Cor ad cor loquitur – Das Schreiben des Heiligen Stuhls an die FSSPX

21. Jänner 2013 in Aktuelles


Erzbischof Augustine Di Noia, Vizepräsident der Päpstliche Kommission ‚Ecclesia Dei’, schreibt an den Generaloberen und an die Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X.: Unterwegs zu einem neuen Dialog im Licht der Wahrheit. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Kein „neues Ultimatum“, wie einige Nachrichtenagenturen plakativ titulierten, sondern bedeutend mehr und bedeutend anderes. Nach Monaten des relativen Stillstands der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) wandte sich der Vizepräsident der Päpstlichen Kommission „Ecclesia Dei“, Erzbischof Augustine Di Noia, im Jahr 2012 in einem „Adventsbrief“ an den Generaloberen der FSSPX, Weihbischof Bernard Fellay, sowie an alle Priester der Bruderschaft, mit dem ein neuer und interessanter Ton angeschlagen wurde.

Nachdem der Heilige Stuhl seit dem Ende der Verhandlungen mit der FSSPX im Juni 2012 keine offizielle Antwort auf seine Vorlagen erhalten hatte, stellt das achtseitige Schreiben einen neuen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Rom und der Bruderschaft dar, die erneut als „offen und voller Hoffnung“ bezeichnet werden. Das bisher in französischer und englischer Sprache veröffentlichte Schreiben des Erzbischofs versteht sich als persönliche, zutiefst theologisch und pastoral orientierte Initiative. Es kann davon ausgegangen werden, dass Papst Benedikt XVI. über dessen Inhalte vorab informiert wurde und die neue Linie billigte. Vom heiligen Paulus über Augustinus und den Mahnungen eines Thomas von Aquin - es scheint unübersehbar zu sein, dass in diesem Brief "viel Ratzinger" vorhanden ist.

Das Schreiben besteht aus einer Einleitung und zwei Kapiteln, die den Thematiken „Die Wahrung der Einheit der Kirche“ und „Der Ort der Priesterbruderschaft in der Kirche“ gewidmet sind. Im Schlussteil erinnert der Erzbischof dann daran, dass es ein großes Anliegen Papst Benedikts XVI. ist, die bisher bestehenden Spannungen zwischen der Kirche und der FSSPX zu überwinden. Was gesucht werde, sei nicht des Menschen Werk: „Wir suchen Versöhnung und Heilung durch Gottes Gnade unter der liebenden Führung des Heiligen Geistes“.

Der Lehre des heiligen Thomas von Aquin folgend sei es zuerst notwendig, die Seelen zu heilen sowie von Bitterkeit und Ressentiments gereinigt zu werden, die sich aus 30 Jahren des Misstrauens und der Angst auf beiden Seiten ergeben hätten: „Dies ist ein Moment von großer Gnade: wir wollen ihn mit unserem ganzem Herzen und Verstand umarmen. Da wir uns auf das Kommen des Erlösers der Welt während dieser Adventszeit im Jahr des Glaubens vorbereiten, wollen wir beten und kühn hoffen: Sollten wir nicht auch die ersehnte Versöhnung zwischen der Priesterbruderschaft St. Pius X mit dem Stuhl Petri vorwegnehmen?“

Die einzige vorstellbare Zukunft der FSSPX liegt für Erzbischof Di Noia im Schritt zur vollen Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl, verbunden „mit der Annahme eines uneingeschränkten Bekenntnisses des Glaubens in seiner Fülle und somit mit einem ordentlichen kirchlichen, sakramentalen und pastoralen Leben“.

In seiner Einleitung lässt es sich Di Noia nicht nehmen, an Ton und Inhalt jüngster Wortmeldungen auch von hohen Verantwortungsträgern der FSSPX wie dem deutschen Distriktoberen Franz Schmidberger (18. September 2012), dem ersten Generalassistenten (16. Oktober 2012) und dem Generaloberen der Bruderschaft selbst (1. November 2012) zu erinnern. Dadurch sei es zu einer gewissen Verwirrung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und der realen Möglichkeit einer Aussöhnung gekommen.

Aufgrund dieser Umstände ist es für Di Noia notwendig, dass ein „neues Element“ in die Auseinandersetzung eingebracht wird, „wenn man nicht in den Augen der Kirche, des großen Publikums und im Grunde vor uns selbst den Anschein erwecken will, dass wir in einem freundlichen, aber hoffnungs- und fruchtlosen Austausch stehen“. Di Noia wiederholte erneut die Position des Heiligen Stuhls: die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils müssen im Licht der Tradition und des Lehramtes interpretiert werden und nicht umgekehrt. Gleichzeitig sei die ablehnende Haltung der FSSPX gegenüber gewissen, als irrig angesehenen Lehren des Konzils bekannt.

Im Licht der Heiligen Schrift und des Lehramtes betonte Erzbischof Di Noia die Pflicht zur Wahrung der Einheit der Kirche. Diese sei zwar eine Gabe des Heiligen Geistes, „doch auch unsere Entscheidungen und Handlungen machen uns fähig, für die Einheit des Geistes zu arbeiten oder gegen den Geist zu wirken.“ An den heiligen Thomas von Aquin erinnern betont Di Noia die Bedeutung der Tugenden der Demut, der Milde, der Geduld und der Liebe, die dabei helfen können, die Güte der Positionen des anderen anzuerkennen, „die – auch wenn sie nicht geteilt werden – in einem Geist der Offenheit und des guten Glaubens untersucht werden können“.

Gleichzeitig zitierte Di Noia die Worte Benedikts XVI. aus dem Brief an die Bischöfe der Welt, mit dem der Papst die Veröffentlichung des Motu proprio „Summorum Pontificum“ begleitet hatte (7. Juli 2007): „In der Rückschau auf die Spaltungen, die den Leib Christi im Lauf der Jahrhunderte verwundet haben, entsteht immer wieder der Eindruck, dass in den kritischen Momenten, in denen sich die Spaltung anbahnte, von Seiten der Verantwortlichen in der Kirche nicht genug getan worden ist, um Versöhnung und Einheit zu erhalten oder neu zu gewinnen; dass Versäumnisse in der Kirche mit schuld daran sind, dass Spaltungen sich verfestigen konnten. Diese Rückschau legt uns heute eine Verpflichtung auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um all denen das Verbleiben in der Einheit oder das neue Finden zu ihr zu ermöglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit tragen“.

Eine weitere „Neuheit“, die neu nur deshalb ist, weil sie in dieser Weise betont wird, besteht in der Klärung des Ortes der FSSPX innerhalb der Kirche. An die Priesterbruderschaft ergehe im jetzigen Moment die Aufforderung, das Feuer des Charismas ihres Gründers Erzbischof Marcel Lefebvre neu zu entflammen, seines Eifers, Männer im Priestertum Jesu Christi auszubilden. Somit sei die Zeit gekommen, „die harsche und kontraproduktive Rhetorik aufzugeben, die in den letzten Jahren hervorgetreten ist“, denn: Zum ursprünglichen Charisma Lefebvres, das im Jahr 1970 von der Kirche approbiert worden sei, gehöre es nicht, die Aufgabe des Beurteilens und Korrigierens der Theologie oder der Disziplin anderer in der Kirche zu beanspruchen. Die kritischen theologischen Fragen hinsichtlich des Lehramtes sollten nicht der Schwerpunkt der Verkündigung oder der Ausbildungstätigkeit des FSSPX sein.

Für den Erzbischof ist es ein Fehler gewesen, aus jedem schwierigen Punkt in der theologischen Interpretation des II. Vatikanischen Konzils einen Gegenstand öffentlich ausgetragener Kontroversen zu machen. In diesem Zusammenhang verwies Di Noia auf die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre Donum veritatis über die kirchliche Berufung des Theologen (1990): „Bleiben die Schwierigkeiten trotz loyaler Bemühungen bestehen, ist der Theologe verpflichtet, den Lehrautoritäten die Probleme vorzutragen, die eine Lehre in sich selber, in den Begründungen, die dafür vorgebracht werden, oder auch in der Art, wie sie vorgelegt wird, enthält. Er wird das im Geist des Evangeliums tun und in dem tiefen Verlangen, die Schwierigkeiten zu überwinden. Dann können seine Einwände zu einem wirklichen Fortschritt beitragen, indem sie das Lehramt anregen, die Lehre der Kirche gründlicher und besser begründet vorzulegen.

Der Theologe wird in diesen Fällen nicht auf die Massenmedien zurückgreifen, sondern vielmehr die verantwortliche Autorität ansprechen, denn durch das Ausüben von Druck auf die öffentliche Meinung kann man nicht zur Klärung von lehrhaften Problemen beitragen und der Wahrheit dienen“ (§ 30).

„Es kann ferner vorkommen, dass die Schwierigkeit nach Abschluss einer ernsthaften Prüfung in der Bereitschaft, ohne inneren Widerstand gegen den Spruch des Lehramtes zu hören, bestehen bleibt, weil dem Theologen die Gegengründe zu überwiegen scheinen. Er muss dann angesichts einer Zustimmung, die er nicht geben kann, bereit bleiben, die Frage gründlicher zu studieren.

Für eine loyale Einstellung, hinter der die Liebe zur Kirche steht, kann eine solche Situation gewiss eine schwere Prüfung bedeuten. Sie kann ein Aufruf zu schweigendem und betendem Leiden in der Gewissheit sein, dass , wenn es wirklich um die Wahrheit geht, diese sich notwendig am Ende durchsetzt“ (§ 31).

Abschließend unterstrich Di Noia: „Wenn wir uns nur auf die schwierigsten und umstrittensten Fragen konzentrieren – denen mit allen Mitteln sorgfältige Aufmerksamkeit zukommen muss –, könnten wir im Laufe der Zeit den Sinn für die Analogie des Glaubens verlieren und beginnen, die Theologie vor allem als eine Art intellektueller Dialektik konkurrierender Ansprüche zu sehen, statt als weise Begegnung mit dem lebendigen Gott, der sich uns in Jesus Christus offenbart hat und unser Studium, unsere Verkündigung, unsere Seelsorge durch den Heiligen Geist inspiriert“.

Kein Zweifel: ein neuer Ton aus dem Vatikan, jenseits aller auch verhärmt und verhärtet geführter „Lehrgespräche“, jenseits aller Polemiken und Verkürzungen.

„Cor ad cor loquitur“, wie sich dies der selige John Newman in den Mittelpunkt seines Lebens geschrieben hatte, um auf seinem Grabstein dann zum Schluss zu kommen: „ex umbris et imaginibus in veritatem“.

Der „Adventsbrief” von Erzbischof Augustine Di Noia in englischer Sprache

Der „Adventsbrief” von Erzbischof Augustine Di Noia in französischer Sprache


Dem Autor auf Twitter folgen!


© 2013 www.kath.net