Kardinal Meisner: Mein letzter Hirtenbrief, mein Abschiedsbrief

8. März 2014 in Deutschland


Meisner im letzten Hirtenbrief: „Der Herr möge alles ergänzen, was bruchstückhaft in meinem Dienst geblieben ist. Ich bleibe – so Gott will – bis zur Stunde meines Todes in eurer Mitte und werde wohl jetzt mehr Zeit haben, um für euch alle zu beten“


Köln (kath.net/pek/pl) „Ich wollte Ihnen immer und überall die Freude an Gott bezeugen und vermitteln, weil sie ja die Stärke unserer Hoffnung ist. Ich danke Ihnen nochmals herzlich für alle Stärkung, die ich dabei gefunden habe, und bitte alle sehr um Vergebung, wenn Ihnen mein Dienst nicht Stärkung, sondern vielleicht auch Ärgernis war. Der Herr möge alles ergänzen, was bruchstückhaft in meinem Dienst geblieben ist. Ich bleibe – so Gott will – bis zur Stunde meines Todes in eurer Mitte und werde wohl jetzt mehr Zeit haben, um für euch alle zu beten und eure Sorgen und Hoffnungen durch mein Gebet dem Herzen Gottes entgegenzuhalten.“ So schrieb der langjährige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seinem bewegenden letzten Fastenhirtenbrief, der am ersten Fastensonntag verlesen werden wird. Papst Franziskus hatte das Rücktrittsgesuch des Kölner Kardinals am 28.2. angenommen.

kath.net dokumentiert den Fastenhirtenbrief 2014 von Joachim Kardinal Meisner in voller Länge:

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Seit meiner Bischofsweihe vor 39 Jahren steht in meinem Bischofswappen das Wort des Apostels Paulus aus dem 2. Korintherbrief: „Spes nostra firma est pro vobis“, das heißt übersetzt: „Unsere Hoffnung für euch steht fest“. Ich schreibe Ihnen zur österlichen Bußzeit 2014 meinen letzten Fastenhirtenbrief als Erzbischof von Köln, der auch mein Abschiedsbrief sein sollte, wenngleich ich in Köln wohnen bleiben werde. Ich möchte Ihnen gern das, was mich fast vier Jahrzehnte meines bischöflichen Wirkens hindurch begleitet und gestärkt hat, als Vermächtnis hinterlassen:

Das ist die Wirklichkeit der Hoffnung.

Die Hoffnung gehört zu den göttlichen Tugenden, die wir zum Beispiel bei jedem Rosenkranzgebet am Anfang erbitten: Glaube, Hoffnung und Liebe. Diese Reihenfolge ist nicht zufällig oder willkürlich gewählt, sondern entspricht der Realität, die Gott uns Menschen mit der Hoffnung schenkt. Die Wurzel der Hoffnung ist und bleibt der Glaube an den lebendigen Gott, und das Ziel der Hoffnung ist die Liebe Gottes. Die Hoffnung ist also die Mitte der drei göttlichen Tugenden.

1. Der Glaube ist die Wurzel, der Ausgangspunkt und die Energie der Hoffnung. Wo Glaube fehlt, gibt es keine Hoffnung. Und umgekehrt: wo ein lebendiger Glaube vorhanden ist, dort gibt es eine starke und lebendige Hoffnung. Das Ziel der Hoffnung aber ist die Liebe Gottes. Sie ist wie ein Magnet, der den Menschen anzieht. Um sie zu erreichen, braucht man den langen Atem, und den schenkt uns die Hoffnung. Der Glaube ist gleichsam der Motor der Hoffnung, die den Menschen dynamisiert, ihm immer wieder neue Ideen eingibt, um das Reich Gottes voranzubringen. Die Liebe ist die Zugkraft. Sie bewahrt uns vor Resignation und vor der inneren Müdigkeit. Hoffnungslosigkeit lässt dagegen das menschliche Herz austrocknen und macht es unempfindlich für neue Möglichkeiten, die zu einem neuen Aufbruch motivieren möchten.

Unsere Gesellschaft ist weithin von einer Hoffnungslosigkeit geprägt. Es gibt in unserem Land nicht mehr allzu viele Frauen, die „in guter Hoffnung“ sind und ein Kind zur Welt bringen. Denn das Ja zum Kind ist ein lebendiges Hoffnungszeichen für die menschliche Gesellschaft. Der so genannte wissenschaftliche Fortschritt auf vielen Gebieten könnte uns eigentlich Anlass zur Hoffnung sein, um den Menschen Erleichterung, Hilfe und Zukunft zu bringen. Und trotzdem ist unser gesellschaftliches Leben von Hoffnungslosigkeit, Überdruss, Lustlosigkeit und Fantasielosigkeit überlagert.

2. In meinem 25-jährigen bischöflichen Wirken in der Erzdiözese Köln, aber auch schon vorher neun Jahre in dem damals noch geteilten Berlin und davor fünf Jahre als Weihbischof in Erfurt, war es der Glaube, der mich nicht in die Hoffnungslosigkeit versinken ließ. Nicht nur in der Zeit des staatlich verordneten Atheismus der DDR war das Leben für Christen, namentlich für junge Christen, sehr schwer. Danach in einem weithin gelebten Materialismus voller Pluralität, verbunden mit einem praktischen Atheismus des Westens, war und ist es eigentlich für einen Christen nicht viel anders. In diesen Jahrzehnten meiner Tätigkeit als Bischof begleitete mich bis heute das Gebet des seligen Kardinals John Henry Newman: „Die Zeit ist voller Bedrängnis. Die Sache Christi liegt wie im Todeskampf. Und doch – nie schritt Christus mächtiger durch die Erdenzeit, nie war sein Kommen deutlicher, nie seine Nähe spürbarer, nie sein Dienst köstlicher als jetzt. Darum lasst uns in diesen Augenblicken des Ewigen zwischen Sturm und Sturm in der Erdenzeit zu ihm beten: »O Gott, du kannst das Dunkel erleuchten, du kannst es allein«“. Dieser Glaube ist und bleibt der Ursprung der Hoffnung, die uns realistisch die Wirklichkeiten nüchtern erkennen lässt, aber auch die unbegrenzten Möglichkeiten, die darin enthalten sind. Je größer der Glaube, desto intensiver die Hoffnung. Hoffnung ist nicht die billige Tugend der Optimisten, sondern sie ist die Grundkraft, die der menschlichen Seele zum Aufbruch verhilft und sie vor dem Scheitern bewahrt. Die große heilige Theresia drückt das in ihrem Gebet aus:

„Nichts soll dich ängstigen,
nichts dich erschrecken,
alles geht vorüber,
nur Gott bleibt derselbe.
Wer Gott hat, der hat alles.
Gott allein genügt!“

„Wer Gott hat, der hat alles“, das ist die Wirklichkeit eines lebendigen Glaubens, der die Hoffnung zu einer unüberwindlichen Kraft der christlichen Wirklichkeit werden lässt.

Jeder von uns, der lebendig unsere Welt wahrnimmt, weiß, wie sehr wir Christen gerade heute die Hoffnung in Kirche und Welt nötig haben. Die Bitte: „Der die Hoffnung in uns stärke“ sollte unser Tagesgebet sein. Es ist zwar kurz, aber umso kräftiger. So gibt es keine hoffnungslosen Fälle und hoffnungslosen Angelegenheiten, wenn man die Wirklichkeit unter der Realität des Glaubens sieht. Die Quelle der Hoffnung ist der Glaube. Würden wir den Rhein von seinen Quellen trennen, dann brauchte es nur kurze Zeit, bis das Wasser abgelaufen ist, und es bliebe nur Schlick und Schlamm im Flussbett übrig. Der Rhein wäre dann nicht mehr die Lebensader unserer Region und unseres Erzbistums. Wenn wir die Hoffnung nicht mehr rückkoppeln an den Glauben, dann stirbt die Hoffnung. Sie gibt uns keine Impulse mehr zur christlichen Bewältigung unseres Lebens.

3. Die Hoffnung hat als Schubkraft den Glauben im Rücken, aber die Hoffnung hat vor sich – gleichsam als Anziehungskraft wie ein starker Magnet – die Liebe Gottes. Je stärker die Sehnsucht nach dieser Liebe, desto größer die Spannkraft der Hoffnung. Die Liebe Gottes zu mir und dann meine Liebe zu Christus und seiner Kirche waren und sind es, die meine Hoffnung nie erlahmen ließen und meine Fantasie neu beflügelten und meine Kräfte gestärkt haben, um das Evangelium Christi vorwärts zu bringen. Dafür bin ich zutiefst dankbar und hoffe, Ihnen hier im Erzbistum Köln wenigstens ein wenig davon mitgegeben zu haben.

Auch habe ich vielen Frauen und Männern in unserem Erzbistum zu danken, die mir in schwierigen Situationen schlicht ihr Gebet versprochen haben. Was ich oft in den Gemeinden bei Gottesdiensten am Schluss gesagt habe, wiederhole ich hier dankbar: „Petrus und damit die Bischöfe stehen unter dem Wort des Herrn: Du aber stärke deine Brüder und Schwestern! – Wer aber stärkt denn einen Bischof?“, war dann immer meine Frage; „auch Bischöfe sind schwache Menschen“. Ich wusste aus Erfahrung, dass der Glaube des Volkes Gottes und das Beten der Mitchristen den Bischof in seinem apostolischen Dienst stärken und ermutigen. Dafür habe ich allen Mitchristen in der Erzdiözese Köln herzlich zu danken.

Auch unseren Priestern, den Diakonen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Seelsorge und Caritas, in den Schulen und auch in der Verwaltung, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, gilt mein besonderer Dank. Ihnen musste ich oft neue Aufgabenstellungen abverlangen, die mir die Situation auferlegte. Sie haben meinen Anliegen entsprochen. Mit viel Sympathie denke ich auch an unsere Ordenschristen, die in großer Treue trotz weniger Schwestern und Brüder zu ihrer Berufung stehen. Die häufigen Begegnungen mit Jugendlichen bei Firmfeiern gaben mir Impulse, nicht der Resignation, sondern der Zuversicht im Herzen Raum zu geben.

Regelrechte Feste der Hoffnung waren für mich immer die Fronleichnamsfeiern in Köln und die Gottesdienste im Dom. Feste des Glaubens und damit der Hoffnung und Liebe waren die Besuche in den Gemeinden, von denen ich buchstäblich gelebt habe. Ich denke gerade an meine Hoffnung im Hinblick auf geistliche Berufungen, die sich täglich in den Fürbitten der Heiligen Messe artikuliert und die in der großen „Rogamus-Gemeinschaft“ äußere Gestalt angenommen hat. Die Hoffnung, die inspiriert worden ist durch die Liebe zu Jesus Christus besonders in der Heiligen Eucharistie, habe ich noch im letzten Jahr in ergreifender Weise bei unserem Eucharistischen Kongress in Köln erleben dürfen, und sie stellt sich mir täglich in der immerwährenden eucharistischen Anbetung in der Kapelle des Maternushauses dar. Unsere Hoffnung muss verankert bleiben in der Kraft des lebendigen Glaubens hinter uns und in der Sehnsucht nach der Liebe Gottes vor uns, die ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist (vgl. Röm 5,5). Dann bleibt die Hoffnung vital und bringt unser Leben und das Glaubensleben der Kirche in eine neue Dimension ihres Daseins.

Wie auch immer die Zeiten sein mögen, Christus ist der Herr aller Zeiten. Wer hofft, fürchtet sich nicht vor der Gegenwart und der Zukunft, und wer hofft, bewegt die Welt zum Positiven hin. Alle Welt bewundert Papst Franziskus, der als Südamerikaner die Kirche und das Interesse an der Kirche so positiv vorwärts bewegt, nicht weil er resigniert nach dem Motto handeln würde: „Das haben wir alles schon versucht. Das haben wir schon alles getan. Das hat ja alles nichts genützt. Das war immer alles ohne Erfolg!“ – Nein! Als Mann der Hoffnung weiß er, dass Gott uns immer wieder Türen auftut, der doch selbst gesagt hat: „Klopft an, dann wird euch geöffnet“ (Mt 7,7). Der Papst probiert das, und wöchentlich ist der Petersplatz bei der Generalaudienz mit fast 100.000 Leuten gefüllt. Hoffnungslosigkeit, Resignation, Traurigkeit und Trostlosigkeit dürften wir Christen wohl nur vom Hörensagen kennen. Uns ist die Hoffnung als die Grundkraft unseres Lebens gegeben. Und sie bleibt vital, wenn sie im Glauben verankert und auf die Liebe hin orientiert ist. Aller guten Dinge sind drei: Glaube, Hoffnung und Liebe.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Ihnen durfte ich als Erzbischof von Köln ein Vierteljahrhundert dienen.

Ich wollte Ihnen immer und überall die Freude an Gott bezeugen und vermitteln, weil sie ja die Stärke unserer Hoffnung ist. Ich danke Ihnen nochmals herzlich für alle Stärkung, die ich dabei gefunden habe, und bitte alle sehr um Vergebung, wenn Ihnen mein Dienst nicht Stärkung, sondern vielleicht auch Ärgernis war. Der Herr möge alles ergänzen, was bruchstückhaft in meinem Dienst geblieben ist. Ich bleibe – so Gott will – bis zur Stunde meines Todes in eurer Mitte und werde wohl jetzt mehr Zeit haben, um für euch alle zu beten und eure Sorgen und Hoffnungen durch mein Gebet dem Herzen Gottes entgegenzuhalten.

Es segne euch alle der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist!

Köln, am Fest der Darstellung des Herrn 2014
Euer
Joachim Kardinal Meisner

Erzbistum Köln: Joachim Kardinal Meisner - ganz privat - Erster Teil von 4 Videos zum Abschied


Teil 2


Teil 3


Teil 4


Foto: Kardinal Meisner beim Eucharistischen Kongress - Einzug in den Kölner Dom (c) kath.net/Petra Lorleberg



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