Evangelii anxietas

12. Februar 2014 in Kommentar


Von der Ängstlichkeit einiger deutschsprachiger Bischöfe, das Evangelium in der Welt von heute zu verkünden - Droht eine Verweltlichung? Durchsäuert der Sauerteig der Welt die Kirche? Ein Gastkommentar von Helmut Müller


Koblenz (kath.net) Wenn man aktuelle Wortmeldungen einer Reihe deutschsprachiger Bischöfe in Deutschland, der Schweiz und in Österreich zur Kenntnis nimmt, möchte man meinen, sie sprächen nicht von der Freude des Evangeliums, es zu verkünden, sondern es hätte sich eine Ängstlichkeit breit gemacht, es in Gänze zu lehren. Aus der Freude von Evangelii gaudium des Papstes Franziskus scheint eine Ängstlichkeit, eine Evangelii anxietas , geworden zu sein.

Die Erfragung des Wissens der Gläubigen über den Glauben der Kirche hatte – wie erwartet – niederschmetternde Ergebnisse gebracht. Anstatt den Schluss daraus zu ziehen, den Glauben nun wirksamer zu verkünden, wollen einige Bischöfe und noch mehr ihre Gremien, Abstriche davon machen. Kardinal Ratzinger verglich einmal den schleichenden Wertverlust des ursprünglichen Goldklumpens im Märchen von Hans im Glück mit der Erosion des Glaubens der Kirche. Durch Tauschprozesse glaubte der Hans im Glück des Märchens jedes Mal mit nur minimalem Verlust, so gut wie Gleichwertiges einzutauschen. Am Ende ist aber schließlich aus dem anfänglichen Goldklumpen ein unnützer Schleifstein geworden, der nur noch belastet und zu Recht im See versenkt wird. Offenbar aus Angst von der säkularen Umwelt nicht verstanden zu werden oder von den Gläubigen zu viel zu erwarten, lässt man sich auf Tauschprozesse, Verkürzungen und auf einen Verkauf des Evangeliums für ein Linsenmus schneller Sättigung ein. Ich zähle nur wenige dieser Tauschprozesse auf:

• Die Stadt auf dem Berge wird evakuiert und im Tal, wo sich schon nicht wenige evangelische Landeskirchen und fortschrittliche Basisgruppen häuslich niedergelassen haben, neu aufgebaut. Da ist man dann wohlgelitten selbstsäkularisiert und nervt nicht immer mit angeblich ewiggestrigen und vermeintlich unbarmherzigen sittlichen Ansprüchen.

• Man weigert sich penetrant, die Saat der Botschaft vom Reiche Gottes auf fruchtbaren Boden zu säen, lieber auf steinigen. Das heißt u. a. glaubenstreue Medien werden nicht unterstützt. Lieber pumpt man Millionen in ein zwielichtiges „Weltbild“ – als Arbeitgeber ist man schließlich Verpflichtungen eingegangen, die horrende Folgekosten nach sich ziehen. Zusätzlich wird der „Rheinische Merkur“ gestützt, d. h., das was von ihm noch übrig geblieben ist als Beilage zur „Die Zeit“. Die war für die Kirche immer schon steiniger Boden und sie ist es geblieben. Denn Woche für Woche wird man dann von der Chefredakteurin der Beilage hämisch wie ein Zirkusbär am Nasenring durch den bundesdeutschen Blätterwald geführt. Dagegen ist vor wenigen Tagen mein wackerer Namensvetter Michael Müller an einem Herzinfarkt gestorben, davon umgetrieben für sein publizistisches Lebenswerk, kirchliche Unterstützung zu bekommen. Da hätte man wirklich auf fruchtbarem Boden säen können.

• Das Licht wird vom Leuchter genommen und unter den Scheffel gestellt. Denn nur ja nicht aufdringlich werden, auf gar keinen Fall an die Grenzen der Erde gehen und das Evangelium verkünden. Auch im eigenen Land sollte man darauf achten, dass man es nicht zu toll treibt, es könnten ja irreligiöse Gefühle, wie damals bei Bert Brecht verletzt werden. Mit der Gefahr von Konversionen müsste man rechnen, was ökumenisch unfreundlich ist und interreligiös aggressiv verstanden werden könnte. Auch will man nicht nerven und naiv erscheinen wie ein Zeuge Jehovas, keinen Kulturkampf entfachen, etwa Gendermainstreaming in Frage stellen.

• Kein „Duc in altum“ mehr wie bei Johannes Paul: Nicht mehr auf die hohe See des Glaubens hinausfahren, man könnte ja im Sturm der Entrüstung von Spiegel, Stern, Bildzeitung, neuerdings sogar der FAZ kentern, weil man um des „Himmelreiches willen“ „unzeitgemäße“ Forderungen aufrecht erhält. Man will lieber in säkularer Ufernähe Küstenschifffahrt betreiben, den Zölibat in Frage stellen, möglichst viele segnen, die irgendwie behaupten, Verantwortung füreinander zu übernehmen, aber sexuelle von sozialer Treue abkoppeln. Über beide Ohren verliebt sein und sich einander ganz hingeben, bevor man reif zur Liebe ist, sei so schlimm nicht, ist zu hören. Die hohen Scheidungsraten kann man auch anders erklären. Treue bis zum Tod, auch wenn die Liebe vorher stirbt? Da lässt sich dann sicher was machen. Vorher was machen, mit Teenstar etwa oder NER, Wege erwachsenen Glaubens zu gehen, das ist zu wenig erfolgversprechend. Künstlich verhüten oder natürlich regeln, das sei sophistisch und niemandem beizubringen. Gruppierungen, die dennoch behaupten, es sei zu vermitteln, ignoriert oder marginalisiert man oder werden nicht ernst genommen.

• Sauerteig sein für die Welt? Kirche und Welt sollen zusammen kommen. Da sind wir uns alle einig. Nur wie? Entweltlichung ist schlecht. Das hat damals in Freiburg angeblich keiner verstanden und in Limburg auch nicht ganz. Franziskus überhört man an dieser Stelle geflissentlich. Verweltlichung scheint offensichtlich gut zu sein. Der Sauerteig der Welt durchsäuert die Kirche zusehends. So ist das Verhältnis der Kirche viel inniger zur Welt. Das ist die Lösung. Das Reich Gottes ist dann wirklich auf Erden in unüberbietbarer Weise angekommen und wirklich geworden. Märchen bleiben dann nicht mehr im Märchenbuch, sondern werden am Ambo als Lesung vorgetragen. Der kleine Prinz hat Chancen das fünfte Evangelium zu werden. Der Priester in Rollkragenpulli am Altar, die Stola in der Farbe des Fußballvereins und woanders ist vielleicht eine Gemeindereferentin in priesterähnlicher Albe und schickem Schal anzutreffen. Wer das an ein Ordinariat meldet, wird als notorischer Briefschreiber, Denunziant oder humorloser Nörgler abgetan. Er soll doch lockerer werden. Im Übrigen sollte er einmal Gewissenserforschung betreiben, ob er den Wandel nicht begriffen hat oder sich Anzeichen einer Zwangsneurose bei ihm melden. Noch mal zur Sache: Das ist wirklich zeitgemäß, das gefällt den Leuten und da kommen sie, wenn alle die Liturgie gestalten, ohne genau zu wissen was das ist. Demokratische Strukturen überall, sein Credo selbst schreiben, dann weiß man wenigstens, was man glaubt. Seinen Bischof wählen, dann kann man auch den Weg leichter gehen, den er zeigt.

• Was ist mit der still wachsenden Saat, die über Nacht wächst? Denn dann könnte man eigentlich am Tag sehen, was da über Nacht gewachsen ist, es in Empfang nehmen und darüber reden. Dann wäre doch das am Tag davor in Gremien diskutierte und in Stuhlkreisen mit viel Zuspruch und Begeisterung Ergrübelte überflüssig gewesen. Der Hl. Geist war doch mitten unter ihnen. Kommunikative Vernunft, da muss er sich doch wohl fühlen. Da sind immer mehr als zwei oder drei zusammen. Es ist schließlich an der Zeit gewesen, dass man sich von der Jahrhunderte langen steifen Brise von jenseits der Alpen emanzipiert, auch auf den kleinsten Bruder oder die unscheinbarste Schwester von Hintertupfingen hört. Dort kann man doch eher Heiligen Geist vermuten. Schließlich haben mittlerweile auch unzählige Laien Theologie studiert. Man muss ihn nicht mehr durch die burgundische Pforte aus Rom importieren. Der Geist weht ja, bekanntlich wo er will, zumindest hat er lange genug aus Rom geweht. In der Benediktregel wird doch auch der schlichteste Bruder gehört. Wie bekannt ist aber der Glaube der Kirche noch in jedem Stuhlkreis, wenn es nicht wenige gibt, die ihr eigenes Credo geschrieben haben, und welches betet der Pfarrer überhaupt sonntags in der hl. Messe oder singt er bloß ein ausgezehrtes Lied? Der hl. Benedikt konnte noch davon ausgehen, dass der Bruder Stallknecht oder in einem Benediktinerinnenkloster die Küchenschwester das Credo kannte.

• Dein Wille geschehe? Woher kennt man eigentlich den Willen Gottes? Aus der Hl. Schrift, vielleicht in gerechter Sprache? Oder gut katholisch aus dem Naturrecht? Das ist zu einem schillernden Begriff geworden. Die wahre Bedeutung geht unter einem Dutzend falscher unter und ist altes katholisches Sondergut. Nicht wenige halten es für Sondermüll. An der Schöpfungsordnung orientieren, wenn die Evolution wahre Bocksprünge gemacht hat? Können wir eigentlich sicher sein, dass wir nicht die übriggebliebenen Nieten einer intergalaktischen Lotterie aus Zufall und Notwendigkeit sind? Nach Nietzsche haben wir nämlich unseren gesunden Tierverstand spätestens beim Affen verloren, vielleicht schon davor, denn auch Schimpansen führen Kriege. Michel Cioran hält sogar all diejenigen, die gar nicht zur Welt gekommen sind für Glückspilze. Viel weniger schlimm erscheint es dann, wenn man doch noch Kant und seinen Epigonen folgen kann, auch wenn ein Schweizer Philosoph es jüngst für Wahnsinn hielt, dass Kant für Gott inmitten rationaler Vernünftigkeit noch eine Idee der reinen Vernunft reserviert hat. Kant ist und bleibt damit der hinterlistige Christ Nietzsches: Gott meine natürlich damit, wenn mein Wille geschehe, im tiefsten dass seiner geschieht. In nichts anderes hätten wir sicherere Einsicht als in die eigene Vernunft und den meinigen Willen. Da hätten wir letztlich wahre Autonomie: Gott will, dass mein Wille geschieht. Dann ist letztlich Gottes Wille und meiner derselbe. Das ist dann das vergröberte Ergebnis, die feinsinnigen Unterschiede bleiben auf der Strecke. Einmal im cartesischen Gefängnis des Cogito ergo sum eingeschlossen, gibt es keinen anderen Ausweg, so sehr wir an den Stäben dieses Gefängnisses rütteln. Einen Ausbruch im Glauben wagen? Nein, dann können wir uns an keiner Universität mehr blicken lassen. Vielleicht einem Bischof folgen? Aber welchem?

Es ist jetzt 6 Uhr morgens. Habe ich bloß über die in der Nacht still wachsende Saat und über einige Schnitter nachgedacht, was sie ernten und stehen lassen? Oder war das alles nur ein böser Traum eines ängstlichen Konservativen, dass eine nicht kleine Zahl deutschsprachiger Bischöfe und ihrer Gremien Angst hat, das Evangelium und den Glauben der Kirche in Gänze zu lehren und zu verkündigen? Es reicht schon, dass man in dieser Gesellschaft allmählich Berührungsängste mit sich selbst bekommt, weil man so konservativ ist. Die diskriminierten, unterleibsfixierten LSGBTTI Gruppen wollen sicherlich nicht auch noch mein kopflastiges K. Jetzt wird einem schon von Bischöfen Angst eingejagt, wenn man plötzlich bemerkt, dass man bischöflicher als mancher Bischof ist. Das ist kein gutes Gefühl jenseits von Bischöfen zu stehen, als einsames Schaf, wenn die Bischöfe ihrer Aufgabe gemäß hinter 99 anderen herrennen oder rennen einige etwa auch weg? Wer holt mich aus mir raus? Ich bin zwar kein Star, aber ein Erz-Ultra-stock-streng oder noch schlimmerer Konservativer möchte ich nicht sein. Und Jeremia möchte ich auch nicht sein, der von der Faust Gottes gepackt einsam unter Fröhlichen sitzen muss.

Zu guter Letzt, möchte ich alle Bischöfe, Gremien- und Ordinariatsmitarbeiter und Teilnehmer an Synoden und dem Dialogprozess um Entschuldigung bitten, wenn sie den Eindruck hatten, pauschal gemeint zu sein. Natürlich gibt es auch unter ihnen, hoffentlich viele, die sich so einsam fühlen wie ich und sich fürchten als konservativ enttarnt zu werden.

Dr. Helmut Müller ist Akademischer Oberrat am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz


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