'Marsch für das Leben' ist im Berliner Dom seit Jahren unerwünscht

16. September 2013 in Deutschland


Martin Lohmann im kath.net-Interview: „Denjenigen, die sich friedvoll und mutig im Namen Jesu und gemäß der Schrift für das Leben einsetzen, bleiben die Türen des Domes verschlossen“


Berlin-Köln (kath.net) Mit dem „Marsch für das Leben“ wollen Christen am 21. September in Berlin für einen besseren Schutz des menschlichen Lebens demonstrieren. Seit mehreren Jahren bitten die Verantwortlichen für den jährlichen Marsch darum, mit der enorm gewachsenen Pro-Life-Veranstaltung einen ökumenischen Gottesdienst im protestantischen Berliner Dom feiern zu dürfen. Doch „denjenigen, die sich friedvoll und mutig im Namen Jesu und gemäß der Schrift für das Leben einsetzen, bleiben die Türen des Domes verschlossen. Das Gebet engagierter Christen ist in diesem Gebetshaus nicht erwünscht.“ Darauf weist Martin Lohmann (Foto) im kath.net-Interview hin. Lohmann ist Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht, Sprecher des Arbeitskreises Engagierter Katholiken in der CDU und Chefredakteur des katholischen Fernsehsenders K-TV.

kath.net: Herr Lohmann, am kommenden Samstag haben Sie wieder zum Marsch für das Leben nach Berlin eingeladen. In den vergangenen Jahren ist diese Bewegung enorm gewachsen, und Sie beginnen wieder mit einer Kundgebung unmittelbar vor dem Kanzleramt. Doch es gibt Gerüchte, dass der traditionelle ökumenische Schlussgottesdienst diesmal nicht in der Hedwigskathedrale sein kann. Warum?

Martin Lohmann: Das sind leider keine Gerüchte, sondern es ist richtig: Die Hedwigskathedrale steht uns diesmal nicht zur Verfügung. Das ist schade, denn über mehrere Jahre war hier stets ein wunderbarer Schlusspunkt unseres Zeugnisses für das Leben. Und wir sind sehr dankbar, dass wir diesen Kirchenraum immer wieder haben durften und in ihm als Christen verschiedener Konfessionen Heimat finden konnten. Und hoffentlich auch wieder Heimat finden können. Doch in diesem Jahr gibt es dort eine ungewöhnlich lange vorher angemeldete Hochzeit, deren Termin leider mit unserem kollidiert.

kath.net: Und jetzt? Haben Sie sich um einen Ersatz bemüht?

Lohmann: Oh ja, haben wir. Schon seit Jahren haben wir versucht, und dies war und bleibt im Vorstand des BVL, aber auch mir persönlich immer aus Gründen gelebter Ökumene ein ganz wichtiges Anliegen, den konfessionsübergreifenden Charakter unseres Marsches durch einen Abschlussgottesdienst im protestantischen Berliner Dom zu zeigen. Mehrfach haben wir das beantragt, doch wir bekamen immer wieder Absagen vom Domkirchenkollegium und der Dompredigerin Petra Zimmermann.

kath.net: Haben Sie denn ihre Raumnot in diesem Jahr dort mitgeteilt?

Lohmann: Ja, haben wir. Wir haben sogar mehrere Anläufe gemacht, doch wir bekamen immer wieder ein deutliches Nein.

Den Lebensschützern steht diese christliche Gottes-Herberge, so könnte man formulieren, also nicht zur Verfügung, nicht offen. Sie wurde uns wegen unserer christlichen Positionen beim Lebensschutz und zur gelebten Homosexualität – obwohl das hier gar nicht zur Debatte steht – verweigert.

Wir müssen mit Bedauern und Trauer zur Kenntnis nehmen, dass die Verantwortlichen des Berliner Doms unsere Auffassungen offenbar so schlimm finden, dass uns die Benutzung der Kirche zu einem ökumenischen Gottesdienst kategorisch verweigert wurde. Wir wollten ja auch deshalb gerne den Dom für einen Gottesdienst nutzen, weil die Hedwigskathedrale in der Zwischenzeit schon längst nicht mehr alle Demonstrationsteilnehmer fasst, die am Ende auch noch einen Gottesdienst besuchen wollten.

Ich finde das sehr betrüblich, denn gerade durch einen jährlichen Wechsel der Kirchen könnte man ja deutlich machen, dass das Bekenntnis zum Leben etwas alle Menschen guten Willens Verbindendes ist. Lebensschutz ist ja wirklich keine katholische Exklusivangelegenheit. Wenn es irgendwo keine Schwierigkeiten für ein ökumenisches Zeugnis geben sollte und dürfte, dann hier.

Insofern ist es eine traurige Botschaft, die uns von den verantwortlichen evangelischen Kirchenleuten des Domes da gesendet wird.

Aber es ist nun einmal so: Denjenigen, die sich friedvoll und mutig im Namen Jesu und gemäß der Schrift für das Leben einsetzen, bleiben die Türen des Domes verschlossen. Das Gebet engagierter Christen ist in diesem Gebetshaus nicht erwünscht. Das ist nicht gut. Und es ist ein fatales Signal in die Gesellschaft und übrigens auch an unsere Jugend.

kath.net: Sie sagen: Das friedliche ökumenische Bitt- und Dankgebet der Lebensschützer ist im Berliner Dom nicht erwünscht? Wäre das nicht skandalös?

Lohmann: So sieht es aus. Leider. Peinlich und tragisch. Aber jeder hat ja die Einladung zur Umkehr. Und: Wir werden natürlich trotz dieser Verweigerung einen gemeinsamen Ökumenischen Gottesdienst am Schluss haben. Nur leider nicht im Dom.

kath.net: Und wie sieht es generell mit der Unterstützung durch die kirchlichen Würdenträger aus?

Lohmann: Erfreulich gut. Es ist zum Beispiel sehr schön, dass der evangelische Bischof von Berlin, Markus Dröge, uns ein positives Grußwort geschrieben hat. Auch Kardinal Woelki und viele andere Würdenträger haben uns durch sehr deutliche Grußworte ihre Unterstützung signalisiert. Dafür sind wir dankbar.

kath.net: Gehen diesmal denn auch – das gab es ja vor einigen Jahren mal – wieder Bischöfe mit, die im vergangenen Jahr fehlten?

Lohmann: Ich hoffe. Aber die verbindliche Zusage steht noch aus.

Im Blick auf die katholische Kirche freilich betone ich gerne, dass Papst Franziskus den römischen Marsch für das Leben selbst begrüßt hat und durch einen Kardinal hat verkünden lassen, dass es eigentlich für alle Bischöfe selbstverständlich sein müsste, das Zeugnis der Laien persönlich aktiv und sichtbar zu unterstützen. Denn der Einsatz für das Menschenrecht auf Leben kann ja keine Exklusivaufgabe nur für Laien sein.

kath.net: Wie erklären Sie sich die bischöfliche Scheu?

Lohmann: Wir haben gehört, dass linksextremistische und radikalfeministische Gruppen verbreiten, wir würden etwa mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten. Und diese böse Lüge scheint auch bei Würdenträgern zu verfangen.

Wahr ist: Wir haben nichts, aber auch gar nichts mit irgendwelchen Extremisten und Radikalen roter oder brauner Couleur zu tun. Wir sind auf den Gottessohn Jesus Christus und die frohe christliche Botschaft konzentriert, die das Leben als kostbarstes Geschenk Gottes an uns versteht. Zugleich wissen wir natürlich, dass böse Lügen manche Leute irritieren können. Das ist ja der Sinn von Lügen. Wer die Wahrheit nicht erträgt, greift zur Lüge. Diese ist und bleibt aber böse. Doch sie verfängt bisweilen eine Zeit lang.

Und was die Bischöfe angeht: Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir eines Tages alle gemeinsam Zeugnis für das Leben öffentlich abgeben werden – wie das etwa in Madrid und anderen Hauptstädten der Welt ja auch geschieht.

kath.net: Es wird bewusst gelogen, sagen Sie?

Lohmann: Ja, leider. Ich kann es auch so sagen: Weil wir uns an der echten Mitte des Denkens und dem Zentrum des Glaubens ausrichten. Anders gesagt: Die Liebe zum Menschen und zum Leben stehen für uns im Mittelpunkt.

Zugleich wissen wir natürlich auch, dass wir gegen einen allzu materialistisch ausgerichteten Zeitgeist stehen, für den der Mensch nur ein Evolutionsprodukt unter anderen ist. Menschen sollen nur dann noch Lebensrecht haben, wenn sie möglichst fehlerfrei, gesund und erwünscht sind.

Unser klarer Protest gegen diese breite Entwicklung stört all jene, die sich inzwischen leider damit arrangiert haben, dass Millionen von Menschen vor der Geburt schon getötet wurden. Oder sie haben bereits resigniert.

kath.net: Sind denn die Bischöfe vielleicht zu wenig mutig?

Lohmann: Ein solches Urteil stünde mir nicht zu. Und es gibt solche und solche. Ihr Auftrag ist freilich immer der Mut zum Bekenntnis. Aber das ist ja auch ein Auftrag an jeden Christen. Ich glaube aber, dass die Bischöfe selbst letztlich keineswegs feige sind, sondern teilweise einfach andere Prioritäten setzen oder setzen müssen.

Wir hoffen weiterhin, dass wir eines Tages beim Marsch auch gemeinsam öffentlich Zeugnis für das Leben abgeben – wie etwa in Madrid und anderen Hauptstädten der Welt ja auch. Vielleicht sind manche Strukturen bei uns einfach zu hinderlich für das Selbstverständliche, und viele denken, eine meist sehr stille und bisweilen wenig verbindliche „Woche für das Leben“ im Frühjahr genüge schon. Das aber ist ein Irrtum.

kath.net: Sie erwähnten bereits, dass Papst Franziskus selbst auch diesbezüglich erfrischend ermutigend ist. Haben Sie von ihm eine Unterstützung?

Lohmann: Ja, durch sein unmissverständliches Zeugnis. Würde der Vatikan in der Nähe von Berlin liegen, wäre er ganz sicher dabei. So wie in Rom. Das tut gut.

kath.net: Es hat sich ein sogenanntes Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung gebildet, das gegen den Schutz des Lebens arbeitet.

Lohmann: Leider ist schon die Bezeichnung dieses Bündnisses irreführend. Denn anstatt für die Selbstbestimmung und Freiheit derer einzutreten, die sich selbst noch nicht oder nicht mehr zu Wort melden können, sollen offenbar die noch nicht geborenen Kinder und wohl auch Alte, Kranke und Behinderte am Ende ihres Lebens ihrer Selbstbestimmung beraubt werden.

Dieses Bündnis ist tragisch und überdies verfassungsfeindlich, weil es die Würde auch des noch nicht geborenen Menschen in Abrede stellt und sogar das Recht auf vorgeburtliche Kindstötung fordert.

kath.net: Schon der Name ist irreführend?

Lohmann: Und wie! Dieses Bündnis müsste eigentlich Bündnis für sexuelle Fremdbestimmung heißen, denn wer sich von seinen Trieben leiten lässt, ist letztlich fremdbestimmt. Zur sexuellen Selbstbestimmung gehört der Einsatz von Herz, Geist und Verstand – und vor allem der Einsatz des Gewissens.

Nochmal: Ein Bündnis für sexuelle Fremdsteuerung ist eine tragische Erscheinung! Erst recht, wenn man von jeder Verantwortung für das Leben abzuhauen bereit ist und gar die Tötung noch nicht geborener Menschen fordert. Das hat gar nichts mehr mit Selbstbestimmung zu tun. Aber viel mit von der Lust gesteuerten Feigheit.

Wenn Sie so wollen, bilden eigentlich die Lebensschützer das einzig wirkliche Bündnis für Selbstbestimmung, weil sie das Recht eines jeden Menschen auf Leben respektieren, weil sie Verantwortung zulassen und Toleranz gegenüber jedermann üben und weil sie das Leben der Stummen schützen.

kath.net: Was erwarten die Lebensschützer denn von diesem Marsch einen Tag vor der Bundestagswahl?

Lohmann: Ich weise darauf hin, dass wir jedes Jahr am vorletzten Samstag im September zum Marsch für das Leben nach Berlin einladen. Es ist nicht unsere besondere Absicht, jetzt am Tag vor der Bundestagswahl den „lauten Schrei“ in die Öffentlichkeit hinein zu tun. Aber wir sind bei dem Termin trotz der Bundestagswahl geblieben. Für die Würde des Menschen einzutreten ist immer an der Tagesordnung. Darum sagen wir das auch jetzt.

Wir brauchen Fairness, Offenheit und Unterstützung für eine Kultur des Lebens. Alle Menschen guten Willens, alle toleranten Bekenner vom Bischof bis zum kleinen Kind, sind herzlich eingeladen, friedlich und respektvoll zu bekunden, dass jeder Mensch liebenswürdig und gewollt ist, egal welchen Alters und welcher Gesundheit.

kath.net: Es gibt Hinweise, dass manche Medien nicht gerade unvoreingenommen berichten über Ihren Einsatz.

Lohmann: Das ist so. Und da ich selbst zur Medienzunft gehöre, füge ich hier gerne noch eine weitere hoffnungsvolle Bitte an. Ich wünsche von den Medien den einfachen und unaufgeregten Mut, maßstabsgerecht kompetent und journalistisch sauber zu berichten und sich zuvor fair zu informieren. Saubere Recherche, Unabhängigkeit und journalistische Kompetenz.

Man muss unsere Überzeugungen ja nicht teilen, aber sie respektieren und fair darüber berichten sollte man schon. Doch auch da bleibe ich – trotz manch negativer Erfahrung aus den vergangenen Jahren – sehr zuversichtlich.



Foto (c) Martin Lohmann


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