Die falsche Adresse

23. September 2013 in Kommentar


Mittels undifferenziert und unhistorisch zusammengestellter Beispiele versucht Andreas Püttmann, die Morallehre der Kirche grundsätzlich zu relativieren - Ein Gastkommentar von Prof. Lutz Sperling


Bonn (kath.net)
In seiner Streitschrift "Die Moralpächter" (Christ & Welt, Ausgabe 39/2013) holt der bekannte katholische Journalist Andreas Püttmann zur großen Verwunderung derer, die seine bisherigen Schriften kennen, zu einem Rundumschlag gegen den "christlichen Konservativismus" aus. Schon mit den vorangestellten Worten "Sexualfixiert und selbstherrlich: Vom Elend des konservativ-christlichen Wertediskurses. Ein Sittenbild" wendet sich Püttmann offensichtlich an die falsche Adresse; "sexualfixiert" sind doch die altbekannten Forderungen derer, die einen "Reformstau" in der katholischen Kirche beklagen. Gar nicht zu reden vom Gender Mainstreaming, in dessen Sinne Politik und Medien permanent versuchen, die öffentliche Meinung zu manipulieren.

Papst Benedikt XVI. sagte in seiner dritten Rede an die Schweizer Bischöfe 2006: "Wenn ich in den achtziger, neunziger Jahren nach Deutschland kam, wurde ich um Interviews gebeten, und ich wußte immer schon im voraus die Fragen. Es ging um Frauenordination, um Empfängnisverhütung, um Abtreibung und um ähnliche Probleme, die ständig wiederkehren. Wenn wir uns einfangen lassen in diese Diskussionen, dann fixiert man die Kirche auf ein paar Ge- oder Verbote, wir stehen da als Moralisten mit ein paar etwas altmodischen Ansichten, und die eigentliche Größe des Glaubens erscheint gar nicht."

Püttmann verkündet nun, Papst Franziskus habe "durch sein dröhnendes Schweigen zu den einschlägigen Reizthemen ein Signal der Relativierung gesetzt". Soll hier Franziskus` angebliche "Relativierung" gegen Benedikts wiederholte Warnung vor dem "Relativismus" ausgespielt werden?

Während der Pressekonferenz auf dem Rückflug aus Brasilien am 28.7 d. J. wird Papst Franziskus gefragt: "Sie haben nicht über Abtreibung gesprochen, nicht über Ehen zwischen Gleichgeschlechtlichen. In Brasilien ist ein Gesetz verabschiedet worden, das das Recht zur Abtreibung erweitert und die Ehe Gleichgeschlechtlicher erlaubt. Warum haben Sie darüber nicht gesprochen?" Seine Antwort lautet: "Die Kirche hat sich dazu bereits umfassend geäußert. Es war nicht nötig, darauf zurückzukommen, wie ich auch nicht über Betrug, Lüge oder anderes gesprochen habe, über das die Kirche eine klare Lehre hat!"

Nach Umfragen vermutet man, wie Püttmann mitteilt, "beim Christen" weniger als "beim Konservativen ... 'gegen die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren' einzutreten". Obwohl das ganz im Gegensatz zur vom Papst bestätigten Lehre der Kirche stände, glaubt Püttmann, man könne darin "aber auch einen Sensus für das eigentlich Christliche erkennen".

Die Wahrnehmung Püttmanns ist selektiv und damit verfälschend. Ob gewollt oder nicht, er bedient mit seinen Ausführungen die Tendenz der Massenmedien, aus den Worten von Papst Franziskus einzelne Körner im Sinne einer "Wende" in der Kirche zugunsten der sattsam bekannten Forderungen aus dem deutschsprachigen Raum herauszuklauben.

Er beklagt, der "Fokus" des "christlichen Konservativismus" richte "sich auffallend einseitig auf die Sexualität, zuletzt besonders auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften". Homosexualität sei ein "Lieblingsthema des Milieus". Sollte dem Autor tatsächlich entgangen sein, woher diese Fokussierung stammt und weshalb diese Fragen die Öffentlichkeit ständig beschäftigen? Kaum eine Nachrichtensendung, in der nicht diese Themen eine Rolle spielen, das Durchpeitschen entsprechender Gesetze in Hollandes Frankreich ohne jede Rücksicht auf den millionenfachen Protest, gar nicht zu reden von der entsprechenden Sexualisierung unserer Kinder ab dem Krippenalter. Vieles Einschlägige, das man hier noch anführen könnte, und seine Systematik hat Gabriele Kuby meisterhaft aufgezeigt in ihrem Buch "Die globale sexuelle Revolution".

"Ein katholisches Blatt" hätte neulich bezweifelt, "daß der Staat 'das Liebesleben von Minderheiten zu promoten' habe". Nach Püttmann ginge es aber gar nicht "ums 'Promoten' einer mit Werbemitteln verbreitungsfähigen Lebensform, sondern um den menschengerechten Umgang mit einer gegebenen Disposition". Glaubt der Autor im Ernst, daß die Ansichten, die z. B. auf bestimmten Massenveranstaltungen, in unseren Schulen oder in einschlägigem Material der "Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung" vertreten werden, nichts mit Werbung für bestimmte Lebensformen zu tun haben?

In der Politik - angefangen von UN-Organisationen bis zu den einzelnen Staaten - gibt es offensichtlich eine starke Lobby der Homosexuellen, die aber noch einmal von den Aktivisten der Gender-Ideologie instrumentalisiert wird. Papst Franziskus steht vor der Frage, wie er umgehen soll mit dem von den Medien begierig aufgegriffenen Vorwurf einer Homo-Lobby im Vatikan, deren Existenz er bei einer Privataudienz im Juni bestätigt haben soll. (Beim Sender n-tv heißt es z. B.: "Sodom und Gomorrha im Vatikan?") Das ist der Hintergrund für eine entsprechende Frage an ihn bei der obengenannten Pressekonferenz. Seine Antwort lautete: "Dann sprachen Sie von der Gay-Lobby. Ach, es wird so viel über die Gay-Lobby geschrieben … Ich glaube, wenn jemand sich einem solchen Menschen gegenüber sieht, muß er das Faktum, 'Gay' zu sein, von dem Faktum unterscheiden, daraus eine Lobby zu machen. Denn die Lobbies – alle Lobbies – sind nicht gut …".

Was sagt nun der Papst, nachdem dies geklärt ist, über den einzelnen betroffenen Menschen?
Er fährt in seiner Antwort mit folgenden Worten fort: "Wenn einer Gay ist und den Herrn sucht und guten Willen hat – wer bin dann ich, ihn zu verurteilen? Der Katechismus der Katholischen Kirche erklärt das sehr schön, aber er sagt: Halt! Diese Menschen dürfen nicht an den Rand gedrängt werden, sie müssen in die Gesellschaft integriert werden."

Püttmann kommentiert in direkter Entgegensetzung: "Es war auffällig, wie konservative Kommentatoren sich befleißigten, des Papstes Antwort als pure Katechismus-Bestätigung einzuordnen." Er spricht sogar von einem "kalten Katechismus-Kaffee". Dieser "Kaffee" lautet auszugsweise: "Ihnen ist mit Achtung, Takt und Mitgefühl zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen ...". Es ist offensichtlich der gleiche Geist, der aus den Zitaten von Papst Fanziskus und des Katechismus spricht.

Es ist ein äußerst sympathischer Zug von Franziskus, in Demut die Lehre der Kirche als selbstverständlich maßgebend zu bestätigen. Deshalb besteht für ihn auch kein Anlaß, auf Zuruf zu wiederholen, daß die Kirche homosexuelle Neigungen wie auch andere Neigungen als "ungeordnet" qualifiziert. Püttmann glaubt hier bei Franziskus einen "Impuls zum Umdenken" (wer soll hier umdenken?) zu erkennen und fährt fort: "Dann wird er als Gottsucher und Mensch 'guten Willens' angesprochen." Gemeint ist ganz allgemein "der Homosexuelle". Das ist nun eine direkte Fehlinterpretation; denn bei Franziskus war es ein Konditionalsatz (siehe das obige Zitat), es wird nicht der Homosexuelle als solcher als Gottsucher und guten Willens bezeichnet. Unterstellt, daß der Autor solche zum elementaren Handwerkszeug eines Journalisten gehörigen Unterscheidungen beherrscht, - weshalb beachtet er sie hier nicht?

Wenn Püttmann die Haltung des Papstes, der von Homosexuellen als unseren Brüdern und Schwestern spricht, in der Nähe von Obamas Haltung sieht, kann man das nur als partiellen Realitätsverlust bewerten. Obama hatte den Monat Juni 2009 feierlich zum "Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Pride Month 2009" erklärt und sich am 13. Mai 2012, mitten im Wahlkampf, für völlige Gleichstellung eingetragener gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe ausgesprochen.

Indem er sich die bei säkularen Medien inzwischen verbreitete Gepflogenheit zu eigen macht, Mißliebiges aus dem christlichen Bereich als "rechts" zu etikettieren, warnt Püttmann "Christlich-Konservative" vor einem "Schulterschluß mit der politischen Rechten". Pünktlich zur Bundestagswahl zielte er hier auf die "Junge Freiheit" und die Partei "Alternative für Deutschland", die er in die Nähe des "deutschen Nationalprotestantismus' " und Francos sowie von "Demokraten vom Schlage der Kaczynski-Brüder" rückt. "Auch die Unterstützung der russisch-orthodoxen Kirche für Putin" zeuge "von der ideologischen und interessenegoistischen Korrumpierbarkeit des recht(s)gläubigen Milieus".

Mit dem oben bereits wiedergegebenen dem Artikel vorangestellten Wort "selbstherrlich" ist ein den gesamten Text dominierender Vorwurf an die Adresse der "konservativen Christen" bezeichnet. "Abstoßend am konservativen Moralismus" sei "auch Selbstgerechtigkeit und Hochmut. Man" hielte "sich für die wahre 'Wertelite' und" sei "durch keinerlei Selbstzweifel angekränkelt". Daß "man ... treuer beichten ginge", hieße "noch nicht, daß man auch sensibel für eigene Irrtumsfähigkeit wäre oder habituelles Versagen jenseits der verinnerlichten Gesetzesgerechtigkeit erkennen würde". Der Autor versteigt sich sogar zu folgender Behauptung: "War Moral im Kommunismus eine Frage des richtigen Klassenstandpunkts, so ist sie im kirchlich-konservativen Betonblock (sic!) eine Frage des richtigen theologischen Lagerstandpunkts." Mittels undifferenziert und unhistorisch zusammengestellter Beispiele versucht Püttmann dann, die Morallehre der Kirche grundsätzlich zu relativieren.

Den zuvor genannten Verdächtigungen entsprechen Versuchungen, denen wir alle tatsächlich ausgesetzt sind. Püttmann geht es aber um die Unterstellung, damit für eine bestimmte Gruppe typische Sünden benannt zu haben, pauschal und weitgehend anonym, während er die gegenüberstehende (eigene?) Gruppe offenbar weitgehend frei davon wähnt. Das ist entschieden zurückzuweisen!

Zurückzuweisen ist dies ganz besonders an der Stelle, wo deutlich wird, wer gemeint ist, der Autor sich aber nicht dazu bekennen möchte: "Der bornierte Rest ist gerade noch gut genug, um in einer Krawall-Talkshow als abschreckendes Beispiel vorgeführt zu werden." Persönlichkeiten, die sich wie Martin Lohmann, Hedwig v. Beverfoerde, Birgit Kelle oder Matthias Matussek mutig in Talkshows wagen, dort die katholische Lehre klar vertreten und sich deswegen Angriffen übelster Art aussetzen, werden von Püttmann als "borniert" abqualifiziert.

Andreas Püttmann weiß es eigentlich besser, wie er z. B. bei seinem Vortrag auf dem Kongreß "Freude am Glauben" 2010 verdeutlicht hat. Dort beklagte er: "Nicht nur konkrete christliche Normen sind heute anstößig, sondern feste Normen überhaupt". Später heißt es dort: "Der dominante libertäre Fundamentalismus kämpft gegen die letzte Institution, die noch vorgegebene Normen vertritt, die nicht einem diskurs¬ethisch zu findenden Konsens unterworfen sind und stellt die Kirche selbst unter 'Fundamentalismus'- Verdacht." Es wäre ihm und uns dringend zu wünschen, daß er sich dieses Besseren so bald wie möglich erinnert.

Prof. Dr.-Ing. Lutz Sperling war Professor und Lehrstuhlleiter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.




Foto: Prof. Sperling; (c) http://www.raggs-domspatz.de/profil/beirat.2/beirat.2.5/index.html


© 2013 www.kath.net