken verpflichtet sah und seine Zeit als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, unter die Überschriften Unterwerfung, Restauration und „Mief von gestern“, während die „Befreiung“ dieser ersten Ära der Bundesrepublik Deutschland erst in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erfolgt sei. Erst mit den 68ern habe die deutsche Gesellschaft begonnen, sich frei zu machen von gesellschaftlicher und kirchlicher Bevormundung. Ab 1969 waren die Sozialdemokraten zunächst unter Willy Brandt an der Macht, denen später auch wieder Regierungen unter „christdemokratischer Führung“ folgten. Doch die Weichen waren gestellt, es gab kein Zurück mehr, die Gesellschaft sollte weiter „befreit“ werden. Wir denken dabei vor allem, auch und gerade in diesen Tagen, immer wieder an die unseligen Gesetzesänderungen, die einen großen Einfluss auf das katholische Leben in diesem Land und auf das Denken in der katholischen Kirche im allgemeinen ausgeübt haben, wie die Umwandlung des Ehegesetzes in ein Ehescheidungsgesetz, die Paragraphen 218 (Schwangerschaftsabbruch), 175 (Homosexualität) und 174f (Unzucht mit Minderjährigen).

Wenn man sich all dies vergegenwärtigt, wird klar, warum das vorliegende Buch einerseits so gut wie nicht im politischen Journalismus auftaucht und andererseits so notwendig wäre, gelesen zu werden. Sollte es nicht gerade auch deswegen von jungen Menschen mit Gewinn studiert werden können? Junge Generationen müssen wissen, was in diesen Jahren wirklich geschehen ist. Die Länder im Osten Europas wurden von der Sowjetunion dominiert und erhielten kommunistische Regierungen, die ihre Bevölkerungen diktatorisch unterdrückten, was heute allzu oft verschwiegen oder geschönt wird. Im Westen wurden freie Regierungen demokratisch gewählt. Deutschland bekam von den Besatzungsmächten im Laufe der Jahre immer mehr Freiheiten zugestanden, sodass im Jahre 1949 in freien Wahlen der erste Bundestag gewählt werden konnte. Wer sich für die Wurzeln des nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebauten Deutschlands und für die Grundlagen der heutigen Europäischen Union interessiert, der sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Darum ist eine Neuauflage des längst vergriffenen Buches sicherlich wünschenswert. Gerade in diesem Jahr 2014, dem Karlsjahr, in dem am 28. Januar der 1200. Todestag von Kaiser Karl dem Großen begangen wurde, trat der europäische Gedanke noch einmal vor dem christlichen Hintergrund zu Tage. Doch welcher Politiker ließ oder lässt sich davon inspirieren?

Konrad Adenauer war zuerst Katholik, an zweiter Stelle kam sein politisches Engagement. Seine Überzeugung, wie sie sich im öffentlichen und privaten Leben äußerte, wurde noch nicht so dargestellt, wie es die Eheleute Dorothea und Wolfgang Koch getan haben. Sie vollziehen nach, wie sich der erste westdeutsche Regierungschef nach dem Krieg über das sogenannte christliche Abendland äußerte. Sie zeigen auf, wie sich Adenauers europapolitische Ideen entfalteten, wie seine Freundschaften mit Künstlern und Politikern aussahen und nicht zuletzt, wie sich seine Identität als katholischer Christ vergegenwärtigte.

Von großem Interesse sind die Einflüsse auf Adenauers Denken, welche die Autoren sorgfältig zusammengetragen haben. Ebenso erhellend sind die Kontakte, die Adenauer in ganz Europa hatte. Man liest Namen wie Alois Dempf, Dietrich von Hildebrand, Abt Ildefons Herwegen, Robert Schuman und Alcide De Gasperi. Der italienische Regierungschef Alcide De Gasperi, für den 1993 ein Seligsprechungsprozess eröffnet wurde, war es auch, der Adenauer zu seinem ersten Staatsbesuch im Jahr 1951 bewegte. Der Höhepunkt war dabei die Begegnung mit Papst Pius XII., die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung damals als „längste Audienz in der Amtszeit“ des Papstes dargestellt wurde. Adenauer revanchierte sich bei De Gasperi und lud ihn nach Deutschland ein, was 1952 dann auch geschah. Dazu kommentieren Dorothea und Wolfgang Koch: „In sinnfälliger Weise veranschaulicht dieser Besuch die gemeinsamen Wurzeln und europapolitischen Ziele Adenauers und De Gasperis einer breiten Öffentlichkeit.“ (77)

Zur persönlichen Religiosität des ersten Bundeskanzlers haben die Autoren aus zahlreichen Quellen ein aufschlussreiches Bild zusammengestellt: „Wie sehr der Messbesuch für Adenauer betrachtenden Charakter besaß, erschließt Pauls [Adenauers Sohn] Hinweis auf ein kleines Gebetbuch Adenauers mit Gebeten und Gesängen der Ostkirche, sprachlich großartige Texte, mit denen er seine Messe persönlich angereichert hat.'„ (135) Konrad Adenauer selbst schreibt: „[...] ohne die richtige, lebendige seelische Haltung wird alles andere nicht richtig; nichts ist aber so sehr geeignet, auf die seelische Haltung einzuwirken als die richtig verstandene Pflege des liturgischen Gedankens [...].“ (134) Vor seiner Reise nach Moskau im Jahre 1955, wo er dafür sorgte, dass tausende deutsche Kriegsgefangene in die Heimat zurückkehren konnten, verbrachte Adenauer eine ganze Nacht am Grab des heiligen Nikolaus von Flüe.

Sehr interessant ist Adenauers Sicht auf das Zweite Vatikanische Konzil und seine Beziehungen zu Bischöfen und Päpsten. Adenauer machte sich nämlich Sorgen um die Kirche und das Konzil: „Der Prozess, den man dort eingeleitet habe, sei erst der Anfang.“ Dort gefasste Beschlüsse würden nachwirken und deren Folgen sich nicht absehen lassen, „wenn das feste Gefüge Roms einmal in Bewegung gerate.“ Der Kanzler befürchtete, dass die Werteordnung der Welt so stark erschüttert würde, dass sie ins Wanken geraten könnte. Für die Menschen sei es aber gut, wenn sie „wenigstens etwas hätten, woran sie sich noch halten könnten“. Die Liturgie betreffend erzählte Adenauer von einem westfälischen Bauern. Als sich die liturgische Sprache und der Ablauf der heiligen Messe veränderten, hätte dieser alles mit angesehen und angehört, dann aber den Kopf geschüttelt und gesagt: „Macht, was ihr wollt, ich bleibe katholisch.“ (Vgl. 173)

Gegenüber Papst Johannes XXIII. hat sich Adenauer sogar in größerem Kreis reserviert und zurückhaltend geäußert. Er meinte einmal als Parteivorsitzender, der Papst hätte in Deutschland „den Gegensatz zwischen Katholiken und Nichtkatholiken“ gemildert, das sei für seine Partei günstig gewesen. 1958 wurde der französische Botschafter im Auftrag des französischen Staatspräsidenten De Gaulle zu Adenauer geschickt, damit er Werbung für Kardinal Roncalli machen sollte. Dazu sagte Adenauer später: „Wissen Sie, ich kannte Pius XII. und schätzte ihn sehr. Er war ein bedeutender Mann. Johannes aber war doch eine Katastrophe.“ (205) Er machte Papst Johannes auch für den Linksrutsch in Italien verantwortlich. Das Konzil betrachtete Adenauer mit einer grundsätzlichen Skepsis, ja er fand es bedenklich. Bereits in der Vorbereitungszeit wurde er von deutschen Theologen gebeten, seinen Einfluss in Rom geltend zu machen, um deren Vorstellungen schon im Vorfeld an entsprechende Stellen gelangen zu lassen. Papst Paul VI. war Konrad Adenauer schon lange bekannt. Er wusste, dass Pius XII. ihn als Erzbischof nach Mailand geschickt hatte. Zwar hatte Adenauer Vorbehalte gegen ihn, meinte aber, er „wird nicht in die Fußstapfen seines Vorgängers treten“. (206)

Zum Schluss soll Konrad Adenauer selbst zu Wort kommen. Bei einer Rede am 15. März 1964 in Hannover sagte er zu seinen Parteigenossen - und redet damit seinen heutigen Parteifreunden ins Gewissen: „Diese [christlich-humanistische] Weltanschauung über Freiheit und Würde des Menschen hat sich im Laufe der Jahrhunderte auf christlichem Boden entwickelt; sie ist gemeinsames Gut der beiden christlichen Konfessionen. Unsere Partei [...] steht fest und unverbrüchlich auf dem Boden dieser, der christlichen Weltanschauung, dass es für den Menschen Normen gibt, die aus dem Wesen und Sein Gottes selber fließen und daher unverbrüchlich sind und nicht angetastet werden dürfen. Wenn man das Bestehen solcher Normen nicht anerkennt, dann gleitet ein Volk abwärts in Diktatur und Gewalt.“ (119)

kath.net-Buchtipp
Konrad Adenauer. Der Katholik und sein Europa
Von Dorothea Koch; Wolfgang Koch
Taschenbuch, 296 Seiten
2015 Fe-Medienverlag
ISBN 978-3-86357-129-0
Preis 10.30 EUR

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