Medienethiker: Foto des toten Jungen zeigt Katastrophe

4. September 2015 in Kommentar


Es gebe gute Gründe, das Bild des ertrunkenen syrischen Jungen zu zeigen, weil «in bisher einmaliger Weise die humanitäre Katastrophe zusammenfasst und sie sozusagen ins Bild rückt.» Er selber würde sich allerdings gegen Veröffentlichung entscheiden


München (kath.net/KNA) In der Diskussion über die Veröffentlichung des Fotos eines syrischen Flüchtlingsjungen, der tot an einem türkischen Strand liegt, hat der Münchner Medienethiker Alexander Filipovic von einer «Abwägungssache» gesprochen. «Es ist eine Abwägungssache, es hat natürlich etwas mit Menschenwürde zu tun», sagte Filipovic am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). «Es gibt gute Gründe, es zu zeigen, weil dieses Bild, glaube ich, in bisher einmaliger Weise die humanitäre Katastrophe zusammenfasst und sie sozusagen ins Bild rückt.» Er selber würde sich allerdings gegen eine Veröffentlichung entscheiden.

Das Foto ging um die Welt und löste eine Welle der Betroffenheit in den sozialen Medien aus. Es zeigt ein totes Kleinkind, das an einen Strand im Süden der Türkei gespült wurde. Der Junge ist mit einem roten T-Shirt und einer kurzen blauen Hose bekleidet. Es gibt ein zweites Bild, auf dem ein türkischer Polizist den Kleinen fortträgt. Manche Medien hatten sich dagegen entschieden, das Foto des toten Jungen zu drucken.

«Die allermeisten Menschen reagieren zutiefst betroffen und sind zutiefst traurig in dem Moment, in dem sie das Bild erstmals sehen», sagte Filipovic. «Wenn man Tote zeigt, muss man immer sehr, sehr gute Gründe haben, das zu tun.» Einer könne sein, als Journalist seiner Pflicht zur Berichterstattung nachzugehen. «Aber auch dann muss man sich überlegen, wie zeige ich es.»

Er wünsche sich, dass sich wegen solch eines Fotos irgendwann «eine politische Reaktion» ergibt, sagte Filipovic: «Was kann ich eigentlich machen, damit so etwas nicht passiert?» Das sei aber kein Automatismus. «Ob ein Bild eine Einstellung verändert oder ob es zu einem Handeln führt, liegt nicht unbedingt an dem Bild selber, sondern auch an den Menschen.» Abgestumpfte Menschen könnten vielleicht mit so einem Bild gar nichts anfangen.

Bei der Reaktion auf ein Foto könne es einen Unterschied machen, ob der Betrachter religiös ist oder nicht. «Wenn man an ein Leben nach dem Tod glaubt, an eine größere Gerechtigkeit, die wir noch nicht kennen, dann geht man natürlich mit dem Tod anders um.» Filipovic betonte aber zugleich, dass auch nicht religiöse Menschen ebenso sensibel bei solch einem Thema reagieren könnten.

kath.net hat das Foto mit dem Hinweis veröffentlicht: „Die kath.net-Redaktion hat sich nach Prüfung entschieden, dieses Foto eines toten Kindes in seiner vollen Tragik zu zeigen. Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass das Leid der Flüchtlinge alles Zumutbare übersteigt. Es ist uns bewusst, dass man in der Frage, ob man ein solches Foto zeigen soll, berechtigterweise auch anderer Meinung sein kann.“

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