Galileo Galilei – übereifrig, skrupellos, verwildert

2. November 2012 in Chronik


Als Märtyrer der modernen Geistesfreiheit wird Galileo Galilei noch heute gefeiert. Dabei ziehen zahlreiche Forscher eine Linie von dem Florentiner Gelehrten bis zum Bau der Atombombe. Von Paul Badde /Die Welt


Vatikanstadt (kath.net/DieWelt) Es hatte lange gedauert, bis die heilige Inquisition Galileo Galilei zum Widerruf verurteilte. Erst am 22. Juni 1633 musste er seiner, wie es hieß, Irrlehre abschwören, dass die Sonne die stehende Mitte des Universums sei (was sich in seinen Augen etwa auch durch das Vor und Zurück von Ebbe und Flut im Gezeitenwechsel empirisch beweisen ließe).

Dass die Sonne hingegen morgens im Osten auf- und abends im Westen untergeht – also "geht", wohlgemerkt, und nicht steht! – sieht aber auch heute noch jedes Kind. Damals hielten das deshalb auch viele Geistesgrößen noch für das Wahrscheinlichere, weil es eben so augenscheinlich ist. Doch darum ging es in dem berühmten Prozess gegen Galilei gar nicht.

Schon 1507 hatte Nikolaus Kopernikus im Ermland an der Ostsee die Hypothese aufgestellt, dass "die Erde sich nicht um die Sonne dreht, sondern umgekehrt" und dergleichen mehr. Die Behauptung konnte einiges besser erklären als die alte Hypothese des Ptolomaios, für den die Erde eine Scheibe war (wofür dem Augenschein nach ja auch einiges spricht).

Im spanischen Salamanca wurde jedenfalls seit 1561 schon das eine wie das andere Weltbild gelehrt. Doch weder das eine noch das andere ließ sich damals oder auch im Jahr 1633 schon wissenschaftlich beweisen. Bis zu einem solchen Beweis aber, hielt die Inquisition Galilei vor, müsse auch er ein wenig selbstkritischer und skeptischer mit seinen Thesen sein.

"Der Narr will die Astronomie umkehren"

Davon wollte der schillernde Gelehrte nichts wissen. Es war ihm auch egal, was die Bibel dazu sagte und welche Wirkung seine umstürzende Entdeckung auf die einfachen Leute haben mochte. Luther und Calvin hatten sich schon über die Anmaßung des Kopernikus empört, der vor Galilei ähnlichen Unfug behauptet hatte. "Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren", hatte etwa Doktor Luther über den Ermländer Astronomen geurteilt.

Und nun ließ in Rom Papst Urban VIII. ein Jahrhundert später dessen bizarren Schüler Galilei immer noch milde gewähren (weil er so lange einen Narren an ihm gefressen hatte). Erst am 22. Juni 1633 verpflichtete der Pontifex ihn endlich, seine Irrtümer hinter dem Pantheon in der Aula des Klosters Santa Maria Sopra Minerva öffentlich vor der Inquisition zu widerrufen. Das war schon der ganze Fall Galilei.

Noch viel länger als dieser Prozess hat es allerdings gedauert, bis die katholische Kirche den Fall wieder aufrollte und Galileo Galilei am 2. November 1992 – vor gerade erst zwanzig Jahren – unter Johannes Paul II. formal rehabilitierte. Er sollte sogar eine Statue im Vatikan bekommen, heißt es seitdem. Gesehen wurde bisher noch nichts davon.

Das Urteil wurde nicht unterzeichnet

Im November 2008 distanzierte sich der Vatikan erneut von der Verurteilung durch die päpstliche Inquisition durch die Veröffentlichung einer historisch-kritischen Ausgabe der Prozessakten. Betreut hat das 550 Seiten starke Werk mit vielen neuen Dokumenten Bischof Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs. Urban VIII. habe das Urteil gegen Galilei ja gar nicht unterzeichnet, hieß es da, außerdem hätten Papst und Kurie nicht geschlossen hinter der Inquisition gestanden.

Kurzum, es hätte "Irrtümer" gegeben und Papst Benedikt XVI. selbst rühmte nun vor aller Welt den Forscherdrang Galileis, den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone plötzlich auch als einen "Mann des Glaubens" vorstellte, "der die Natur als ein Buch ansah, dessen Autor Gott ist", und dessen Geist uns lehre, "wie man in den Himmel kommt, nicht wie der Himmel sich bewegt." Sogar eine Totenmesse wurde danach von Erzbischof Ravasi für den armen Sünder Galilei gelesen.

Ganz vom Tisch kriegt der Vatikan den Fall so leicht aber dennoch nicht. Aus zwei Gründen. Erstens ist Galilei längst ein Mythos geworden, der mit der Realität kaum noch etwas zu tun hatte. Zweitens hatte die Inquisition mit ihrem Urteil gegen Galilei recht und nicht umgekehrt. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Kardinal Robert Bellarmin, den höchst barmherzigen Gegenspieler Galileis in der Inquisition, erfüllte nämlich schon im 17. Jahrhundert das moderne Ideal der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts, dass jede wissenschaftliche Behauptung nur Hypothese sein darf.

In jedem Gedanken die pure Wahrheit

Karl Popper hat die Erkenntnis erst 1934 in seiner "Logik der Forschung" klassisch ausformuliert. Davon wollte Galileo Galilei hingegen zu seiner Zeit überhaupt nichts wissen. Er sah in jedem Gedanken, der ihm durchs Hirn schoss, nichts als die pure Wahrheit für alle Zeiten, auch wenn sie noch so abstrus war. Hypothetisch konnte er seine Erkenntnisse niemals begreifen.

Deshalb hielt aber auch schon 1908 der französische Physiker Pierre Duhem fest, dass im Prozess gegen Galileo Galilei "die wissenschaftliche Logik" auf der Seite der Inquisition und nicht auf der Seite Galileis gestanden habe, als er sagte: "Angenommen, die Hypothesen des Kopernikus könnten alle bekannten Erscheinungen erklären, dann könnte man daraus schließen, dass sie möglicherweise wahr sind, keineswegs aber, dass sie notwendig stimmen.

Um diesen letzten Schluss zu ziehen, müsste man ja beweisen, dass kein anderes System denkbar ist, das die Erscheinungen genau so gut (oder besser) erklärt. Dieser letzte Beweis ist nie geführt worden." Bis Einstein die Relativitätstheorie entdeckte, wie wir heute hinzufügen müssen.

Kurioserweise sind in unserem Zeitalter jedenfalls vor allem atheistische oder agnostische Wissenschaftler der Kirche in ihrem damaligen Disput mit Galilei solidarisch beigesprungen, von dem marxistischen Philosophen Ernst Bloch bis zu dem agnostisch skeptischen Paul Feyerabend, der 1976 in seiner Streitschrift "Wider den Methodenzwang" festhielt: "Die Kirche zur Zeit Galileis hielt sich viel enger an die Vernunft als Galilei selber, und sie zog auch die ethischen und sozialen Folgen der Galileischen Lehren in Betracht. Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision lässt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen."

"Erbsünde der modernen Naturwissenschaften"

Carl Friedrich von Weizsäcker ging nach ihm noch weiter, als er als konkrete Konsequenz der Haltung Galileo Galileis einen direkten Weg zur Entwicklung der Atombombe erkannte. Ähnlich urteilte auch Bertolt Brecht 1967: "Galileis Verbrechen kann als Erbsünde der modernen Naturwissenschaften bezeichnet werden. Die Atombombe ist sowohl als technisches als auch soziales Phänomen das klassische Endprodukt seiner wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen Versagens."

Doch es hilft alles nichts. Kritik an Galilei scheint vergebliche Liebesmüh. Er ist die heilige Kuh der Moderne geworden, auch wenn die Inquisition auf die Bitte Papst Benedikt XIV. im Jahr 1741 den Druck der Gesamtausgabe seiner Werke ohne Abstriche gestattete.

Weil Joseph Ratzinger aber 1990 in einem Vortrag in Parma wagte, noch einmal an die oben zitierten Worte des österreichischen Philosophen Feyerabend zu Galilei zu erinnern, verwehrten rund 30 Jahre später (im Januar 2008) ein Netzwerk hyperventilierender Studenten mit 67 Dozenten Benedikt XVI. einen "unangemessenen Besuch" in der römischen Universität Sapienza, die von dessen Vorgänger Bonifatius VIII. im Jahr 1303 gegründet worden war. Der Papst hatte hier eine Rede gegen die Todesstrafe halten wollen. Der Hysterie um die Causa Galilei wegen sagte er den Besuch dann ab.

Marketing-Genie mit Verfolgungswahn

Der Fall G. ist also ein heiliges Tabu der Moderne, und es braucht eigentlich schon einen so frechen Hundling wie den Kisch-Preisträger Hans Conrad Zander aus der Schweiz, der es wagen darf, ihn "rücksichtslos, überheblich, größenwahnsinnig", jedoch auch ein "Marketing-Genie (mit Verfolgungswahn)" zu nennen.

Bei diesem "epochalen Januskopf" redet sich der ebenso witzige wie bedächtige Schweizer heute noch in Fahrt. Der "Champion der Emanzipation der Wissenschaft aus kirchlicher Knechtschaft und Märtyrer moderner Geistesfreiheit", sei, von vorn betrachtet, "das schöne Gesicht der Kultfigur Galilei."

Von hinten betrachtet hingegen habe er "die hässlichste aller akademischen Fratzen: ein Naturwissenschaftler, der übereifrig, skrupellos sein Wissen und seine Technik in den Dienst politischer Tyrannen stellt. Der Archetyp des verwilderten Naturwissenschaftlers heißt Galileo Galilei."

Gnädiger urteilt über ihn in unserer Zeit wieder einmal nur die römische Kirche, etwa Kardinal Brandmüller, der den "gläubigen Katholiken" zwar für einen "eitlen, von seiner Bedeutung zutiefst überzeugten Gelehrten hält, der sein Konto manchmal überzogen hat und im Umgang mit Kollegen und Konkurrenten gewiss keine Bisshemmungen kannte."

Der Kerker mit der besten Küche Roms

Seine Verurteilung sei dennoch "wohl begründet" gewesen. Denn erstens habe er die Druckerlaubnis für seinen "Dialogo" auf unlautere Weise erschlichen. Zweitens habe er nicht auf die Forderung des Heiligen Offiziums eingehen wollen, seine Theorie über den Heliozentrismus als astronomische, physikalische Hypothese zu vertreten und eben nicht als exakte Beschreibung der kosmischen Realität.

"Genau damit hat die Heilige Inquisition damals aber schon den wissenschaftstheoretischen Standpunkt vorweg genommen, den die modernste theoretische Physik heute einnimmt – und nicht Galilei. Das war der Kern des Streits. In naturwissenschaftlicher Hinsicht war die Inquisition im Recht – und Galilei mit seiner Bibelerklärung!"

Doch die eigentliche wissenschaftliche Bedeutung Galileis habe weniger mit seinen astronomischen Beobachtungen zu tun, sondern vielmehr mit seinem Spätwerk über die Mechanik, das er in seinem angeblichen "Kerker" im Palast des Heiligen Uffiziums bei der besten Küche Roms begonnen und nach seiner Verurteilung durch die Inquisition vollendet hat. Dass sich die Erde dennoch bewege – seinen angeblich berühmtesten Satz ("Eppur si muove") – hat ihn dabei keiner jemals murmeln gehört.

In unserer Zeit wurde die Raumforschungssonde "Galileo" nach ihm benannt, die von der Nasa 1989 ins All und 2003 im Schwerefeld des Jupiter gezielt zum Absturz gebracht wurde und verglühte. Der Fall Galileo Galilei aber bleibt der Treppenwitz der Geistesgeschichte des blauen Planeten.


© 2012 www.kath.net