Gehen 'Rom' und Evangelikale zusammen?

7. August 2014 in Kommentar


Evangelischer Kommentar: Warum die Treuesten der Treuen in der Volkskirche theologisch immer mehr bewundernd nach „Rom“ blicken. Von Helmut Matthies (idea)


Wetzlar (kath.net/idea) Ein jüdischer Reiseleiter in Israel beeindruckte durch seine Kenntnis des Neuen Testamentes so sehr, dass man ihn fragte: „Wenn Sie sich dort besser als viele Christen auskennen, warum werden Sie eigentlich kein Christ?“ Und seine Antwort: „Was sollte ich denn werden? Es gibt über 500 verschiedene christliche Konfessionen, die sich teilweise auch noch bekämpfen, indem sie sich gegenseitig absprechen, die Wahrheit über Jesus zu verkünden!“

Damit hat der Jude eines der wesentlichsten Hindernisse beschrieben, warum nicht mehr Menschen Christen werden. Jesus hat gebetet, dass seine Nachfolger „eins“ sein sollen (Johannes 17,21). Die Ökumene ist also Christenpflicht. Die einen versuchen, sie zu erfüllen, indem sie die Wahrheitsfrage ganz ausklammern – nach dem Motto, es sei letztlich nicht wichtig, was Christen im Einzelnen glauben. Andere (vor allem im evangelikalen Bereich) erheben Themen zur Heilsfrage, die keine sind (wie Taufe, Amtsverständnis, Maria), und verhindern damit Ökumene. Beides ist einseitig.

Ökumene und biblische Wahrheit gehören zusammen

Denn Ökumene und Wahrheit gehören natürlich zusammen. Was ist nun Wahrheit? Der Herr der Kirche hat es selbst gesagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Johannes 14,6). Wo Christus als das alleinige Heil in Wort und (!) Tat im Mittelpunkt steht, ist Ökumene möglich.

Und genau hier geschieht kirchengeschichtlich Bedeutsames: Die mit 1.200 Millionen Mitgliedern größte Kirche, die katholische, ist auf den stärksten protestantischen Block zugegangen, die rund 400 Millionen Mitglieder von Pfingstkirchen. Papst Franziskus bat letzte Woche beim Besuch einer Pfingstgemeinde nahe Neapel als „Hirte der Katholiken“ für jene unter seinen „Schafen“, die Pfingstler verurteilt haben, öffentlich um Vergebung*. Die Bitte erfolgte, obwohl ja nicht nur große Teile „Roms“ noch vor kurzem die Pfingstler als Sektierer bezeichneten, sondern umgekehrt für viele Pfingstkreise der Vatikan bis heute ein Sektenzentrum darstellt.

Der Papst hat die Evangelikalen im Blick

Doch es geht offensichtlich nicht nur um den größten Teil der evangelikalen Bewegung, den die erst vor über 100 Jahren entstandene Pfingstbewegung bildet, sondern um die etwa 600 Millionen Evangelikalen insgesamt. Entsprechend titelte Radio Vatikan: „Vergebungsbitte des Papstes an Evangelikale“. Fest steht, dass sich theologisch konservative Protestanten (also Evangelikale) und „Rom“ in Gestalt der letzten beiden Päpste noch nie so nahestanden. Dazu beigetragen hat vor allem Papst Benedikt XVI., dessen drei Jesus-Bücher von evangelikalen Theologen als rundweg bibeltreu bezeichnet wurden.

Könnten sich nun die beiden größten Ströme der Weltchristenheit – Katholiken und Evangelikale – zusammentun? Das wäre weder praktikabel noch im Augenblick theologisch möglich. Denn so wie es unbiblische Erscheinungen innerhalb der Pfingstbewegung gibt (besonders in Brasilien mit einem Wohlstandsevangelium mit geradezu antichristlichen Folgen), so gibt es Teile der katholischen Lehre und Kirche, die ebenso dem biblischen Zeugnis diametral entgegenstehen (wie beispielsweise der Heiligen- und Marienkult in südlichen Ländern).

Der bewundernde Blick nach Rom

Neu jedoch ist, dass Benedikt XVI. und Franziskus, wie selten Päpste zuvor, betonen, dass der gekreuzigte, auferstandene und wiederkommende Christus das alleinige Zentrum der Kirche ist.

Und hier ist die groteske Situation für Evangelikale in den Landeskirchen entstanden, dass ihnen in der entscheidenden Lehre – der von Christus – diese beiden Päpste näherstehen als leider viele evangelische Kirchenleiter in Deutschland, die ja nicht nur die leibliche Auferstehung Jesu leugnen, sondern auch den Sühnetod Christi oder gar erklären, die Bibel sei ein Buch wie jedes andere.

Dank der zurzeit über alle Maßen fließenden Kirchensteuer bewegt es bislang weder Bischöfe noch Synoden, dass die Treuesten der Treuen in der Volkskirche theologisch immer mehr bewundernd nach „Rom“ blicken – was sie in ethischen Fragen (wie Abtreibung) schon lange tun. Das alles aber könnte gravierende Folgen haben.

Der Autor, Helmut Matthies (Wetzlar), ist idea-Leiter.

*Anm. der Redaktion: Genaugenommen hatte Papst Franziskus die evangelikalen bzw. pfingtlerischen Christen nicht allgemein um Vergebung gebeten, sondern speziell im Hinblick darauf, dass einige Katholiken in der Zeit des italienischen Faschismus mit den Faschisten zusammen gegen die protestantischen Christen vorgegangen waren.

Videobotschaft von Papst Franziskus über die Einheit der Christen an eine pfingstlerische Leiterkonferenz (englische Untertitel)



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