'Aktiver Lebensschutz gehört klar zum Profil der Christen!'

19. September 2015 in Deutschland


Predigt beim Marsch für das Leben: „Christen sind keine ‚selbst ernannten Lebensschützer‘, „sondern wären keine Christen, wenn sie keine Lebensschützer wären!“. Sie stehen gegen Abtreibung und aktive Sterbehilfe. Von Weihbischof Thomas Maria Renz


Berlin-Stuttgart (kath.net/pl) Liebe Schwestern und Brüder in Christus, „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all Deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!“ Diesem Doppelgebot der Liebe wissen sich alle, die an Jesus Christus glauben, verpflichtet. Wir lieben Gott und alles, was er erschaffen und gewollt hat. Weil wir daran glauben, dass alles, was existiert, aus Liebe von Gott gewollt und erschaffen ist, lieben und schützen wir Christen die Schöpfung und die Geschöpfe so gut wir können und mit vereinten Kräften. Dieses gemeinsame Zeugnis für das Leben geben wir heute über die Grenzen der Konfessionen hinaus ganz bewusst in aller Öffentlichkeit: Es eint uns zutiefst in unserem Glauben an Jesus Christus, der uns Gott bezeugt als den Vater und den Freund alles Lebenden.

"Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens", so heißt es im alttestamentlichen Buch der Weisheit (11,26). Wenn Gott ein "Freund des Lebens" ist, dann sind alle Freunde und Freundinnen Gottes selbstverständlich auch "Freunde und Freundinnen des Lebens". Diese Freundschaft des Lebens bezieht sich auf alle Phasen des menschlichen Lebens von seinem natürlichen Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. Wenn Gott ein leidenschaftlicher Verteidiger des Lebensrechtes jedes einzelnen Menschen ist, dann sind es selbstverständlich auch alle, die zu Gott gehören wollen. Wenn sich deshalb Christen für das Lebensrecht der Ungeborenen und für eine passive Sterbebegleitung alter und kranker Menschen einsetzen, sind sie eben keine "selbst ernannten oder sogenannten Lebensschützer", wie sie immer wieder einmal diffamiert werden. Vielmehr müssen wir andersherum sagen: sie wären keine Christen, wenn sie keine Lebensschützer wären! Christen sind also keine "selbst ernannten Lebensschützer", sondern "von Gott ernannte Lebensschützer". Deshalb stehen Christen immer auf der Seite des Lebens und sie stehen immer auf, wo immer dieses Recht auf Leben begrenzt, bestritten oder gar abgesprochen wird, ganz besonders an den „Rändern“, also ganz am Anfang und ganz am Ende des menschlichen Lebens.

Der aktive Lebensschutz gehört ja von Anfang an zum klar erkennbaren Profil der Christen. Das ist ein Faktum, eine historisch belegbare Tatsache, deren sich zu erinnern immer wieder lohnt. Bereits in einem frühchristlichen Dokument vom Ende des ersten oder Anfang des zweiten Jahrhunderts werden die Christen aufgefordert: „Du sollst nicht töten … Du sollst ein Kind nicht abtreiben und das Geborene nicht töten“ (Lehre der zwölf Apostel, Nr. 2,2). Und im Barnabasbrief aus derselben Zeit heißt es fast wortgleich: „Du sollst Deinen Nächsten mehr als Dich selbst lieben! Du sollst nicht abtreiben, noch ein Neugeborenes wieder beseitigen“ (Nr. 19,5).

Diese und ähnliche Zeugnisse aus der frühen Christenheit sind keineswegs so selbstverständlich wie wir heute vielleicht meinen, weil die Abtreibung in der Antike ja durchaus weit verbreitet war und gerade von den höheren Gesellschaftsschichten häufig und scheinbar ganz selbstverständlich praktiziert wurde.

Umso deutlicher gehörte die prinzipielle Ablehnung der Abtreibung durch die Christen von Anfang an zur spezifischen Neuheit des christlichen Ethos, wodurch sich die christliche Praxis erkennbar von der heidnischen Praxis absetzte und unterschied. Wenn wir also als Christen heute unerschrocken und in aller Öffentlichkeit für das unveräußerliche und unverlierbare Lebensrecht jedes Menschen eintreten, stehen wir in einer ununterbrochenen Tradition seit 2000 Jahren und bezeugen unsere Treue zum Ursprung unseres Glaubens.

Aber das Abtreibungsverbot, das in Deutschland ja immer noch geltendes Recht ist, fußt nicht nur auf christlichen Grundüberzeugungen wie den zehn Geboten, sondern hat „in einem wirklich humanen Gesellschaftswesen eine mit den Mitteln der menschlichen Vernunft einsehbare Evidenz. Wer die so gewonnene Humanität verhindern will, dreht das Rad der Geschichte zurück, verleugnet die tieferen Wurzeln, aus denen Europa im Ganzen und auch noch der säkulare Staat kommen“ (Karl Kardinal Lehmann).

Ähnliches gilt auch für die anstehende Gesetzgebung im Hinblick auf das Lebensende: Genau so wenig wie Menschen das Recht zusteht, menschliches Leben ganz am Anfang zu zerstören, steht ihnen das Recht zu, es einem Menschen am Ende seines Lebens zu nehmen.

Das Mäntelchen der „Humanität“, in das manche heute das aktive Töten oder die Beihilfe zur Selbsttötung von alten und kranken Menschen hüllen wollen, ist in Wirklichkeit Ausdruck tiefster Inhumanität und deshalb kein Fortschritt der Menschlichkeit, sondern ein Rückschritt der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft.

Deshalb sind wir noch immer unserem früheren Bundespräsidenten Horst Köhler sehr dankbar, der die ganze Debatte um die sogenannte Sterbehilfe auf den Punkt gebracht hat mit der treffenden Bemerkung: „Menschen wollen nicht durch die Hand eines anderen sterben, sondern an der Hand eines anderen.“ Das ist wahre Menschlichkeit und das Niveau einer humanen und fürsorgenden Gesellschaft, unter das wir in unserem Land hoffentlich nie mehr fallen werden!

Liebe Schwestern und Brüder, solange in Deutschland noch immer alle fünf Minuten ein Kind durch Abtreibung stirbt, werden wir Christen, die ja immer noch die Mehrheit in unserem Land ausmachen, nicht müde, dieses zum Himmel schreiende Unrecht auch beim Namen zu nennen. Aber gleichzeitig werden wir auch nichts unversucht lassen, um schwangeren Frauen in ihren vielfältigen Konflikten und Nöten rund um das Kind in ihrem Leib beizustehen und ihnen jegliche Hilfe zu geben, die sie brauchen werden, um JA sagen zu können zu dem neuen Leben, das ihnen geschenkt ist, ihnen aber nicht gehört.

Von Herzen danke ich Ihnen heute allen für Ihren unermüdlichen Einsatz für den Lebensschutz gerade der Schwächsten und Hilflosesten in unserer Gesellschaft und bitte Sie, nicht müde zu werden und nicht nachzulassen in Ihrem so wichtigen Engagement für das Leben, für die Würde und für das Lebensrecht eines jeden Menschen! Denn Gott sagt uns: "Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben" (Dtn 30,19-20). Amen.

Thomas Maria Renz (Archivfoto) ist Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. kath.net dankt ihm für die freundliche Erlaubnis, die Predigt „Das Leben in allen seinen Phasen schützen!“ veröffentlichen zu dürfen.

Diese Predigt wurde am 19.9.2015 beim ökumenischen Gottesdienst der Teilnehmer des „Marsch für das Leben“ in Berlin gehalten. Der Gottesdienst fand auf der Lustgartenwiese statt.

Archivfoto Weihbischof Thomas Maria Renz/Diözese Rottenburg-Stuttgart


Berlin: Marsch für das Leben 2015 - Aufzeichnung der Kundgebung in voller Länge! (u.a. Statement Weihbischof Heinrich/Berlin)


Rundfunk Berlin-Brandenburg berichtet über den Marsch für das Leben


Foto oben © kath.net/Petra Lorleberg


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