Cordes: Die 'Zeichen der Zeit' sind durchtränkt vom 'Geist der Welt'

14. September 2015 in Interview


Kurienkardinal em. Cordes kritisiert im Hinblick auf Forderungen an die Familien-Bischofssynode: „Hirtensorge pervertiert sich in zerstörerisches Blendwerk, wenn aus den ‚Zeichen der Zeit‘ Glaubensinhalte abgeleitet werden.“ Von Petra Lorleberg


Vatikan (kath.net/pl) „Der Versuch, die Lebenserfahrung des Menschen mit dem Glauben zu harmonisieren, wird ohne Frage von großem pastoralem Einfühlungsvermögen motiviert. Dennoch pervertiert sich Hirtensorge in zerstörerisches Blendwerk, wenn aus den ‚Zeichen der Zeit‘ Glaubensinhalte abgeleitet werden.“ Dies sagte der emeritierte Kurienkardinal Paul Josef Cordes im Interview mit Prof. Pater Robert Dodaro OSA (Rektor des Patristischen Instituts „Augustinianum“/Rom) für das italienische katholische Internetportal „Nuova Bussola“. Das Interview kommt direkt im Vorfeld der vatikanischen Bischofssynode zum Thema „Ehe und Familie“ (4.-25.10.2015) und bezieht sich u.a. auf den Beitrag von Kardinal Cordes im Buch der elf Kardinäle, das noch im September erscheinen wird (Herausgeber ist der Münchner Kirchenrechtler Winfried Aymans). Die Kardinäle reagieren mit dem Sammelband kritisch auf die einseitige Vorbereitung der kommenden Synode, wie Kardinal Cordes kath.net begleitend erläuterte. Der schon mit Spannung erwartete Sammelband wird voraussichtlich in fünf Sprachen erscheinen, die italienische Ausgabe bei Cantagalli, die englische Ausgabe bei „Ignatius Press“ und die deutschsprachige Ausgabe beim Verlag „Herder“.

Prof. Dodaro erinnerte im „Nuova Bussola“-Interview daran, dass die Kirche in Deutschland schon seit langem versuche, das Problem der wiederverheirateten Geschiedenen zu lösen. Schon bei „Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland von 1972-1975“ [auch als „Würzburger Synode“ bekannt] wurde nach einem „Schlupfloch der Barmherzigkeit“ gesucht. P. Dodaro fragte Kardinal Cordes: „Was kann die Geschichte der deutschen Kirche heute lehren?“

Kardinal Cordes antwortete dazu: „Da ich zu der fraglichen Zeit Referent für den Sektor Pastoral im Sekretariat der Deutschen Bischofkonferenz war, haben ich mir die Vorgänge gut eingeprägt. Die Vollversammlung der Synode beschloss bei den Beratungen zum Thema ‚Ehe und Familie‘ ein Votum, den Apostolischen Stuhl um die ‚Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten‘ zu ermöglichen. Eine Kommission aus Bischöfen und progressiven Universitätsprofessoren solle es formulieren. Ich war Sekretär der Kommission. Wir berieten das Thema einige Male, brachen jedoch keinen Text zustande, der präsentabel gewesen wär: Sollten die Formulierungen des Neuen Testaments und der Konzilien für uns verbindlich bleiben, so fand sich kein ‚Schlupfloch der Barmherzigkeit‘. Zudem kamen uns Bedenken: Wie würde sich eine neue pastorale Regelung, die wiederverheirateten Geschiedenen solchen Zugang zum Empfang der Eucharistie ermögliche, auf Ehen in Krisenphasen auswirken? Würde er nicht bei Spannungen zwischen Eheleuten nicht den Willen zur Treue schwächen?“

Der Interviewer griff dann das Stichwort der Notwendigkeit zum „Paradigmenwechsel“ auf, das vom Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode im Februar 2015 bei der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz ins Spiel gebracht worden war. Nach Bode soll den „Zeichen der Zeit“ in der Familienpastoral mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Prof. Dodaro schloss die Frage an: „Kann die Praxis eine Quelle des Glaubens sein?“

Kardinal Cordes erläuterte: „Der Versuch, die Lebenserfahrung des Menschen mit dem Glauben zu harmonisieren, wird ohne Frage von großem pastoralem Einfühlungsvermögen motiviert. Dennoch pervertiert sich Hirtensorge in zerstörerisches Blendwerk , wenn aus den ‚Zeichen der Zeit‘ Glaubensinhalte abgeleitet werden. Bei der Erarbeitung der Konstitution ‚Die Kirche in der Welt von heute‘ das Vaticanum II (= GS) beschäftigte sie die Konzilsväter, und der Konzilstheologe Joseph Ratzinger berichtet ausführlich über die Verwerfung eines solchen Theologumenons.

Die Diskussion kreiste damals um die Glaubensrelevanz von gesellschaftlichen oder kirchlichen Phänomen und machte sich an dem biblischen Ausdruck der ‚Zeichen der Zeit‘ fest: Sehen oder hören wir in diesen Zeichen Gottes Weisung oder Stimme? Können wir sie als theologische Wahrheit deuten? In den Beratungen wurden dann kategorisch abgelehnt, diese ‚Zeichen der Zeit‘ im Leben der Menschen als eine ‚Quelle des Glaubens‘ aufzuspüren – wie es in GS Nr. 11 ursprünglich formuliert worden war. Vielmehr seien solche Zeichen zu unterscheiden (discernere). Auf diese Weise erklärten die Konzilsväter, neu aufgebrochene Ereignisse und Bedürfnisse der Christen dienten den kirchlichen Hirten als Anstoß, sie in das Licht des Glaubens zu stellen, sie zu prüfen und ihnen aus der Wahrheit der Offenbarung heraus eine Antwort zu geben. Sie schlossen ausdrücklichen den peinlichen Kurzschluss aus, ein die Kirche herausforderndes Phänomen wäre als solches schon eine Quelle des Glaubens (locus theologicus), [dies] wurde von ihnen gründlich geklärt (Anm. J. Ratzinger berichtet ausführlich, wie sich die Konzilsväter mit dieser Frage befassten: Kommentar zur Nr. 11 dieser Konstitution, in ‚Lexikon für Theologie und Kirche‘ XIII, Freiburg 1968).

Im Übrigen lässt die Vatikanische Konstitution über die „Göttliche Offenbarung“ selbst keinen Zweifel, dass sich der Glaube der katholische Kirche allein der Heiligen Schrift und der kirchlicher Lehre verdankt (Vgl. H. de Lubac, Die göttliche Offenbarung, Einsiedeln 2001, 14off.). Das Wort Gottes, gedeutet von der katholischen Lehre, ist also der Fels, das dem Haus der Kirche das sichere Fundament gibt (vgl. Lk 6,47ff.) Die sogenannte Orthopraxis oder die ‚Volksmystik‘ sind ja immer vom ‚Geist der Welt‘ (vgl. Rö 12,2) durchtränkt und sie verunklären die Wahrheit des Glaubens.“

Beim Lesen des Cordes-Beitrages im (oben bereits erwähnten) Buch der elf Kardinäle sei ihm der Zwischentitel „Skurrilität“ aufgefallen, schilderte Dodaro und fuhr fort: „Entschuldigen Sie die Frage, aber auf wen und was bezieht sich das?“

Kardinal Cordes sagte dazu: „Der genaue italienische Sinn des Wortes ‚scurrilità‘ ist mir nicht geläufig. Im Deutschen nennen wir ‚skurril‘ das Bizarre, Absonderliche. Der hemmungslose Wille, die Wahrheit von der Unauflöslichkeit der Ehe zu verwässern, verführt sogar Universitätsprofessoren zu theologischen Abstrusitäten. Das wollte ich an zwei Zitaten aufzeigen. Ich fand sie in einem Sammelband des Herder-Verlags (Anm. G. Augustin/I. Proft (Hg.), Ehe und Familie. Wege zum Gelingen aus katholischer Perspektive, Freiburg 2014). In einem Beitrag befürwortet der Ordinarius einer katholischen Fakultät nach der Scheidung eine Zweitehe aus Gründen der ‚generativen Sakramentalität, die das Ehesakrament entgrenzt. Die erste sakramentale Ehe bleibt bestehen, der faktische Bruch aber zerstört nicht den unzerstörbaren Charakter der Treuezusage Gottes, sondern aktiviert die Zusage Gottes von neuem…‘ ( 391). Die ‚Zweitehe‘ wird mit dieser Spekulation zu einer als spezifischen Gnadenquelle gedeutet!

Ein anderer katholischer Universitätslehrer nutzt eine Passage des Völkerapostels an die Korinther, um möglichen unwürdigen Empfang des Herrenleibes zu empfehlen. Während Paulus zur Selbstprüfung auffordert und andernfalls Bestrafung androht – ‚Denn wer davon (vom Leib und Blut des Herrn) ißt und trinkt, der zieht sich das Gericht zu, indem er ißt und trinkt. Deswegen sind unter euch viele schwach und krank, und nicht wenige sind schon entschlafen“ (1 Kor 11,29ff) - unterstellt der Wissenschaftler dem Apostel, er empfehle den unwürdigen Empfang, weil solcher Empfang „nicht auf Verdammnis, sondern auf Rettung zielt‘ (418).Wahrlich eine verblüffende Deutung!“

kath.net dankt S.E. Kardinal Cordes für die freundliche Erlaubnis, seine Antworten in voller Länge übernehmen zu dürfen. Diese Antworten liegen der Redaktion im deutschsprachigen Original vor.

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Kardinal Cordes im Gespräch mit Michael Ragg: "Im Herzen der Weltkirche“


Foto Kardinal Cordes: © kath.net/Paul Badde


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