Wie der Ökumenische Rat die Ökumene abschafft

7. Oktober 2013 in Weltkirche


„Was also tut der ÖRK? Er gibt den Konsens der Christenheit auf, indem er neue Trennwände in Theologie und Praxis errichtet. Ein ökumenischer Rat, der spaltet, statt zu einen, ist auf dem besten Wege, sich selbst abzuschaffen.“ Von Rolf Hille (idea)


Heilbronn (kath.net/idea) Scharfe Kritik am Missions- und Evangelisationsverständnis des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) übt der deutsche evangelikale Theologe Rolf Hille (Heilbronn). Fazit seiner Analyse des Vorbereitungspapiers zur Vollversammlung des Weltkirchenrates in Südkorea: Im ökumenischen Missionsverständnis fehlt das Wichtigste – der Sünderheiland.

Die Erwartungen sind hoch, wenn vom 31. Oktober bis 9. November die 349 Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Busan (Südkorea) zu ihrer 10. Vollversammlung zusammenkommen. Der gemeinsamen Anfänge vor über 100 Jahren hatte man 2010 im schottischen Edinburgh gedacht. Bei dieser ersten Weltmissionskonferenz berieten Kirchenleiter, was man für die Einheit der konfessionell gespaltenen Christenheit tun kann. Denn die Streitereien zwischen Christen wirkten in Afrika und Asien alles andere als glaubwürdig für das Evangelium. So kam die Ökumene der Neuzeit ins Rollen und führte schließlich 1948 zur Gründung des ÖRK. Seither ist viel geschehen. Christen aus allen Konfessionsfamilien sind aufeinander zugegangen und haben entdeckt, dass die Gemeinsamkeiten größer sind als die Gründe für die Trennungen. Allerdings entstanden auch neue Spannungen und Gräben. So verabschiedete sich der ÖRK von den sechziger bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit einer liberalen und politisch-ideologischen Position von den gemeinsamen Grundlagen in der Missionstheologie. Ein Moratorium, d.h. eine Unterbrechung, für die Entsendung weißer Missionare wurde beschlossen. Militante Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika wurden mit Kirchengeldern finanziert. Interreligiöser Dialog statt missionarischer Verkündigung war angesagt. Die bekenntnisorientierten konservativ ausgerichteten Evangelikalen gingen deshalb auf Distanz zum ÖRK.

Annäherung an die Evangelikalen

1974 lud der US-amerikanische Evangelist Billy Graham 2.700 Missionare ins schweizerische Lausanne zu einem ersten Kongress für Weltevangelisation ein. In seiner Eröffnungsansprache machte Graham keinen Hehl aus seiner Kritik am ÖRK. Mit diesem Kongress traten erstmals die Evangelikalen als eine international bedeutsame Bewegung in der evangelischen Christenheit neben dem Genfer Weltrat in Erscheinung. Um die Jahrtausendwende schmolzen die öffentliche Anerkennung des ÖRK und sein Einfluss auf die Christenheit. Hinzu kam, dass die römisch-katholische Kirche durch eine Reihe hervorragender Repräsentanten auf dem Stuhl Petri Aufmerksamkeit und Ansehen gewannen. Das führte in Genf einige Verantwortungsträger zu der Einsicht, man müsse sich auf neuen Wegen um Annäherung zwischen den sogenannten Ökumenikern und Evangelikalen bemühen. Der damalige ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser regte die Gründung des „Global Christian Forum“ an. Hier sollten sich Christen aller Konfessionen, ob sie nun im ÖRK Mitglied waren oder nicht, auf Augenhöhe begegnen können. Raiser war klargeworden, dass besonders die evangelikalen Kirchen und die Pfingstbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika sehr stark wachsen und dass sich der Schwerpunkt des Christentums längst von den „abendländischen“ und nordamerikanischen Ländern in die südliche Hemisphäre verschoben hat. Vertrauensbildende Maßnahmen zwischen dem ÖRK und der Weltweiten Evangelischen Allianz, also den Evangelikalen, stehen seither auf der Tagesordnung. Deshalb verwundert es nicht, dass viele gespannt auf die Vollversammlung in Busan warten.

Kalte Dusche für ökumenisch-evangelikale Gemeinsamkeit

Inzwischen hat der Zentralausschuss des ÖRK als einziges Vorbereitungspapier für das Treffen in Südkorea ein Dokument mit dem vielsagenden Titel „Gemeinsam für das Leben: Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten. Eine neue Erklärung des ÖRK zu Mission und Evangelisation“ veröffentlicht. Dieser Text soll bei der Vollversammlung beraten und verabschiedet werden. Doch das Papier erweist sich bei genauer Betrachtung als eine kalte Dusche für das noch zarte Pflänzchen ökumenisch-evangelikaler Gemeinsamkeit. Immerhin sind mit den Stichworten Mission und Evangelisation die zentralen Anliegen der Evangelisation angesprochen. Die Ausrichtung und Argumentation der Studie ist sprachlich zwar nicht mehr so provokant formuliert, wie dies in den Papieren vor einigen Jahrzehnten der Fall war, sie reißt aber inhaltlich die alten Gräben wieder auf.

Der Markt ist der böse Feind

Zunächst fällt auf, dass Evangelisation ganz vom ersten Glaubensartikel, d.h. der Schöpfung, her begründet wird. Der gute Gott des Lebens und der Geist des Lebens laden zu einer „Leben spendenden Mission“ ein, die die ganze Menschheit, ja die gesamte Natur und den Kosmos umfasst. Es gilt, mit einer „transformativen Spiritualität“ die zerstörerischen Kräfte in der Welt zu überwinden, den ganzen Kosmos zu verwandeln und das Leben zu feiern. Wer der böse Feind ist, wird durchgängig klar definiert, nämlich „die Ideologie des Marktes“, sprich der internationale Kapitalismus, der ökonomische Ungerechtigkeit bewirkt und eine ökologische Katastrophe heraufführt. Dem muss die Mission entschlossen entgegenwirken und sie soll im Geist des interreligiösen Dialogs „mit Menschen anderer Religionen und Kulturen am Aufbau von Gesellschaften der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit“ zusammenarbeiten.

Ist das schon Evangelisation?

Nun kritisieren auch Evangelikale den Raubtierkapitalismus, den wir in der internationalen Bankenkrise 2008 erlebt haben, und auch sie prangern die Zerstörung der Umwelt und die Verschwendung der natürlichen Ressourcen an. Es gibt tatsächlich Sünde, die sich in sozialen Strukturen verfestigt. Und dass der Schöpfer ein guter Gott ist, der das Leben fördert und bewahrt, ist auch eine biblische Einsicht. Nur, ist das alles bereits Mission und Evangelisation? Gewiss nicht. Denn das christliche Glaubensbekenntnis hat bekanntlich drei Artikel. Und der zweite stellt Jesus Christus und sein Heilswerk ins Zentrum. Warum? Weil die Schöpfung nicht mehr ungebrochen die paradiesische Welt ist, wie sie aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen ist. Die Rebellion des Sünders steht zwischen Gott und Mensch. Der Gott des Lebens, der in dem Text des ÖRK unentwegt benannt wird, hat den Tod über den Sünder verfügt. Er lässt Krankheit, Schmerz, Elend, Armut und Mühsal zu. Das Papier des ÖRK hat an keiner Stelle wirklich ausgelotet, wie schwer das Gewicht der Sünde ist.

Sünderheiland wird nicht gebraucht

Deshalb kommt Jesus Christus auch nicht als Welterlöser in den Blick. In der vom ÖRK vorgelegten Evangelisationstheologie wird kein Sünderheiland gebraucht. Hier musste Jesus nicht am Kreuz sterben, um Vergebung der Sünde zu erlangen. Es gibt deswegen auch keinen Ruf zum rechtfertigenden Glauben. Was sich findet, ist die Forderung zur Umkehr und zur Kreuzesnachfolge hinter dem vorbildlichen Jesus her. Es handelt sich um eine Nachahmung von Jesus, die seine hohe moralische Qualität, aber gerade nicht die Rechtfertigung allein aus dem Glauben und allein durch die Gnade betont. Der Mönch Martin Luther hätte sich, ginge es nach dem Papier des ÖRK, getrost auf die Schulter klopfen können. In seinem Augustiner-Eremitenkloster zu Erfurt lebte er frei von jeder Geldgier und aller kapitalistischen Marktwirtschaft. Warum Luther einen gnädigen Gott suchte und das Jüngste Gericht fürchtete, bleibt völlig unerfindlich.

Das Missionspapier ist eine Katastrophe

Das Böse ist nach Auffassung des ÖRK nahezu ausschließlich in unterdrückerischen Strukturen und ausbeuterischen Systemen zu suchen: Kapitalismus, Rassismus, Kastenwesen und Kolonialismus werden gebrandmarkt. Auffällig ist bei diesem Sündenregister, dass der Kommunismus fehlt; so als hätte es nie einen Stalinismus oder Maoismus gegeben, so als ob nicht bis zum heutigen Tag vor der Haustüre Busans, nämlich in Nordkorea, tausende Christen in Straflager gesteckt und umgebracht werden. Das vom ÖRK erarbeitete Papier zur Mission ist nicht nur defizitär, sondern eine Katastrophe, weil das Wesen der Evangelisation, die Botschaft von Gericht und Gnade ausgeblendet wird.

Der ÖRK spaltet, statt zu einen

Eine kleine Anmerkung des Textes macht offenkundig, wie sehr der ÖRK die ökumenische Gemeinschaft verlässt und schon vor Beginn seiner Vollversammlung die Tür zuschlägt. Dort heißt es unter Ziffer 21: „Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht alle Kirchen Evangelisation so verstehen, wie sie hier beschrieben wird. Die römisch-katholische Kirche spricht von der ‚Evangelisierung‘ als missio ad gentes (Sendung zu den Völkern), die sich an jene wendet, die Christus nicht kennen. In einem weiteren Sinne … von ‚Neuevangelisierung‘, um die Sorge für jene zu beschreiben, die den christlichen Glauben nicht mehr praktizieren.“ Darum geht es auch den Evangelikalen ebenso wie den Orthodoxen und unzähligen Kirchen weltweit. Was also tut der ÖRK? Er gibt den Konsens der Christenheit auf, indem er neue Trennwände in Theologie und Praxis errichtet. Ein ökumenischer Rat, der spaltet, statt zu einen, ist auf dem besten Wege, sich selbst abzuschaffen.


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