'Sie wollen eine UN-Sicherheitszone'

24. August 2014 in Interview


Johannes Freiherr Heereman, Präsident von Kirche in Not, hat die christlichen Flüchtlinge im Nordirak besucht. Interview von Claudia Zeisel (KNA)


Königstein (kath.net/KNA) Im Zuge des Terrors der Milizen des «Islamischen Staates» (IS) im Irak sind Christen insbesondere in die kurdische Hauptstadt Erbil und nach Dohuk im Norden des Landes geflohen. Dort leben sie zum Teil unter freiem Himmel.

Kirche-in-Not-Präsident Johannes Freiherr Heereman (Foto) hat die Flüchtlinge besucht. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet er von der Verzweiflung der Menschen, aber auch von der unermüdlichen Hilfsbereitschaft der Kirche vor Ort.

KNA: Herr von Heereman, Sie haben christliche Flüchtlinge in Erbil und Dohuk besucht. Unter welchen Umständen leben die Menschen dort?

Heereman: In Erbil leben rund 70.000 Flüchtlinge, die meisten davon im christlich geprägten Viertel Ankawa. Sie leben überall dicht gedrängt in Unterkünften aller Art, einige auch in einer klimatisierten Sportanlage. Daneben gibt es viele Zeltlager, wo die Menschen bei 45 Grad Hitze hausen. Um den Bischofssitz lagern die Menschen im Freien auf Matratzen. Manche liegen unter Büschen oder Zeltplanen. Alles ist noch sehr provisorisch.

Die Kirche versucht deshalb, Häuser anzumieten. Diese sind aber zum Teil noch Rohbauten. Im Norden des Landes sind Familiengruppen in einzelne Dörfer geflohen und hausen entlang der Straße oder auch in Schulgebäuden. Aber im September geht die Schule wieder los.

KNA: Welchen Eindruck machen die Flüchtlinge auf Sie?

Heereman: Die Menschen sind traumatisiert. Viele von ihnen mußten zwei Mal fliehen, einmal aus Mossul und dann aus Karakosch. Den Besitz, den sie vielleicht bei der ersten Flucht mitnehmen konnten, mussten sie beim zweiten Mal zurücklassen. Die Menschen sind verzweifelt, fragen: Was soll aus uns werden? Wir wollen in den Westen, sagen ganz viele. Sie haben mich flehentlich gefragt, ob ich ihnen ein Visum besorgen könne.

Einige hoffen, dass sie später wieder zurückkönnen, träumen von einer UN-Sicherheitszone. Doch dieser Traum ist meiner Ansicht nach weit weg. Die Vereinten Nationen können ja nur da eingreifen, wo Spielregeln herrschen und Grenzziehungen erfolgt sind. Bis eine echte Befreiung stattgefunden hat, wird es wohl länger dauern, als die Leute sich vorstellen können. Manche meinen, der Spuk sei in zwei Wochen vorbei.

KNA: Wie schätzen Sie das militärische Vorgehen gegen den IS ein?

Heereman: Das Eingreifen der USA war dringend notwendig, doch ob das allein reicht, ist fraglich. Es ist ganz schwierig zu entscheiden, ob wir den kurdischen Kämpfern Waffen geben sollten. Wer weiß, was sie später damit machen? Man darf die Situation nicht vergleichen mit einem strategischen militärischen Angriff. Hier geht es um Nothilfe, darum, eine Mörderbande zu stoppen. Das ist die Aufgabe der Weltgemeinschaft. Man muss IS bekämpfen. Eine politische Lösung ist nicht zu sehen, die Kämpfer rekrutieren sich aus allen möglichen Quellen, werden unter anderem von den Sunniten unterstützt.

Man muß alles denkbare für das Überleben der Christen und Jesiden tun. Was aus den Angreifern werden soll, weiß ich nicht, für den Umgang mit Fanatikern gibt es keine Spielregeln.

KNA: Medienberichten zufolge ist die kurdische Kampftruppe Peschmerga bereit, auch Christen im Irak mit Waffen auszurüsten. Was halten Sie davon?

Heereman: Selbstverteidigung ist ein Recht des Menschen. Wir können die Leute doch nicht ausliefern und zuschauen, wie die IS-Milizen ihnen die Kehle durchschneiden. Überhaupt wurde die Not der Christen im Irak von den Medien viel zu lange verschwiegen. Das lag sicher auch an der Not der Jesiden, die im Gebirge festsaßen auf der Flucht vor dem IS. Immerhin ist nun der Sondergesandte des Vatikan, Kardinal Fernando Filoni, in den Irak gereist - ein sehr gutes und wichtiges Signal für die Christen im Land. Vorher fühlten sie sich regelrecht verlassen.

KNA: Wie können kirchliche Helfer vor Ort die Flüchtlinge unterstützen?

Heereman: Die Kirche spielt eine entscheidende Rolle. Pfarrer und Ordensschwestern arbeiten hier bis zur Erschöpfung. Rund um die Uhr sind sie im Einsatz, ob sie nun für die Vertriebenen Lebensmittel oder Matratzen kaufen, sie medizinisch versorgen oder traumatisierte Menschen psychosozial betreuen. Die Helfer jammern nicht, obwohl man sieht, dass sie am Rande ihrer Kräfte sind.

KNA: Haben die Menschen Hoffnung auf die Rückkehr in ein normales Leben?

Heereman: Die Hoffnung der christlichen Flüchtlinge ist sehr gering. Sie misstrauen den Muslimen. Alles, was da mal an Vertrauen gewachsen ist, ist zerstört. Kaum waren die Familien geflohen, fielen häufig die Nachbarn über ihr Haus her und plünderten es. Menschen, mit denen sie jahrelang Tür an Tür gelebt haben, schlossen sich den Terroristen an. Das sind die ganz schlimmen Fälle. Die meisten sagen: Betet für uns.

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