Namensgebung: Innovation durch christliches Fundament

13. Mai 2013 in Chronik


Namensforscher: Waren früher Heiligen- und Herrschernamen ausschlaggebend, sind es heute neue Medien, Migrations- und Globalisierungsbewegungen - Zugleich kommen gerade dadurch alte biblische Namen wie Sarah wieder zurück - Von Jürgen Nemec (KAP)


Wien (kath.net/KAP) Innovationen in der Namensgebung werden nicht im Gegensatz zum, sondern durch das Fundament der christlichen Kultur freigesetzt: Das war eine Kernthese des Doyens der Namensforschung in Österreich, Prof. Michael Mitterauer vom Wiener Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in seinem Vortrag über Trends in der Vornamensgebung in Europa. Er sprach bei der Tagung "Die Kultur der Namensgebung", organisiert von der Wiener Rechtsgeschichtlichen Gesellschaft vergangene Wocheim Juridicum. Auch wenn Prozesse der Individualisierung, Säkularisierung und medialen Globalisierung eine wichtige Rolle bei der Namensgebung spielen: Die religiöse Bedeutung von Namen bildet - auch unbewusst - den unersetzbaren Boden, so Mitterauer.

"Die jeweiligen 'top ten' des Namensgutes und der Namensgebung lassen wichtige Schlüsse auf Prozesse des gesellschaftlichen Wandels zu", so Mitterauer. Die Namensgebung in Europa sei lange Zeit am Heiligenkalender und liturgischen Kalender orientiert gewesen, was sich heute noch vor allem in Griechenland zeigen lässt: Hier sind die "top ten" der Namensgebung - für Söhne etwa Georgios, Konstantinos und Joannis; für Mädchen vor allem Maria, Eleni, und Katerina - durchgehend alte byzantinisch-christliche Namen.

Der Grund für die Entstehung von Familiennamen sei überhaupt in der Konzentration auf die Heiligennamen zu suchen. Denn durch die Anlehnung der Namensgebung an den Kanon der Heiligen - Johannes stand in Europa seit dem Hochmittelalter unangefochten an der Spitze, Maria bei den Mädchennamen - kam es zugleich zu einer Reduktion des Namengutes. "In Europa trugen bis zu 20 Prozent und damit jeder Fünfte den Namen Johannes, so dass dieser Name fast in allen Familien vorkam. Der Name sollte Sicherheit durch den stärksten Fürbitter und Heiligen vermitteln. Heiligennamen hatten generell Schutz- und Vorbildfunktion", erläuterte Mitterauer. Auch die Verbreitung des Namens Elisabet/Isabel geht auf die Ehrerbietung Johannes des Täufers zurück, ebenso freilich Jack und die Diminutivform John in Englang und Wales oder Jean in Frankreich - ein Name, der durchgehend vom 13. bis ins 19. Jahrhundert den Spitzenplatz einnahm.

Die traditionelle Namensgebung in Europa stand somit auf zwei Säulen: den Heiligennamen und den Fürstennamen. Letztere fanden im anglikanischen Raum als William, Robert und Richard massenhafte Verbreitung. Im Karolingerreich waren zunächst noch Königsnamen wie Karl, Ludwig oder Lothar tabu und wurden aus Ehrfurcht vor den Herrschenden nie vergeben. "Unter den Königen der sächsischen Dynastie wurden jedoch die Namen Heinrich, Otto und Konrad derart inflationär, dass man abwertend von 'Hinz und Kunz' sprach", zeigte der Wirtschafts- und Sozialhistoriker auf.

Franziskus hieß eigentlich Johannes

Die entscheidenden historischen Innovationsschübe im Namengut ereigneten sich seit der europäischen Renaissance: Das wohl bekannteste Beispiel für den Renaissance-Trend zu "supernomina", zur Wiederbelebung von Namensvorbildern, ist Franziskus von Assisi. Denn dieser wurde eigentlich auf den Namen Johannes getauft und erhielt den Namen Franziskus infolge einer Frankreichreise seines Vaters.

Während im Zuge der Gegenreformation das Konzil von Trient die Taufe auf Heiligennamen als verpflichtend ausgab, trat in den reformatorischen Bekenntnissen die Orientierung an Heiligen zugunsten von Persönlichkeiten aus der Heiligen Schrift, vielfach aus dem Alten Testament, in den Hintergrund. "Die Kultur der alttestamentarischen Namen kommt nun über die USA zurück nach Europa. So ist Sarah der heute weltweit führende Mädchenname", erläuterte Mitterauer.

Europäische Nationalismen und damit der Rückgriff auf Literatur und Sagengut bewirkten einen weiteren Schub in der Namensgebung. Heute sorgen vor allem Migrationsprozesse für Verschiebungen: "In Brüssel, dem Sitz der Europäischen Union, hat die Mehrheit einen islamischen Namen, ebenso in der europäischen Kulturhauptstadt Marseille".

"Kevinismus" wird Realität nicht gerecht

Mitterauer sprach sich dagegen aus, die Spitzenplätze bei Namentrends abwertend als bloße "Modenamen" und damit als vermeintlich oberflächlich und äußerlich zu bezeichnen. "Wenn man die Beliebtheit des Vornamens Kevin als 'Kevinismus' abwertet und diese Namengebung von vornherein mit gesellschaftlichen Unterschichten assoziiert, so ist das schlicht unwissenschaftlich. Gerade bei der Vergabe von Heiligennamen wurde existenziell bedeutsame Identitäten gestiftet".

Dies zeige sich etwa am Namen Michael, der im Mittelalter primär ob seiner militärischen Schutzfunktion und in durchaus kriegerischer Bedeutung gewählt wurde, wie noch das von Papst Leo XIII. eingeführten Michaelsgebet im Anschluss an jede Heilige Messe zum Ausdruck bringe, weil es darin "um Kampf und Verteidigung durch den Erzengel gegen den Satan und die bösen Geister der Welt" ging. Der Aufstieg des Namens Michael ab den 1950er Jahren sei jedoch gerade von diesem "militanten Michaelsbild" entkoppelt gewesen.

Und auch bei Kevin, jenem aus Irland stammenden Namen, der Anfang der 1990er Jahre die "top ten" der männlichen Namenstrends anführte, werde eine abschätzige Bewertung der Komplexität der Entwicklungsgeschichte nicht gerecht. "Kevin ist die Anglisierung von Coemgen, dem Patron von Dublin. Verbreitet wurde der Name zunächst durch die 1920 erfolgte Hinrichtung des 18-jährigen IRA-Mitglieds Kevin Barry, in den 70er Jahren durch den Fußballstar Kevin Keegan und in den 1990ern durch die Filmindustrie mit 'Kevin - Allein zu Haus' und dem irischstämmigen Schauspieler Kevin Costner. Neue Medien spielen heute bei Namentrends eine wichtige Rolle", so Mitterauer.

Kurzformen und Doppelnamen

Aktuell sei ein Trend zu Kurzformen, deren Herkunft in angloamerikanischen Raum verortet sei, zu konstatieren. So habe es den Namen Tim - als Kurzform von Timothy in den USA seit langem geläufig - in Deutschland vor 1963 nicht gegeben, die Krimi-Serie "Tim Frazer" habe einen Umschwung bewirkt. Zugleich seien die Kurzformen wiederum Ausgangspunkt für neue Langformen, weil sich Doppel- und Mehrfachnamen, die oft den "Flair des gehobenen Milieus" hätten, zunehmender Beliebtheit erfreuen würden.

Mitterauers Fazit: "Angesichts von Individualisierung, Säkularisierung und neuer Medien orientiert sich die Namensgebung nicht mehr unmittelbar an den Heiligenkalender oder an die Nachbenennung von Familiennamen, um gewissermaßen das Wesen des Großvaters oder der Großmutter mit dem Neugeborenen neu aufleben zu lassen. Doch die immer kürzer werdenden Innovationsschübe gibt es nur auf der Grundlage dieser alten, christlichen Bedeutungen." So war der Name Iker in Spanien bis kürzlich kaum gebräuchlich, der Fußballer Iker Casillas bewirkte eine Trendumkehr. Und damit eine solche der Bedeutung des alten baskischen Namens, wovon die Eltern im Internetzeitalter sehr genau Bescheid wüssten: Mariä Heimsuchung.

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