Evangelische Landeskirchen weiter auf Homo-Welle

6. Dezember 2002 in Deutschland


Jetzt möchte auch Hessen-Nassau homosexuellen Paaren den Segen geben Proteste von Pietisten: Führender Repräsentant rechnet mit einer Austrittswelle


Frankfurt am Main (kath.net/idea)
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ermöglicht als fünfte Landeskirche in Deutschland die Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften in einem Gottesdienst. Die Synode stimmte am 4. Dezember in Frankfurt am Main mit deutlicher Mehrheit einem entsprechenden Vorschlag des Theologischen Ausschusses und des Leitenden Geistlichen Amtes (LGA) zu. 117 Synodale votierten für eine solche Segenshandlung, 41 stimmten dagegen und sechs enthielten sich. In dem Papier heißt es: “Paaren, die ihre Homosexualität verantwortlich leben, soll der gewünschte Segen seitens der Kirche zugesprochen werden können.” Erforderlich ist die Zustimmung der jeweiligen Kirchenvorstände. Pfarrer können nicht gegen ihr Gewissen zu einer Segenshandlung verpflichtet werden. Ehe und Familie blieben das Leitbild der Kirche “für verantwortlich gelebte menschliche Paarbeziehungen”, so der Beschluß. Gleichzeitig heißt es: “Die liturgische Form der Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares läßt sich nicht signifikant von der Trauliturgie unterscheiden.” Eine Reihe von Synodalen hatten zuvor in der Debatte heftige Kritik an dem Papier geübt, weil es im Widerspruch zu biblischen Aussagen stehe, die Einheit der Kirchen gefährde, und die Bedeutung von Ehe und Familie relativiere. Ein Sprecher des synodalen Gesprächskreises “Lebendige Kirche”, Pfarrer Peter Boucsein (Montabaur), warf den verantwortlichen Gremien vor, “mit dem Zeitgeist gegen die Bibel” zu argumentieren. Das Ansehen der Volkskirche und ihre geistliche Autorität werde mit dem Votum weiter sinken. Der Theologe wies darauf hin, daß sich in der rund drei Millionen Mitglieder zählenden rheinischen Kirche “ganze sechs Partnergemeinschaften” bisher gottesdienstlich begleiten ließen. Boucsein: “Natürlich können wir sagen: Wir schreiben die Bibel neu, wir klinken uns aus der Ökumene aus, wir machen eine Religionsorganisation auf und segnen alles und alle.” Aber dann könne er nur sagen: “Herr, erbarme dich.” Die Diplom-Volkswirtin Irmgard Göbel (Herborn) sagte, die negativen kirchenpolitischen Folgen seien erheblich größer als die zu erwartende Zahl von Segnungen. Kritik übte auch die hessische Kultusministerin Karin Wolf (CDU), die der Synode angehört. Sie habe “große Probleme” mit dem Beschlußtext und könne darin keinen “tragfähigen Kompromiß” sehen.

Pröpstin: Striktes Nein zur Segnung ist nicht mehr Magnus Consensus in der EKD

Kirchenpräsident Peter Steinacker wies den Vorwurf zurück, die Kirche wolle alles segnen. Die theologische Voraussetzung für den Segen sei das Bewußtsein, selbst ein Sünder zu sein und den Segen zu brauchen. Deshalb segne die Kirche “weder Tiere, Bäume, Autos noch sonst etwas”. Die Frankfurter Pröpstin Helga Trösken sagte angesichts der Befürwortung einer Segenshandlung in mehreren Landeskirchen, der breite Konsens in der EKD sei “nicht mehr ein striktes Nein”. Der schwule Synodale und Pfarrer Nulf Schade-James (Frankfurt) beklagte, daß die Kirche jahrzehntelang Homosexuelle ausgegrenzt habe. Das Ja zur Segnung signalisiere ihnen: “Ihr seid willkommen bei uns. Wir wollen Euch begleiten.” Einigen Synodalen ging der Beschlußtext nicht weit genug. Sie befürworteten eine Gleichstellung aller Lebensformen.

Ex-Homosexuelle warnten vor Segnungsbeschluß: Junge Menschen werden verwirrt

Der Gesprächskreis “Lebendige Kirche” hatte direkt vor der Debatte in einer Veranstaltung sieben Christen zu Wort kommen lassen, die früher selbst praktizierende Homosexuelle waren und durch seelsorgerliche Hilfe eine Umorientierung erfahren haben. Sie warnten vor einem Segnungsbeschluß, weil er jene Homosexuellen ausgrenze, die unter ihrer Neigung litten. Nach Angaben der Betroffenen resultierte ihre Hinwendung zum gleichen Geschlecht aus tiefgreifenden Verletzungen in Kindheit und Jugend. Eine Segenshandlung für homosexuelle Partnerschaften stifte Verwirrung bei jungen Menschen, die in der Phase der Identitätsfindung seien.

Pietisten-Präses: Der Beschluß hat kirchenspaltende Kraft

Der Beschluß der hessen-nassauischen Synode hat im innerkirchlichen Pietismus scharfe Kritik hervorgerufen. Der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften), Pfarrer Christoph Morgner (Siegen), sprach gegenüber idea von einem “verheerenden Signal”. In dem Beschluß stecke “kirchenspaltende Kraft”. Es werde ein Riß durch die Gemeinden gehen: “Das Gespür dafür, daß es hier um keine Randfrage geht, sondern der Kern des Bekenntnisses berührt ist, scheint in den Gemeinden besser ausgeprägt zu sein als in den leitenden Kirchengremien.” Morgner zeigte sich befremdet über das “rigorose Vorgehen”: “Um des Linsengerichts der Anerkennung bestimmter Kreise willen wird die Kirche ungezählte treue Mitglieder verprellen oder gar verlieren.” Mit dem Beschluß stelle die Kirche “allen Wortklaubereien und Differenzierungsversuchen zum Trotz homophiles Verhalten auf die gleiche Stufe wie heterosexuelles”. Der Ehe werde “die Würde der Einzigartigkeit” genommen. Der Gnadauer Gemeinschaftsverband hat seinen Sitz in Dillenburg, das zum hessen-nassauischen Kirchengebiet gehört.

Chrischona-Inspektor: Wir fühlen uns durch den Beschluß diskriminiert

Der Inspektor des Chrischona-Gemeinschaftswerkes in Deutschland, Pfarrer Rainer Geiss (Friedrichsdorf bei Frankfurt am Main), ist ebenfalls empört: “Wir fühlen uns durch diesen Beschluß diskriminiert.” Erstmals habe sich die hessen-nassauische Kirche dezidiert per Synodenbeschluß gegen Gottes Wort entschieden. Die Kirche diskriminiere damit “die Leute, die die Bibel ernstnehmen”. Geiss rechnet mit einer “Austrittswelle” unter den Pietisten. Viele hätten vor dem Segnungsbeschluß erklärt: “Wenn das passiert, ist für uns das Maß voll.” Geiss erwartet, daß bis zu 20 Prozent der Chrischona-Mitglieder in Hessen die Kirche verlassen. Das Gemeinschaftswerk hat in Deutschland rund 6.000 Mitglieder, davon mehr als 4.000 in Hessen. In einem Positionspapier des Verbandes vom September heißt es, unter den Mitgliedern wachse die Kritik am theologischen Kurs der EKHN. Man werde niemanden hindern, “wenn er die Entscheidung für sich trifft, die Mitgliedschaft in der EKHN zu beenden”. Die Ausgetretenen erhielten auf Wunsch alle Amtshandlungen, einschließlich einer Taufe. Wie Geiss gegenüber idea weiter sagte, werde der Gemeinschaftsverband seinen Status als freies Werk in der Kirche “zunächst nicht verändern”.

Bekennende Gruppen: EKHN ist keine evangelische Kirche mehr

Noch schärfer als die Gemeinschaftsverbände gehen eine Reihe bekennender evangelischer Gruppen mit der EKHN ins Gericht. Mit dem Beschluß habe diese “öffentlich erkennbar aufgehört, evangelische Kirche in der Nachfolge der Reformation zu sein”. So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Rates Bekennender Evangelischer Gemeinden, des Evangelischen Aufbruchs in Deutschland, der Akademie für Reformatorische Theologie und drei weiterer Initiativen. Nach ihrer Ansicht sind Christen in Deutschland “unübersehbar mit dem Ende eines dramatischen Verfallsprozesses konfrontiert: Sie müssen neu lernen, daß nicht überall, wo ein Kirchturm steht, auch Kirche Jesu Christi anzutreffen ist”. Die EKHN habe sich “in einem öffentlichen Akt über die Heilige Schrift als verbindliche Lehr- und Lebensgrundlage der Kirche Jesu Christi hinweggesetzt”. Diese Landeskirche reduziere sich auf eine “bloße religiöse Bedürfnisbefriedigungsanstalt”. In der Erklärung rufen die Gruppen die evangelischen Christen auf, “sich im Sinne Bekennender Kirche zu formieren und damit Institutionen wie die EKHN abzulösen, die nur dem Schein nach evangelische Kirche sind”. Auf dem Gebiet der EKHN gebe es bereits eine Bekennende Evangelische Gemeinde in Gießen. Abschließend heißt es: “Das Ende der EKHN ist nicht das Ende der Kirche, sondern der Anfang von Kirche in neuer Gestalt.”


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