Ist die Wirtschaft an vielem schuld?

2. Juli 2015 in Kommentar


Pro & Kontra: Papst Franziskus übt im Lehrschreiben „Laudato si“ scharfe Kritik an Umweltzerstörung, Klimawandel und Konsumrausch. Ist die Wirtschaft in den Industriestaaten für die globalen Probleme verantwortlich?


Wetzlar (kath.net/idea) Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika (Lehrschreiben) „Laudato si“ (Gelobt seist du) Umweltzerstörung, Klimawandel und Konsumrausch angeprangert. Er sieht die reichen Länder in der Pflicht, ihren Lebensstil zu verändern. Vor allem die Wirtschaft in den Industriestaaten macht der Papst für die globalen Probleme verantwortlich. Ist sie an den Ungerechtigkeiten schuld?

PRO
Es geht nicht um „die“ Wirtschaft, wohl aber um eine bestimmte Form des Wirtschaftens. Wenn Gewinnmaximierung zum obersten Ziel wird, dann wirkt sich eine solche Wirtschaft verheerend für Menschen und die Schöpfung aus. Einer solchen Wirtschaft schleudert der Papst in der Enzyklika „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ ein deutliches Nein entgegen. Er tut dies genauso wie die Kirchen im Ökumenischen Rat auch. Das ist nicht verwunderlich, denn die Mehrheit der Menschen wie der Christen lebt im globalen Süden. Sie erleben, wie die Erde, unser Haus, zu einer „unermesslichen Mülldeponie“ geworden ist – so der Papst. „Man hat die Lektionen der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt, und nur sehr langsam lernt man die Lektionen der Umweltschädigung.“ Die Wurzel für die soziale und ökologische Katastrophe ist der Mensch und eine Wirtschaft, die sich zum Herrn über die ganze Schöpfung aufspielt und die Armen und die Schöpfung zu ihrem Nutzen ausbeutet. „Alles Schwache wie die Umwelt [bleibt] wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden.“ Der Planet kann die Lasten nicht mehr tragen, welche die Menschen ihm aufbürden. Eine „Wegwerfkultur“ macht sich breit. Deshalb mahnt der Papst: „Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen …“. Die Politik muss wieder das Sagen haben, damit die Menschen und die Schöpfung zu ihrem Recht kommen. Wir brauchen eine wahre „kulturelle Revolution“, damit die nötigen Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorgenommen werden, um die Zerstörung der Schöpfung und die Erderwärmung zu bekämpfen. Nötig ist – so auch meine Meinung – eine wirklich universale Solidarität aller im Haus der Schöpfung.

Der Autor, Franz Segbers, war bis 2014 Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie an der Philipps-Universität Marburg.

KONTRA
„Diese Wirtschaft tötet“, ruft uns Papst Franziskus entgegen und verstärkt diese Botschaft in seiner jüngsten Enzyklika noch einmal. Es geht um den Kampf gegen Armut und Umweltzerstörung.

Der Papst bringt ein Unbehagen auf den Punkt, das uns alle beschleicht: Wohlstand verführt. Neue Götter treten in unser Leben. Meine Kritik setzt genau hier an:

1. „Die Wirtschaft“ gibt es nicht. Wir sind es, und wir sind alle Sünder, bringt es Paulus auf den Punkt.

2. Der seelsorglich erhobene Zeigefinger „Du sollst“ übersieht, ob ich überhaupt „kann“. „Die Wirtschaft“ sind immer Menschen, und Menschen fehlen, je mehr Macht sie haben. Kein Zufall also, dass die sozialistischen Diktaturen zu den schlimmsten Umweltsünden überhaupt geführt haben. Die absolute Macht der Herrscherclique hat die Umwelt absolut zerstört und Armut für den größten Teil der Bevölkerung gebracht. Wenn ein falsches Wirtschaftssystem aber zu Armut und Umweltzerstörung führt, hilft ein „Du sollst“ wenig, da der Einzelne kaum anders kann. Es hilft auch wenig, wenn dieser Individualethik alle ökonomischen Anreize entgegenstehen und Menschen gezwungen werden, gegen ihre Interessen zu handeln. Wer „Wohlstand für alle“ (der ehemalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard) und Umweltschutz will, muss die richtige Wirtschaftsordnung schaffen.

Die Gründer der sozialen Marktwirtschaft – alles Christen – wussten um die Sündhaftigkeit des Menschen und hatten erkannt, dass es um den richtigen Ordnungsrahmen geht, damit „Sollen und Können“ (so der Wirtschaftsethiker Karl Homann) kein Widerspruch sind. Mit der richtigen Wirtschaftsordnung lassen sich Ökologie und Ökonomie aussöhnen sowie das Armutsproblem lösen. Das übersieht der Papst.

Der Autor, Hans-Jörg Naumer (Frankfurt am Main), ist Volkswirt in leitender Funktion in der Finanzbranche.

Die Enzyklika „LAUDATO SI“ von Papst Franziskus – der Text in voller Länge in deutscher Übersetzung als PDF (Auf das Bild klicken!)


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