Evangelischer Kirchentag: Wenn Christen für Allah singen

9. Juni 2015 in Kommentar


Eine muslimische Sängerin lädt bei interreligiöser Veranstaltung Kirchentagsbesucher dazu ein, mit ihr in das „La ilaha illa Allah“ („Es gibt keinen Gott außer Gott“) einzustimmen. Von idea-Redakteur Klaus Rösler


Stuttgart (kath.net/idea) Bibelarbeiten von Juden und Muslimen, ein interreligiöses Fest, Begegnungen in Moscheen und einem buddhistischen Zentrum – zahlreiche interreligiöse Angebote prägten den Kirchentag in Stuttgart. idea-Redakteur Klaus Rösler war dabei.

Eine schmale Tür führt in die Alte Stuttgarter Reithalle. Davor eine lange Menschenschlange. Hunderte wollen am interreligiösen Fest mit Abendessen teilnehmen. Doch längst nicht alle kommen hinein. Wie bei vielen Veranstaltungen heißt es dann „Halle überfüllt“. Im Inneren des von riesigen Kronleuchtern festlich beleuchteten Saales sitzen die 400, die es geschafft haben, an eingedeckten Tischen. Für Musik sorgt die Tübinger Gruppe „Les baliseurs du desert“ (Wanderer in der Wüste) mit Liedern aus der islamischen Sufi-Bewegung. Die Mystik der Sufis besteht darin, Allah so nahe wie möglich zu kommen. Sie glauben, dass er ständig im Herzen präsent ist. Die drei Musiker laden ein zum Mitsingen: Auch Christen könnten „Allah“ im Lied verehren, da dies die im Orient übliche Bezeichnung „für den einen Gott“ sei. Und so stimmen viele mit ein. Das Lied erinnert melodisch an den Ruf eines Imams auf einem Minarett.

Muslim: Je mehr Gäste, desto größer der Segen

Bevor das Essen aufgetragen wird, stehen zwei Themenblöcke an – zu den Traditionen der Gastfreundschaft und des Segens im Judentum, Christentum und im Islam. Jeweils eine Jüdin, ein Christ und ein Muslim beziehen Position. Das Thema hat in allen drei monotheistischen Weltreligionen einen hohen Stellenwert, heißt es. Die Jüdin Claudia Marx Rosenstein (Stuttgart) erklärt, dass Gastfreundschaft auf den Stammvater des Volkes Israel, Abraham, zurückgeht: „Gastfreundschaft ist das, was das Menschsein ausmacht.“ Der Beauftragte für Mission und Ökumene der badischen Landeskirche, Benjamin Simon (Karlsruhe), verweist als Beleg für christliche Gastfreundschaft auf den neutestamentlichen Bericht über die Emmausjünger (Lukas 24,13 ff), die Jesus zum Essen einladen. Doch Gastfreundschaft allein ist ihm zu wenig. Angesichts der weltweiten Flüchtlingsströme hält er eine Kultur der Aufnahme für notwendig. Er bedauert, dass es auch vielen Christen schwerfalle, Flüchtlinge als Mitbürger zu akzeptieren. Dabei habe in Baden-Württemberg heute jeder vierte Einwohner einen Migrationshintergrund, bei Jugendlichen bereits jeder dritte. Der Islamwissenschaftler und Moslem Hussein Hamdan (Stuttgart) erläutert, dass Gastfreundschaft im Islam eine religiöse Pflicht ist. Im Fastenmonat Ramadan ist es für Gastgeber eine besondere Ehre, das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang mit möglichst vielen Gästen zu feiern: „Je mehr Menschen versammelt sind, desto größer ist der Segen.“

„Segensworte tun gut“

Auch der Segen ist in allen drei monotheistischen Religionen verankert, heißt es in der zweiten Runde. Nach Überzeugung der Dozentin für Jüdische Liturgie, Annette Böckler (London), geht es beim Segen im Judentum um die Pflege von Beziehungen. Sie stimmt dann auch gleich ein Segenslied an. Die christliche Haltung erläutert erneut Benjamin Simon: „Segensworte tun gut!“ Er freut sich, dass das Segnen derzeit boomt. Der Imam Abdelmalek Hibaoui (Tübingen) erklärt, dass ein Segenswunsch unter Muslimen zum Alltagsgespräch gehört: „In diesem Sinne möge der liebe Gott uns alle segnen.“ Dann wird das Abendessen aufgetragen – Fladenbrot, Salat, Schafskäse, getrocknete Tomaten, gefüllte Weinblätter und Falafel (frittierte Bällchen aus Kichererbsen und Gewürzen). An den Tischen kommen die Besucher schnell miteinander ins Gespräch. Lieder aus den drei Religionen bilden den Abschluss. Mit dem christlichen Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ geht das Fest zu Ende. Kein Christ ist freilich da, der auf die fundamentalen Unterschiede zwischen Islam und Judentum hinweist, die beide das Entscheidende leugnen: Nur das Bekenntnis zu Jesus Christus öffnet das Tor zum Himmel.

Alle singen mit: „Es gibt keinen Gott außer Allah“

Szenenwechsel: Bei einer muslimischen Bibelarbeit tritt die türkischstämmige Musikerin Hülya Kandemir auf. Unter den Türken in Deutschland war sie als Folkloresängerin eine Berühmtheit, bis sie sich 2004 entschloss, nur noch für Allah zu singen. Das hat ihr nicht nur Sympathien eingebracht. Sie freut sich, dass sie auf dem Kirchentag wie selbstverständlich über Allah singen darf. „In der Welt da draußen wird das nicht verstanden“, sagt sie. Hunderte applaudieren. Sie lädt die Kirchentagsbesucher ein, mit ihr in das „La ilaha illa Allah“ („Es gibt keinen Gott außer Gott“) einzustimmen. Die eingängige Popmelodie macht es leicht mitzusingen. Bei der Veranstaltung kümmern sich muslimische Pfadfinder – es gibt 150 in fünf Stämmen in ganz Deutschland – um den reibungslosen Ablauf.

Meditieren ohne Glauben: Einfach sitzen

Erneuter Szenenwechsel. Am Eingang des buddhistischen Zentrums Zen-Dojo (Dojo: Haus) in Stuttgart herrscht eine aufgeheizte Stimmung. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung „Mittagstisch der Religionen“ ist der Raum überfüllt. Niemand kommt mehr rein. Doch mit jeder U-Bahn kommen weitere Massen, die abgewiesen werden. Ein Ordner lädt sie ein zu einem anderen Angebot ganz in der Nähe in einer orthodoxen Gemeinde. Doch nur wenige nehmen es an. Das Kirchentagsprogramm nennt 13 Alternativen: Acht ausländische christliche Gemeinden haben ihre Häuser geöffnet, vier Moscheen – und eben die Buddhisten. Dort ziehen die 50 Besucher ihre Schuhe aus und nehmen auf flachen Sitzkissen Platz. Das Zentrum ist ein schlichter Raum mit Altar, Buddha-Statue, rituellen Trommeln und einem Gong. Der Lehrer für Französisch und Geschichte, Michael Brenner, gibt eine Einführung. In der katholischen Kirche hat er viele Jahre lang Jugendarbeit gemacht. Bis ihm sein Glaube abhandenkam, sagt er. Auf der Suche nach spiritueller Erfüllung hat er vor 20 Jahren Zen kennengelernt: „Da wird kein Glaube vorausgesetzt.“ Die buddhistische Meditationspraxis Zen fasziniert ihn: „Es geht um die Präsenz im Hier und Jetzt.“ Er erläutert, wie man richtig Zazen (Za: Sitzen) praktiziert: wie man sich hinsetzt, die Beine gekreuzt, den Rücken streckt, die Hände aufeinander legt, atmet – und dann nichts mehr tut. Auch nicht nachdenkt. Zehn Minuten meditieren die Besucher so. Eine echte Zen-Zeremonie dauert länger – zweimal 35 Minuten. Einige der bis zu 30 Mitglieder in Stuttgart kommen täglich vorbei, andere einmal in der Woche. Warum macht man das? „Nachher sind wir entspannter, nehmen das Leben mit seinen Problemen leichter“, erläutern zwei Frauen, die zusammen mit Brenner das Mittagessen – Risotto – vorbereitet haben. Ihre Meditationspraxis, das Zazen, kommt aus Japan. Sie ist 2.600 Jahre alt. Ein „Meister“ hat es 1967 nach Europa gebracht. Seit 25 Jahren ist das Zen-Dojo in Stuttgart ansässig. Man kann zwar auch ohne religiösen Hintergrund Zen betreiben, so Brenner, aber mit der Anbindung an den Buddhismus sei es besser. Doch auch als Christin könne man Zazen machen, ergänzt eine der Frauen, die bekennt, weiter gerne in die Kirche zu gehen.

Kritik am „theologischen Mischmasch“

Ein Fazit nach drei Tagen zum interreligiösen Dialog auf dem Kirchentag: Ich habe nette Juden, Muslime und Buddhisten kennengelernt. Man muss als Christ keine Angst haben, mit ihnen über Glaubensfragen zu sprechen. Aber ich freue mich über eine klare Aussage des hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister. Er hat auf dem Kirchentag vor einem „theologischen Mischmasch“ gewarnt, der den Eindruck erweckt, dass „alles irgendwie richtig ist“. Doch genau das hat der Kirchentag getan – wenn Christen fröhlich islamische Anbetungslieder intonieren oder buddhistische Meditationen praktizieren.


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