«Ein Ort, an dem einem zugehört wird»

30. August 2014 in Interview


Taizé-Prior Frère Alois zum Konzil der Jugend vor 40 Jahren. Von Alexander Brüggemann (KNA)


Taizé (kath.net/KNA) Vor 40 Jahren, am 30. August 1974, begann in Taizé in Burgund das sogenannte Konzil der Jugend. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet der heutige Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, der Deutsche Frère Alois (Löser, 60), wie er diese Versammlung damals als junger Mann erlebte, und er erläutert, warum die Botschaft von damals noch heute wirkt.

KNA: Frère Alois, vor 40 Jahren begann in Taizé das sogenannte Konzil der Jugend. Und Sie, der Sie heute der Prior von Taizé sind, waren als Jugendlicher dabei. Was ist dort damals vor sich gegangen?

Frère Alois: Ich war damals gerade 20 Jahre alt. Die Eröffnung des Konzils der Jugend war ein großes Fest. Es herrschte eine echte Aufbruchstimmung, eine Hoffnung, dass sich in Kirche und Gesellschaft vieles verändert: mehr Gerechtigkeit, ein stärkeres christliches Engagement.

KNA: Die frühen 70er Jahre waren eine wilde Zeit, engagiert, politisch, bewegt - Stichwort Studentenrevolte. Was hat die Jugend, was hat Sie damals angezogen an diesem «Konzil» von Taizé?

Frère Alois: Im Rückblick bin ich noch immer erstaunt und dankbar, wie Frère Roger die Jugendlichen damals aufgenommen hat. Jugendliche, die sehr kritisch waren, oft überkritisch mit der Kirche und mit dem Gesellschaftssystem. Aber man hat gespürt, dass hier ein Ort ist, an dem einem zugehört wird, an dem man so sein kann, wie man ist, ohne dass gleich Forderungen gestellt werden.

KNA: Inwiefern war das wirklich ein Konzil, ähnlich wie das Zweite Vatikanum in Rom? Es konnte hier ja nicht um irgendwelche Formen von Kirchengesetzgebung gehen?

Frère Alois: Für unsere Gemeinschaft war das Zweite Vatikanische Konzil ein ganz entscheidendes Ereignis, ein wirklicher Aufbruch zu etwas Neuem. Ökumene war auf einmal möglich. Und auch die Tatsache, dass wir als katholische und evangelische Brüder zusammenleben können, haben wir dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu verdanken. Aber Frère Roger hatte schon am Ende des Konzils die Befürchtung, dass die Einheit der Christen, die er so stark erwartete, nicht kommt. Er war der Überzeugung, dass die Jugendlichen einen neuen Impuls geben können für die kirchliche Erneuerung und für die Einheit. Er wollte nicht so sehr ein Konzil mit konkreten Texten abhalten – dafür braucht es offizielle Kirchenvertreter und nicht nur Jugendliche, sondern es ging ihm darum, die spirituelle Vitalität der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils wiederzufinden.

KNA: Und das ist gelungen?

Frère Alois: Bei der Eröffnung des Konzils der Jugend waren 40.000 Jugendliche für drei Tage hier. Es hat geregnet und geregnet, und für die gemeinsamen Gebete waren große Zelte aufgebaut worden. Frère Roger hat sehr bald festgestellt, dass wir die Richtung ändern müssen; es darf nicht alles so sehr auf Taizé zentriert sein. Wir müssen konkret in die Kirche hineinwirken. Wir wollten in Taizé und um Taizé herum keine organisierte Jugendbewegung aufbauen. Unser Aufruf ist bis heute: «Geht in eure Kirchengemeinden; dort ist der Ort der Kirche. Der Glaube kann nur in Gemeinschaft gelebt werden, und das muss in eurer Ortskirche stattfinden.» Taizé ist ein Ort des Durchgangs, ein Ort für Pilger.

KNA: Aber für Sie persönlich galt das ja nicht. Für Sie war gleich klar: Taizé, das ist ab jetzt mein Leben.

Frère Alois: Ich bin 1973 nach Taizé gekommen und habe das letzte Jahr der Vorbereitung auf das Konzil der Jugend miterlebt - auch in Kontakt mit Osteuropa übrigens. Ich konnte im Frühjahr 1974 drei Wochen nach Prag fahren, nur wenige Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Ich habe gespürt, welche Möglichkeiten die Kirche hat, Grenzen zu überschreiten - und wie sehr von Taizé eine Dynamik für Versöhnung und für diese Grenzüberschreitung ausgeht. Im November 1974 bin ich dann in die Communaute eingetreten.

KNA: War das Konzil der Jugend damals für Taizé als Bewegung und als Gemeinschaft eine neue Qualität, eine Art Quantensprung?

Frère Alois: Natürlich. So viele Jugendliche aufzunehmen und ständig mit ihnen in Kontakt zu sein, hat uns sehr geprägt und hat auch bewirkt, dass wir die Europäischen Jugendtreffen an Silvester seit so vielen Jahren weiterführen. 2015 wird für uns ein besonderes Jahr: Der 100. Geburtstag von Frère Roger, dazu sein zehnter Todestag und der 75. Jahrestag der Gründung der Communaute. Wir haben dafür das Thema Solidarität gewählt. Der Glaube öffnet uns die Augen für die Nöte um uns herum und in der Welt.

KNA: Es gibt also 2015 auch wieder eine Taizé-Großveranstaltung?

Frère Alois: Ja, in der Woche vom 9. bis 16. August. Der 16. August ist der Todestag von Frère Roger. Es werden Vertreter verschiedener Kirchen kommen. Wir wollen mit den Jugendlichen Wege suchen, um noch stärker aus dem Glauben heraus in Solidarität mit anderen zu leben. In den vergangenen Jahren hatten wir Jugendtreffen auf anderen Kontinenten, um 2015 vorzubereiten, zuletzt in Mexiko-Stadt und vor zwei Jahren in Ruanda. Damit wollen wir deutlich machen, dass wir Christen in der globalisierten Welt neu herausgefordert sind.

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Foto Frère Alois © Wikipedia/Sabine Leutenegger/Taizé/Gemeinfrei


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