Die Reise nach Jerusalem

11. Juni 2014 in Kommentar


Wie im wirklichen Leben überall auf der Welt müssen wir auch in der Heiligen Stadt mit Akribie suchen, was für uns geistlichen Fortschritt bedeutet. Gastkommentar von Franz Norbert Otterbeck


Jerusalem-Vatikan (kath.net) Die Reise nach Jerusalem ist kein Kinderspiel. Die Wallfahrt ist Bild des Lebensweges der Welt, hinauf zur Gottesbegegnung, von Abraham an. Das Ziel der Reise wirkt wie ein Ankerplatz unserer Hoffnung, aber auch als Vorausbedeutung ewiger Herrlichkeit. Das wirkliche Jerusalem enttäuscht: Basare, „Tempelhändler“, schauderhafter Megatourismus. Aber wie im wirklichen Leben überall auf der Welt müssen wir auch in der Heiligen Stadt mit Akribie suchen, was für uns geistlichen Fortschritt bedeutet. Am 25. Mai knieten Patriarch Bartholomaios, Haupt der Orthodoxie, und Papst Franziskus gemeinsam in der Grabeskirche Jesu, dem gut verborgenen Heiligtum inmitten der Altstadt von Jerusalem. 50 Jahre, fünf Monate und 20 Tage zuvor betete hier erstmals ein Papst: Paul VI.

Wenn ich so an meine Heimat denke, aufgewachsen in Kevelaer und Kervenheim, kommt mir die Gnadenkapelle des niederrheinischen Marienwallfahrtsorts in den Sinn. Für ihr Sechseck hatte ich immer schon eine stille Leidenschaft empfunden. Zweijährig soll ich, nach Meinung meiner Mutter, darauf gezeigt und gesagt haben: „Mutter Heiland“. Heute weiß ich, dass diese aber zu Jerusalem in den Himmel aufgenommen worden ist, wahrscheinlich im Umfeld des Apostelkonzils. Präsent ist sie ‚unter uns‘ aber gerade deshalb.

Unser Heiliger Vater bekräftigte in seiner Ansprache vor Ort, im eigentlichen Haus der Glorie des Ostertages, die Mittlerschaft Mariens. Das weist mich direkt auf mein Kevelaer zurück: Wir Christen alle sollen uns unter dem Mantel der Mutter Jesu versammeln, unserer Mutter, der Mutter der Kirche. So sagte der Papst: Wir in Kevelaer verehren gleichfalls ein glorreiches Haus, ein "Loreto" für die Armen sozusagen. Man muss die Stiftungsberichte aus dem 17. Jh. genau lesen: Hendrick Bussmann baute keinen Bildstock, sondern ein heiliges Häuschen, begehbar, überdacht. Dort fanden Heilungen statt. Noch heute steht der Pilger nicht unbehütet, sondern unter tröstlichem Schutz vor dem Gnadenbild, das immer zum Dialog bereit ist. Der Ruhm der Trösterin ist die verborgene Protektion, zu ahnen im demütigen Bild, zu spüren über mir als Dach hoch oben. Ziel aller Pilger in Kevelaer ist auch heute noch ein Heiliges Haus, umbaut zwar mit der Barockkapelle, aber doch in der Struktur unangetastet seit den ersten Tagen.

Die Kirche auf dem Weg durch die Zeit hat dem Ort der Auferstehung Jesu auch ein materielles Obdach gewährt, die Anastasia. Hier feierten armenische Mönche früh um 5.00 Uhr die Liturgie. Nirgends erklingt das Halleluja so sehr zu Herzen gehend wie hier, wo am Vortag der Papst und die Patriarchen sprachen und beteten. Franziskus findet hörbar mehr Gehör, auch wenn - oder weil - er dem Bruder in Christus, dem Andreasnachfolger vom Bosporus, die Anrede "Heiligkeit" gewährte. Denn auch der Patriarch ist Sanctitas Domini Nostri Iesu Christi, weil aus der Schule Mariens im Hause des Herrn zur Wegweisung berufen.

Die Staatsmacht hat in Jerusalem mehr Sicherheit aufgeboten als sogar für den US-Präsidenten, um zum vierten Mal seit 1964 einem Nachfolger Petri den Weg zum Haus der Osternacht zu bereiten. Das ist rangrichtig, blockierte aber für viele den Zugang zum Ereignis, anders als 1964, als Paul VI. in der Via Dolorosa vom Volk beinahe erdrückt wurde. Auch wir Pilger, Mutter und Sohn, befanden uns am Eingang der König-Salomon-Straße hinter stärkster Polizeiabsperrung, als um 13 Uhr 36 viel Polizei, eine mächtige Staatskarosse für den Präsidenten Peres, dann aber das kleine Auto mit dem fröhlich winkenden Papst Franziskus vorbeikam. Mein "viva il papa" klang recht einsam über die Straße, denn das Volk rechts und links begriff nicht so recht, wer denn da als Wallfahrer durch Jerusalem zog.

Der Tempelberg bietet keine Glorie mehr. Der jüdische Opferkult ist dort seit 70 n.Chr. erloschen. Die Moscheen sind sehenswert, aber nicht ruhmreich. Die Westmauer des Tempels, Klagemauer genannt, ist ruhmreich, aber nicht ansehnlich. So ist die Religionszersplitterung dort, wo der Glaube an den einzigen Gott das Licht der Welt erblickte, mit Händen zu greifen. Umso mehr betrifft uns die päpstliche Mahnung: Mögen sich alle, im Frieden, unter dem Mantel der Jungfrau Maria versammeln, der Mutter der erlösten Menschheit.

Die Einladung an die Kontrahenten Abbas und Peres, die ‚Pope Francis‘ bereits in Betlehem formulierte, war ein durchschlagender Erfolg. An Pfingsten schon flehten Juden, Christen und Mohammedaner um den Frieden der Welt. Der Auftritt der muslimischen Partner überzeugte mich nicht, anders als das politisch-spirituelle Statement des 91-jährigen Präsidenten des zionistischen Staates. Aber der Friede muss nunmal mit den wirklichen Gegnern unternommen werden.

Die gesamte Dramaturgie des friedlichen Aktes in den vatikanischen Gärten war wohldurchdacht und lässt keinerlei Spielraum für synkretistische Deutungen offen, zumal Juden und Katholiken sowieso gemeinsam die Psalmen beten könnten. Man hat aus der Zweideutigkeit von Assisi 1986 – politisch eine Großtat, aber dogmatisch nicht ganz ‚korrekt‘, offenbar gelernt.

Wiederum hat Papst Franziskus die Madonna, die nichts weniger ist als die Gewissheit unserer Hoffnung, mit „ins Gebet“ genommen. Nichts führt unfehlbarer zu Christus als diese, die marianische Dimension unserer Erlösung: Omnes cum Petro per Mariam, ad Jesum. Das ist unsere Reise nach Jerusalem.


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