Christen im Irak

7. November 2012 in Weltkirche


Irakische Christen erdulden Demütigung, Einschüchterung, Folter, Entführung, Mord, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung von Christinnen oder die Zerstörung von Kirchen - Sanguis martyrum Teil 3 - Ein Gastkommentar von Olaf Tannenberg


Bagdad (kath.net/Elsas Nacht(b)revier) Im August 2004 starben 18 Christen durch mehrere Autobomben in Bagdad und Mossul, etwa 60 weitere Menschen wurden verletzt. Drei weitere Tote und neun Verletzte gab es im Januar 2006 bei Anschlägen auf Kirchen in Kirkuk und Bagdad, im Oktober des gleichen Jahres wurde der syrisch-orthodoxe Priester Paulos Iskander in Mossul entführt und enthauptet. Einen Monat später wurde der evangelikale Pfarrer Monther Saga ermordet. Im Juni 2007 starben der Pfarrer Ragheed Aziz Ghanni und drei Subdiakone in Mossul. Im Februar 2008 wurde in Mossul der später in Geiselhaft verstorbene chaldäische Erzbischof Paulos Faraj Rahho entführt, dabei wurden seine drei Begleiter erschossen. Zwei Monate später wurde in Bagdad der syrisch-orthodoxe Priester Youssef Adel ermordet, im Oktober 2010 folgte dann das blutige Geiseldrama von Bagdad. Insgesamt wurden seit 2003 etwa 2.000 Christen ermordet, darunter ein Bischof und sechs Priester.

Längst hat der Exodus der Christen eingesetzt. Er hält trotz der Appelle der örtlichen Kirchenführer unvermindert an. Hauptsächliches Ziel der Flüchtlingsströme war neben Jordanien und dem Libanon insbesondere auch Syrien, das nun selbst einen blutigen Bürgerkrieg erlebt und wo die Flüchtlinge von der Verfolgung eingeholt wurden. Wem es möglich ist, flieht in ein westliches Land, wem dies nicht möglich ist, flüchtet in die Kurdengebiete im Norden. Dort ist man vermeintlich sicherer als in den übrigen Landesteilen, unter dem Schutz der kurdischen Peschmerga, der bewaffneten Milizen der Separatisten. Nur im Norden gibt es auch eine soziale Unterstützung von zirka 50 US-Dollar im Monat, wenigstens etwas für jene, die Alles verloren haben.

Die Christen im Irak gehören zu einer der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt. Selbst nach der Eroberung des Irak durch die Araber im 7. Jahrhundert bildeten sie für einige Jahrhunderte weiterhin die Bevölkerungsmehrheit an Euphrat und Tigris. Danach wurden sie mehr und mehr verdrängt, bis sie schließlich zur Minderheit im eigenen Land wurden. Während um das Jahr 1900, gegen Ende des osmanischen Reiches, etwa 25 Prozent der Einwohner einer christlichen Gemeinschaft an gehörten, verringerte sich der Anteil der Christen durch die Flucht vor Verfolgung auf rund 15 Prozent in den 1980-ern. Heute sind es noch zwischen ein und zwei Prozent der zirka 32 Millionen Iraker. Dabei befinden sie sich wegen ihrer syrischen und armenischen Herkunft in einer doppelten Minderheitenrolle. Ihre Muttersprache Aramäisch ist lediglich als Kirchensprache erhalten geblieben.

Das Gebiet des heutigen Irak ist ein mehrfach im Alten Testament erwähntes, biblisches Land. In Mesopotamien, dem ›Zweistromland‹, findet sich das Paradies der Schöpfungsgeschichte, die Sintflut wird dort verortet, Abrahams Sippe stammte aus der Umgebung der Stadt Ur im früheren Chaldäa. In frühchristlichen Zeiten verbreiteten die Assyrer das Christentum rasch über den gesamten nahen Osten. Somit ist die Historie des Irak untrennbar mit der Geschichte des Christentums verbunden.

Die irakischen Christen gehören mehreren Gemeinschaften an. Mit Rom uniert sind die chaldäisch-katholische Kirche, die syrisch-katholische Kirche und die armenisch-katholische Kirche, zum Teil uniert ist die assyrische Kirche des Ostens. Daneben finden sich die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, die armenische apostolische Kirche sowie kleinere Gemeinden lateinischer Katholiken und Protestanten. Etwa 80 Prozent der irakischen Christen sind katholisch. Die Zahl der im Irak lebenden Christen kann leider nur geschätzt werden. Detaillierte Angaben gibt es nicht. Für 2009 wird von nur noch 200.000 bis 300.000 von einst weit mehr als einer Million Christen ausgegangen. Allein in Mosul, dem biblischen Ninive, schrumpften die christlichen Gemeinden von rund 30.000 Gläubigen im Jahre 2003 auf 5.000 im Jahre 2010.

Der heutige Staat Irak ist geprägt von den Auswirkungen der brutalen Diktatur Saddam Husseins, dem Krieg einer westlichen Allianz zum Sturz das Regime in 2003 und der daraus entstandenen Nachkriegskonflikte. Einem kurzen Krieg schloss sich ein langwieriger, längst nicht abgeschlossener Prozess der Befriedung an, der besonders von den uralten Konflikten zwischen arabischen Schiiten und Sunniten sowie nach Autonomie strebenden Kurden, meist ebenfalls Sunniten, bestimmt wird. Die Christen sind politisch völlig bedeutungslos. De jure besteht im Irak Religionsfreiheit, faktisch ist der Islam die verfasste Staatsreligion. Das höchste Gericht beschäftigt eine Anzahl Scharia-Richter. Im Grunde genommen kann der Irak als dreigeteilt bezeichnet werden. Den Süden beherrschen die Schiiten, das Zentrum des Landes die sunnitische Bevölkerungsmehrheit, den Norden die in zwei miteinander rivalisierende Gruppierungen geteilten Kurden.

Wie so oft erwies sich die Annahme der Regierungen der westlichen Welt, man könne mittels Militärmacht eine funktionierende Demokratie nach eigenem Vorbild schaffen, als gefährlicher Irrtum. Einer eher schwachen Staatsgewalt stehen regionale und militant-religiöse Gruppierungen entgegen, allesamt unterstützt von hochgerüsteten Milizen. Auch die Terrororganisation Al-Qaida ist mit rund 2.000 Mitgliedern im Irak präsent; deren wahnwitzige Ideologie ist weitaus mehr verbreitet als gemeinhin angenommen wird.

So wird das Feld der jungen Demokratie mit dem Blut und den Tränen der Christen bestellt. Sie sind die Opfer der Verfolgung durch Terroristen und andere islamistische Gruppen, durch Milizen der Konfliktparteien und durch aufgestachelte Nachbarn. Auf dem Verfolgungsindex des christlichen Hilfswerks Open Doors nimmt der Irak Platz 9 ein. An der Tagesordnung sind Demütigung, Einschüchterung, Folter, Entführung, Mord, Vergewaltigung und Zwangsverheiratung von Christinnen oder die Zerstörung von Kirchen.

Bereits im März 2007 berichtete das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR, Christen seien im Irak ihres Lebens nicht mehr sicher, Gewalttaten aus religiösen Gründen gegen sie nähmen zu. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sieht sogar ein Ende des Christentums im Irak. In der Tat muss darum gefürchtet werden, umso verständlicher sollte der vom Vatikan und vom Heiligen Vater vorangetriebene interreligiöse Dialog erscheinen. Die Verhältnisse im Irak lassen überhaupt keinen anderen Weg zu als das gemeinsame Gespräch und die fortwährenden Bemühungen um ein friedliches Miteinander der Religionsgemeinschaften.

Auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint, gibt es einige Lichtblicke. Mit dem 43-jährigen Emil Shimoun Nona wurde ein äußerst befähigter, tapferer und aufrechter Mann zum chaldäisch-katholischen Erzbischof von Mossul berufen. Seine Worte: »Wir haben immense Probleme, niemand kann das leugnen. Aber mein Glaube ist sehr stark, und ich möchte alles tun, was mir möglich ist, um mit Gottes Hilfe die Menschen hier zu inspirieren und zu ermutigen, damit sie die Hoffnung nicht verlieren. Ich möchte sie in diesen finsteren Zeiten führen, hinein in eine bessere Zeit.« [Kirche in Not, ›Dokumentation Christen in größter Bedrängnis‹]

Und es gibt die kleine Stadt Karakosh im irakischen Norden, in der es, von einer christlichen Miliz geschützt, fünf Kirchen und nur eine Moschee gibt. GEO-Reporter Malte Henk besuchte Karakosh und schrieb beeindruckt: »Es hat eine große Anziehungskraft, Erhabenheit und enorme spirituelle Kraft, wie die Menschen Glauben und Tradition trotz aller Gefahr weiterführen«, kath.net hat berichtet.

Beten wir besonders für Erzbischof Nona, damit sein Beispiel den Menschen Mut machen wird, beten wir für die Christen in Karakosh, die beispielgebend für uns alle sind, und für alle anderen irakischen Christen, die unter ärgster Bedrängnis ihrem Glauben die Treue halten.

Der Beitrag stammt aus dem Blog von Barbara Wenz: Elsas Nacht(b)revier)


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