Zur Pastoral an wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen

27. März 2003 in Deutschland


"Innerkirchliche Macht- und Prestigekämpfe sollten am wenigsten auf dem Rücken der Eheleute und ihrer Kinder ausgetragen werden. Mit Polemik gegen das kirchliche Lehramt kommt hier niemand weiter." - Ein Beitrag von Bischof Gerhard Ludwig Müller


Regensburg (www.kath.net/pdr)
Bei der Vollversammlung des Diözesanrates wurde unter vielen verschiedenen Themen auch die Möglichkeit des Kommunionempfangs von wiederverheirateten Geschiedenen angesprochen. Merkwürdigerweise haben die Medien die Inhalte meines Vortrages über die geistige Situation des Christentums in der Moderne und Postmoderne mit keiner Silbe erwähnt und stattdessen nur die genannte Frage und den „Fall Kobold“ aufgegriffen und verbreitet.

Damit ist der Eindruck erweckt worden, in der Diözese Regensburg seien nur Reizthemen und Skandale von Interesse. Die geistliche Wirklichkeit im Bistum sieht jedoch ganz anders, und zwar sehr ermutigend aus. In unserem Raum ist es die katholische Kirche, die unter allen vergleichbaren gesellschaftlichen Gruppierungen die stärksten Initiativen im kulturellen, sozialen und caritativen Bereich entfaltet, ganz abgesehen von dem Einsatz tausender hauptamtlicher und ehrenamtlicher Mitarbeiter im pastoralen Bereich und der erfreulichen hohen Zahl der Gläubigen, die am kirchlichen Leben teilnehmen.

Dies muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, damit nicht einer verzerrten und verkürzten Wahrnehmung der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit Vorschub geleistet wird. Deshalb will ich an dieser Stelle, bevor ich auf das Thema der Pastoral für die wiederverheirateten Geschiedenen zu sprechen komme, noch einmal allen Priestern und pastoralen Mitarbeitern sowie allen Ordensleuten und Laien für ihr Engagement für die Ortskirche von Regensburg und die Weltkirche danken. Denn die Kirche ist in der Gesellschaft soweit präsent, wie es der freiwillige Einsatz ihrer Mitglieder ermöglicht.

Die Situation

Die Situation von Ehe und Familie, aber auch von scheiternden Ehen und auseinander fallenden Familien ist derart komplex, dass man mit ein paar Schlagzeilen der Einzel- und der Gesamtproblematik nicht gerecht werden kann. Hier muss man sehr viel theologische Kenntnis, ein pastorales Gespür und eine persönliche Diskretion mitbringen, um Menschen, die in eine schwierige Familiensituation geraten sind, wirklich geistlich und pastoral helfen zu können.

Innerkirchliche Macht- und Prestigekämpfe sollten am wenigsten auf dem Rücken der Eheleute und ihrer Kinder ausgetragen werden. Mit Polemik gegen das kirchliche Lehramt kommt hier niemand weiter.

Lösungen

Was kann ich als Bischof denjenigen Menschen sagen, deren Ehe - aus welchen Gründen auch immer - „gescheitert“ ist? In diesem Zusammenhang spreche ich von den Gläubigen, die nach einer kirchlichen Eheschließung und dem Scheitern dieser Ehe mit einem anderen Partner eine neue Zivilehe eingegangen sind.

Auf der Grundlage der Lehre Christi versteht die Kirche jede gültig (!) geschlossene Ehe unter Christen als Sakrament mit den Kennzeichen der Unauflöslichkeit, der Einheit (Monogamie) und der prinzipiellen Bereitschaft für Kinder und ihre Erziehung. Dass dies der unverrückbare Ausgangspunkt aller Pastoral der Familien sein muss, haben die Oberrheinischen Bischöfe in ihrem Hirtenbrief von 1993 und die Kongregation für die Glaubenslehre unterstrichen. Im Schreiben der Kongregation (1994) heißt es: „In Treue gegenüber dem Wort Jesu (vgl. Markusevangelium 10,11f) hält die Kirche daran fest, dass sie eine neue Verbindung nicht als gültig anerkennen kann, falls die vorausgehende Ehe gültig war“ (Nr. 4).

Hier ergibt sich aber die gewichtige Frage nach den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit eine gültige und sakramentale und unauflösliche Ehe zustande kommt.

Dabei ging es auf der Grundlage des synodalen Schreibens „Familiaris consortio“ des Papstes um die Gesamtpastoral auch für die wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen und nicht allein um den Kommunionempfang. Der Eindruck, dass sich die Kirche und vor allem die Seelsorger nicht um diese Gläubigen kümmern, wird ebenso oft behauptet, wie er zu jederzeit falsch war und ist. Es gab und gibt sowohl individuelle Schwierigkeiten im Zusammenleben oder auch Defizite in der seelischen und geistlich-religiösen Entwicklung der einzelnen Ehepartner, die das eheliche Zusammenleben stören oder gar zerstören können. Aber es sind heute auch verstärkt soziologische Veränderungen oder auch die ideologische Relativierungen der Ehe, die die Anerkennung der Ehe als Gemeinschaft des Leibes, des Lebens und der Liebe untergraben. In manchen Regionen gibt es eine Scheidungsrate von 40% der zivilrechtlich geschlossenen Ehen (darunter jedoch auch viele Nicht-Christen), während bei den kirchlich geschlossenen Ehen der Anteil der wiederverheirateten Geschiedenen geringer ist.

Die Gültigkeit der Ehe

Eine Ehe unter Christen ist nur dann gültig und damit unauflösbar, wenn die Ehegatten bei der Eheschließung auch die Bereitschaft mitbringen, die Ehe zu verstehen und zu leben, wie die Glaubensgemeinschaft der Kirche sie definiert (d.h. die Absicht des Sakramentenempfängers muss mit der Intention der Kirche übereinstimmen). Wer nur aus Konvention den Eheschließungsritus über sich ergehen lässt (wegen der äußerlich schöneren Feier im Vergleich zum Standesamt etwa) ohne den ernsthaften Willen, sich zu der Erfüllung dessen, was er vor Gott und der Kirche verspricht, auch zu verpflichten, der schließt keine gültige Ehe. Es kann aber auch vorkommen, dass subjektive Faktoren (mangelnde Reife oder fehlende äußere und innere Freiheit, aber auch die fehlende Intention, das zu tun, was die Kirche in der Feier der Sakramente vollzieht) den notwendigen Ehewillen beeinträchtigen. Dann aufkommende Zweifel an der Gültigkeit der Ehe müssten in einem kirchlichen Nichtigkeitsverfahren geprüft werden.

In einer Zeit schwächerer Identifikation mit dem christlichen Glauben kann es sein, dass jemand formal eine kirchliche Ehe geschlossen hat, aber ohne einen echten Ehewillen, und dass der Betreffende nach dem Scheitern dieser Ehe erneut heiratet und nun, weil er zu einem tieferen christlichen Glauben gefunden hat, diese zweite Verbindung ehrlich als sakramentale Ehe leben will. Die Frage ist dann, ob die erste Eheschließung, die ohne den erforderlichen Ehewillen geschah, eine sakramentale Ehe begründete oder nicht?

Da die katholische Ehe sowohl eine persönliche Angelegenheit aber zugleich auch eine öffentlich-kirchliche Institution ist, muss jeder katholische Gläubige, der eine zweite Verbindung eingehen will, nachdem die erste zerbrochen ist, sich dem objektiven Verfahren des kirchlichen Ehegerichtes unterstellen. Hier wird geprüft, ob es sich bei der ersten Ehe um eine gültige Eheschließung handelte oder ob die notwendigen Bedingungen damals nicht vorhanden waren und darum die damalige Eheschließung ungültig war und deswegen eine sakramentale und unauflösliche Ehe nicht zustande gekommen war.

Sakrament und Leben

Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der christlichen Lebensführung und dem Sakramentenempfang. Damit ist gesagt, dass weder der Empfänger noch der Austeilende der Kommunion sich auf sein Privaturteil verlassen und willkürlich handeln darf (etwa nach dem Gesichtspunkt, ob er als großzügig oder eng beurteilt wird). Es widerspräche dem katholischen Glauben, sich hier auf sein Privaturteil zu berufen und an der Kirche vorbei den Kommunionempfang für sich erzwingen zu wollen. Das Gewissen des Christen orientiert sich an Gottes Willen, der sich in der Schöpfungs- und Erlösungsordnung und in der sakramentalen Heilsvermittlung der Kirche offenbart - und nicht an der Kirche vorbei oder gar im Gegensatz zur Kirche, der Christus die Binde- und Lösevollmacht übertragen hat.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen diejenigen Gläubigen, die im Eheprozess nicht die Ungültigkeit der ersten Eheschließung nachweisen können (weil keine Zeugen zum Nachweis der behaupteten Ungültigkeit zur Verfügung stehen, zumal wenn der erste Partner aus Gleichgültigkeit oder aus Rachegefühlen die Aussagen verweigert), aber bei denen mit großer moralischer Gewissheit feststeht, dass es sich um eine ungültige Ehe gehandelt hat.

Hier kann der Bischof und Priester, denen von Christus die Binde- und Lösegewalt innerhalb des Bußsakramentes anvertraut worden ist, die Erlaubnis zum Kommunionempfang verantworten. Es geht also nicht darum, „fünf gerade sein“ zu lassen oder einer Art Doppelmoral das Wort zu reden. Gemeint sind die Grenzfälle, in denen die Ungültigkeit der ersten Eheschließung mit höchster moralischer Gewissheit feststeht, diese aber aus formalen Gründen des Prozessrechtes und ohne Schuld der betroffenen Person juristisch nicht bewiesen werden kann. Weil in diesem Fall das unauflösbare Eheband nicht besteht, bildet es kein objektives Hindernis für den Empfang der heiligen Kommunion, in der sich die sakramentale Einheit mit Christus und der Kirche vollzieht. Dabei muss aber die notwendige Diskretion eingehalten werden, damit nicht der Eindruck von Willkür entsteht oder überhaupt Zweifel an der Lehre der Kirche von der Unauflöslichkeit der Ehe aufkommen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Pastoral der Vorbereitung auf die sakramentale Ehe. Die Seelsorge darf nicht erst anfangen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir müssen alles tun, damit junge Männer und Frauen seelisch, geistig und geistlich so gut sich auf die Ehe vorbereiten, dass sie die Sakramentalität mit ihren Kennzeichen der Einheit, der Unauflöslichkeit und der Offenheit für Kinder und die hingebende Liebe für sich nicht als Last empfinden, sondern als Evangelium, als frohe Botschaft, erfahren. Mit der Hilfe der Gnade Gottes ist dem glaubenden Menschen eine lebenslange Treue zum Ehebund, zum Ordensgelübde und zum Weiheversprechen möglich.

Schreiben der Glaubenskongregation über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen

FORUMSDISKUSSION: Ausnahmen beim Kommunionverbot für wiederverheiratete Geschiedene


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