Präventivschlag: ein zweischneidiges Schwert

16. Februar 2003 in Weltkirche


Eine Analyse des australischen Erzbischofs George Pell über die Lehre vom gerechten Krieg


Sydney (kath.net/Zenit.org)
Der Erzbischof vonSydney George Pell wendet in dem Artikel die Lehre vom gerechten Krieg aufden möglichen Krieg gegen den Irak an. Der Artikel, der mit Genehmigungnachgedruckt und übersetzt wurde, war im "Australian" am 4. Februarerschienen.

George Pell: Was das Evangelium hinsichtlich eines gerechten Kriegs sagt

Im Evangelium nach Matthäus lesen wir, dass Jesus, als seine Gegnerversuchten, ihn über die Steuerfrage in eine Falle zu locken, antwortete:"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist -- und Gott, was Gottes ist."

Unsere gewählte Regierung beschließt, wann Australien in einen Kriegeintritt. Das ist eine ihrer schwer wiegendsten Verantwortungen.Entscheidungen über einen Krieg sind des Kaisers, nicht der Kirche. Waskönnten christliche Perspektiven dem Kaiser anzubieten haben?

Die Lehre im Neuen Testament legt die Betonung auf Liebe, Vergebung für dieFeinde und eine besondere Seligpreisung der Friedensstifter. Aber dieLegitimität politischer Autorität wird ebenfalls anerkannt und die Pflicht,Übeltäter in ihre Schranken zu weisen. Hier bestehen wirkliche Spannungen.

Viele in der verfolgten christlichen Minderheit im heidnischen römischenReich waren Pazifisten. Das war damals eine leichtere Position, daheidnische Armeen die Grenzen verteidigten und die innere Ordnung aufrechthielten. Die Situation der Christen damals war ähnlich wie die jenerAustralier, die konstant antiamerikanisch sind, während sie gleichzeitig vomamerikanischen Frieden profitieren, der während der vergangenen 60 Jahreerreicht wurde. Eine Welt ohne die amerikanische Supermacht wäre für dieAustralier viel teurer und gefährlicher.

Die sogenannte Lehre vom gerechten Krieg, zuerst vom heiligen Augustinus im5. Jahrhundert in Nordafrika dargelegt, hat sich seitdem ständig entwickelt,wobei es manchmal mehr Politiker und militärische Denker als Theologenwaren, die sich mit den von Augustinus vorgebrachten Grundvoraussetzungenfür einen gerechten Krieg auseinander setzten. Es sind folgende drei: eingerechter Grund, eine legitimierte Autorität und die rechte Absicht.

Heute geht es bei der Lehre vom gerechten Krieg auch darum, welcheHandlungen in einem Krieg legitim sind, nicht nur um die Kriterien, die fürden Eintritt in einen Krieg erfüllt sein müssen. Und es werden auch oft dreiweitere Kriterien hinzugefügt: Der Krieg sollte das letzte Mittel sein,nachdem alle anderen ausgeschöpft sind, er muss eine ernsthafte Aussicht aufErfolg haben und er sollte nicht noch größere Schäden verursachen.

Im Jahr 1994 beschränkte der Katholische Katechismus die legitime Anwendungvon militärischer Gewalt auf die Verteidigung gegen Aggression. Dabei warnoch nicht von der Möglichkeit eines militärischen Eingreifens gegenethnische Säuberung, Terrorismus und Guerillakrieg die Rede. In der heutigenZeit verlangen es Umsicht und Wachsamkeit, terroristische Netzwerke amZugang zu Massenvernichtungswaffen zu hindern, die von sogenanntenSchurkenstaaten produziert werden.

Haben die USA, Großbritannien und Australien ausreichende Gründe vorgelegt,die einem solchen aktualisierten Katalog von Kriterien für einen gerechtenKrieg entsprechen? Noch nicht. Unsere Führer müssen uns nochunbezweifelbares Beweismaterial über irakische Massenvernichtungswaffen undVerbindungen zum Terrorismus liefern.

Präsident George W. Bush droht mit einem Präventivschlag durch dieVerbündeten, mit oder ohne Zustimmung der UNO, um mögliche zukünftige, durchden Irak verursachte oder angestiftete Angriffe zu verhindern.

Ein einseitiger Präventivschlag ohne internationale Zustimmung wäre einzweischneidiges Schwert, eine gefährliche Doktrin, welche die internationaleOrdnung destabilisieren würde. Es wird uns gesagt, dass Untätigkeitgefährlicher sein könnte, aber dafür sind schlagkräftigere Beweise nötig.

Die USA seit dem Jahr 1837 waren traditionell gegen Präventivschläge, alsdie britische Marine das amerikanische Schiff Caroline aufbrachte und überden Niagara Fall schickte, weil man es auf Grund seiner Unterstützungkanadischer Rebellen für eine Gefahr für die britischen Interessen hielt.

Daniel Webster, damaliger Außenminister der USA, erklärte, einPräventiveinsatz könne nur da gerechtfertigt sein, wo "die dringende,überwältigende Notwendigkeit zur Notwehr besteht, die keine Wahl der Mittelund keinen Augenblick für Überlegung mehr zulässt." Das waren nocheinfachere Zeiten.

Viele von uns erinnern sich an die Fotos der sowjetischen Raketensiloswährend der Kubakrise 1962. Ähnliche Beweise scheinen jetzt nötig zu sein,die zeigen, dass der Irak moslemischen Terroristen hilft oder dass erMassenvernichtungswaffen produziert oder lagert; dass er nicht abgerüstethat. Die Beweise, die Colin Powell vor dem Sicherheitsrat in dieser Wochevorlegen wird, werden entscheidend sein.

Hussein ist ein Tyrann für sein eigenes Volk, ein Unterdrücker derkurdischen Minderheit, der Massenvernichtungswaffen gegen den Iran und dieKurden angewendet hat. Er hat 12 Jahre lang der Friedensbedingung der UNOvom Jahr 1991, dass er abrüsten soll, getrotzt. Es heißt, dass Husseinpalästinensische Selbstmordbomber finanziell unterstützt und bis vor kurzemdie Abu Nidal-Terroristenorganisation unterstützt hat. Ein Zweig der AlKaida führt einen Guerillakrieg gegen Husseins Feinde, die Kurden, imnördlichen Irak. Experten beteuern, dass es viel mehr Beweise gibt. Davonsollte eine ausreichende Menge zugänglich gemacht werden.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für den gerechten Krieg ist, dassNichtkombattanten keinen Schaden nehmen sollten.

Im 20. Jahrhundert verschlechterte sich, was dies anbetrifft, die Situationin erschreckendem Ausmaß. Im ersten Weltkrieg gab es fünf Prozent Ziviltote,im zweiten Weltkrieg 50 Prozent. In Vietnam stiegen die Todesfälle unterZivilisten wieder auf 60 bzw. 70 Prozent. Das allerdringendste Gebot für dieVerbündeten muss lauten, Ziviltodesfälle im Irak zu vermeiden.

Ein angemessenes Verfahren ist immer wichtig in australischen Gerichten undein solches ist auch wichtig auf internationaler Ebene. Das bedeutet, dassman sich der UNO bedient, eines unvollkommenen Instruments von miteinanderin Konflikt stehenden nationalen Interessen, wo es bei vielen Nationen umdie Menschenrechte schlecht bestellt ist. Aber wir haben nichts Besseres.

Wichtige Demokratien wie Frankreich und Deutschland sind noch nichtüberzeugt, trotz der Tatsache, dass Hussein 17 UNO-Resolutionen in den Windgeschlagen hat und dass die Resolution 678 von 1990, welche die Anwendungmilitärischer Gewalt autorisiert, noch gilt. Der 11. September und Balibleiben ernste Warnungen.

Zwar kann der Rückhalt von Seiten der UNO nicht über die moralischeRechtfertigung eines Angriffs gegen den Irak entscheiden, aber einelegitimierte moralische Autorität ist eines der Kriterien für einengerechten Krieg. Mehr der Öffentlichkeit zugängliches Beweismaterial istnötig, um nachzuweisen, dass die Sache der Verbündeten gerecht ist, und umden Rückhalt durch den Sicherheitsrat zu erhalten.

Auch Menschen guten Willens, die den Kriterien für einen gerechten Kriegzustimmen, werden manchmal in ihren praktischen Schlussfolgerungenvoneinander abweichen. Die Regierungen entscheiden, aber die Bürger solltensich mit der Frage der moralischen Rechtfertigung ihrer Entscheidungenauseinander setzen.

Meiner Meinung nach ist es moralisch gerechtfertigt, dass die australischeMarine das Embargo gegen den Irak durchsetzt und dass australische Truppenauf den irakischen Diktator Druck ausüben, die Friedensbedingungen der UNO,die er 1991 angenommen hat, zu erfüllen. Das sind moralisch vertretbareMaßnahmen. Aber das öffentlich zugängliche Beweismaterial genügt noch nicht,um einen Eintritt in den Krieg zu rechtfertigen, schon gar nicht ohne dieRückendeckung durch den UNO-Sicherheitsrat.

Thread: Brennpunkt IRAK


© 2003 www.kath.net