1,5 Millionen armenische Völkermordopfer werden heiliggesprochen

11. April 2015 in Aktuelles


Erste Heiligsprechung in der Armenisch-apostolischen Kirche seit dem 18. Jahrhundert.


Jerewan (kath.net/ KAP) Mit einer machtvollen kirchlichen Demonstration begeht die armenisch-apostolische Kirche das Gedenken an den Armenier-Genozid vor 100 Jahren im damaligen Osmanischen Reich. 100 Jahre nach Beginn des Massenmords an den Armeniern werden die bis zu 1,5 Millionen Opfer heiliggesprochen. Die Zeremonie findet am 23. April in der Hauptkathedrale der armenisch-apostolischen Kirche in Etchmiadzin statt. Sie wird vom Oberhaupt der Kirche, Katholikos Karekin II., geleitet. So gut wie alle Bischöfe der armenischen Kirche, sowie viele weitere Geistliche und Gläubige aus aller Welt werden zu der Feier in Etchmiadzin erwartet. Es ist die erste Heiligsprechung in der armenisch-apostolischen Kirche seit dem 18. Jahrhundert. Der 24. April wurde von der armenischen Kirche zum Gedenktag der Märtyrerinnen und Märtyrer bestimmt.

Die Heiligsprechungsfeier soll nach derzeitigem Stand gegen 16 Uhr (Ortszeit) beginnen. Sie endet um 19.15 Uhr in Anlehnung an die Jahreszahl 1915. Zu diesem Zeitpunkt werden die Glocken aller armenischen Kirchen weltweit zum Gedenken an die Völkermord-Opfer läuten. Es folgt ein Moment der Stille, bevor dann das Vater Unser gebetet wird.

Am 24. April 1915 hatten Einheiten der osmanischen Geheimpolizei in Istanbul hunderte armenische Intellektuelle verhaftet und nach Anatolien deportiert, wo die meisten den Tod fanden. Dies war der Startschuss für den Völkermord an den Armeniern und weiteren Christen syrischer Tradition, der bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Zu Jahresbeginn hatte der armenisch-apostolische Katholikos-Patriarch Karekin II. in einer Enzyklika an die Armenier in aller Welt dazu aufgerufen, das 100-Jahr-Gedenken im Zeichen des kraftvollen Rufs nach Wahrheit und Gerechtigkeit, den man nicht zum Schweigen bringen kann, zu begehen.

Wörtlich schrieb der Katholikos-Patriarch: "Vor 100 Jahren, als die Überbleibsel der ihres Erbes beraubten armenischen Nation in aller Welt verstreut waren und das östliche Armenien einen Überlebenskampf auf Leben und Tod gegen die türkischen Invasoren auszufechten hatte, war es schwierig, an eine Zukunft des armenischen Volkes zu glauben. Trotzdem kam ein neuer Morgen. Durch die Gnade Gottes ist unser Volk vom Tod auferstanden. In einem kleinen geretteten Teil des Vaterlandes hat unser Volk seine Staatlichkeit wiederhergestellt, aus Ruinen und Überresten ein Land erstehen lassen und eine Heimat des Lichtes und der Hoffnung, der Wissenschaft, der Bildung und Kultur aufgebaut."

1,5 Millionen Töchter und Söhne des armenischen Volkes seien den Blutbädern, dem Hunger und den Krankheiten zum Opfer gefallen, als man sie deportierte und sie zwang, in den Tod zu marschieren. Jahrhunderte der Kreativität seien im Nu geplündert worden, tausende Klöster und Kirchen wurden entweiht und zerstört, ebenso Schulen und Bildungseinrichtungen.

Wörtlich betonte Karekin II.: "Unsere spirituellen und kulturellen Schätze wurden ausgerottet und vernichtet. Aus dem westlichen Armenien, wo unser Volk seit Jahrtausenden, seit den Zeiten des Noah, gelebt, seine Geschichte und Kultur aufgebaut hat, wurde die ursprüngliche Bevölkerung gewaltsam vertrieben."

Aber wohin auch immer die Kinder der armenischen Nation vertrieben wurden, hätten sie Erfolg gehabt, Respekt und Vertrauen erworben und Anerkennung für ihre Beiträge zu Wissenschaft, Kunst und Allgemeinwohl gewonnen. Das sei die Geschichte des armenischen Volkes in den letzten 100 Jahren, so der Katholikos-Patriarch.

Heute stärke die armenische Nation trotz aller Schwierigkeiten ihre unabhängige Staatlichkeit. Sie stärke ihr neues Leben der Freiheit. Und sie schaue hoffnungsvoll in eine von Optimismus und Glauben geprägte Zukunft.

Für die Sache der Gerechtigkeit würden Kirche, Nation und Staat Armeniens "gemeinsam kämpfen, bis unsere Sache siegt", betonte der Katholikos-Patriarch. Das Blut der schuldlosen Märtyrer und das Leid des armenischen Volkes würden nach Gerechtigkeit schreien, aber ebenso die zerstörten Heiligtümer und die "systematische Verfälschung" der Geschichte.

"Unser Volk, das den Genozid überlebt hat, glaubt, dass sich den vielen gerechten Nationen, Organisationen und Einzelpersonen, die den Genozid an den Armeniern anerkannt und verurteilt haben, andere anschließen werden", so Karekin. Diese solidarischen Stimmen seien überzeugt, dass die Betonung von Wahrheit und Gerechtigkeit "Voraussetzung und Garantie für eine friedliche, von Feindschaft und Gewalt freie Welt" seien.

Neue Richtlinien für Heiligsprechung

Im September 2013 hatte die Bischofssynode der Armenischen Kirche in Etschmiadzin den Grundsatzbeschluss für die Heiligsprechung der rund 1,5 Millionen Opfer gefasst.

Es war dies die erste armenische Bischofssynode seit dem Jahr 1651; 62 Erzbischöfe und Bischöfe aus aller Welt nahmen unter dem gemeinsamen Vorsitz des Katholikos aller Armenier, Karekin II., und des Katholikos von Kilikien, Aram I., an der Synode teil. Die Bischöfe führten bei der Synode eine breite Diskussion über die Wiederaufnahme der in der armenischen Kirche nicht mehr üblichen Tradition der Heiligsprechung. Ein eigenes Heiligsprechungs-Komitee wurde beauftragt, die Studien über individuelle und kollektive Heiligsprechung zu vertiefen. Das Komitee sollte auch entsprechende kirchenrechtliche Bestimmungen und einen Ritus der Heiligsprechung ausarbeiten. Der endgültige Beschluss zur Heiligsprechung bzw. die Details der Zeremonie wurden dann bei der folgenden Bischofssynode im November 2014 bestimmt.

Von armenischer Seite wird darauf verwiesen, dass der Genozid auch eine religiöse Dimension hatte. Obwohl die Hauptverantwortlichen - die Führungsriege des im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs regierenden "Komitees für Einheit und Fortschritt" (Ittihad ve Terakki) - nahezu alle Atheisten und Agnostiker waren, spielten sie bei der Durchführung der systematisch durchgeplanten Ausrottungskampagne auch die religiöse Karte aus: Armenier, die sich zum Islam "bekehrten", blieben weitgehend verschont. Auf diesem Hintergrund würde die Kanonisation der Genozid-Märtyrer auch nach den strengen Regeln für Heiligsprechungen halten, weil die Morde "in odium fidei" (aus Hass gegen den christlichen Glauben) erfolgten, hieß es von armenischer Seite.

Weitere Meldungen zum Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten sowie zur aktuellen politische Debatte und zu den Gedenkveranstaltungen sind im Internet unter www.kathpress.at/Armenier1915 abrufbar.

Copyright 2015 Katholische Presseagentur KATHPRESS, Wien, Österreich (www.kathpress.at) Alle Rechte vorbehalten.


© 2015 www.kath.net