Der Glaube trägt das Siegel der Tapferkeit. Gerade heute!

5. Oktober 2012 in Deutschland


Kardinal Meisner zum zehnten Jahrestag des hl. Josefmaria Escrivá: Die christliche Tapferkeit und Standhaftigkeit macht mitunter sehr einsam. Von Petra Lorleberg


Köln (kath.net/pek/pl) „Der Glaube trägt das Siegel der Gelassenheit, und der Glaube trägt das Siegel der Tapferkeit. Gerade heute!“ Das sagte Joachim Kardinal Meisner in seiner Predigt anlässlich des zehnten Jahrestages der Heiligsprechung von Josefmaria Escrivá durch Papst Johannes Paul II. am 6.10.2002. Der Erzbischof von Köln feierte am vergangenen Mittwoch mit Mitgliedern und Freunden der vom spanischen Heiligen gegründeten Personalprälatur Opus Dei in der Kölner Kirche St. Pantaleon ein Pontifikalamt.

„Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich weiß wohl, solche Tapferkeit und Standhaftigkeit macht mitunter sehr einsam“, sagte Meisner weiter und wies darauf hin, dass manche „nichts Eiligeres zu tun“ hätten, als sich „vor den Trends zu beugen“. Dann erscheine jeder, der diesen Dreh nicht mitmache, „als ein Narr“. „Das ist die Last der Tapferkeit, die Erprobung unseres Christentums, der Test auf die Kraft und die Reife unseres werktätigen Glaubens.“ Der Kardinal stellte fest, „hier haben die Mitglieder des Opus Dei in der Kirche, leider auch in der deutschen Gesellschaft, ihr Bewährungsfeld gehabt, auch noch in Gegenwart. Ich weiß nicht, ob es in der Zukunft anders wird.“ Werktätiger Glaube eines Christen müsse von der Tapferkeit geprägt sein, diese „ist nicht Tollkühnheit, sondern das geduldige Ausharren im Trommelfeuer der Presse und anderer meinungsbildender Organe“.

kath.net dokumentiert die Predigt von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner anlässlich des 10. Jahrestages der Heiligsprechung von Josefmaria Escrivá und 60 Jahre Opus Dei in Köln in St. Pantaleon in Köln am 3. Oktober 2012 in voller Länge:

Liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst,
liebe Schwestern, liebe Brüder,
liebe Jugendliche und liebe Kinder,
1. Wer richtig leben will, muss den Plan seines Lebens kennen und – nicht genug damit – sich danach richten.

Das ist das überzeugende Lebenszeugnis, das uns der hl. Josefmaria hinterlassen hat, der vor 10 Jahren, nur kurze Zeit nach seiner Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II., die Heiligsprechung erfahren hat, weil der Papst wusste, wie wichtig gerade sein Lebenszeugnis und Lebensmodell in der gegenwärtigen modernen Welt ist.

Nun ist die Welt zu aller Zeit voller Pläne gewesen, mit denen man das eigene Leben zu bestehen hoffte. Unsere Zeit macht da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil! Man könnte unsere Zeit als das Zeitalter der Planung bezeichnen: Bildungspläne, Erziehungspläne, Raumpläne, Wirtschaftspläne, Finanzpläne und Produktionspläne. Und die dazu gehörigen Planungsgruppen bestimmen das öffentliche Gespräch. So nützlich die einzelnen Pläne auch immer sein mögen, sie umfassen immer nur einen Teil unseres Lebens. Unser Leben besteht doch aus mehr als nur aus Bildung, Erziehung, Wirtschaft und Produktion. Es muss einen Plan geben, der alle anderen Pläne umfasst, von dem alle anderen Pläne ableitbar und erklärbar sind. Diesen Grundplan des Lebens meint die Heilige Schrift, wenn sie sagt, dass in Christus alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind (vgl. Kol 2,3). Christus ist der verborgene Plan Gottes für die Welt. Er ist der Logos, d. h. er ist die Logik von allem, was wir in der Welt zu bewegen haben. Wer zu ihm geht, entdeckt seinen eigenen Lebensentwurf, seinen eigenen Lebensplan. Das hat uns der hl. Josefmaria vorgemacht in Wort, Schrift und Praxis. Darum ist er zu einer normgebenden Gestalt für das Christsein mitten in der Welt in dieser säkularen Umwelt geworden. Wir gehen heute zu ihm, zu Josefmaria, und er führt uns zu Christus, um richtig leben zu lernen, d.h. auch immer, um richtig glauben zu lernen. Und im Glauben erkennen wir, dass Christus der Gottmensch ist, Gott, dem alle Anbetung gebührt, und Gott, der Mensch in Christus ist, dem wir in Kirche und Welt solidarisch verbunden sind. Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen und auch die Welt. Und hier hat die gründliche Kenntnis des modernen Menschen bei Josefmaria ihren Ausgangspunkt für die tiefe theologische Kenntnis des Gott-Menschen Jesus Christus.

Die abendländische Christenheit hat diese Erfahrung in der Formel zusammengefasst: Bete und arbeite! Wer betet, ohne zu arbeiten, wird ein Schwärmer. Und wer arbeitet, ohne zu beten, wird ein Prolet. Beides zusammen erst schenkt uns die Abbildhaftigkeit Christi, der Gott und Mensch zugleich ist. Darum ist die strenge Trennung von sakral und profan bei Josefmaria weithin aufgehoben, und darum ist auch der Welt-christ zur Heiligkeit berufen und begnadet. In unserem Glauben tut sich Gott kund, der Mensch geworden ist in Jesus Christus. Und so wird der Glaubende zum Berührungspunkt Christi in der Welt für die Menschen. Die Mitglieder des Opus Dei wirken und leben seit 60 Jahren in Deutschland und verdichten durch ihr Dasein und Sosein die Berührbarkeit Christi in unserer Welt.

2. Der Glaube verlangt von uns Gelassenheit. Das zeigt uns das Lebensbild und der Arbeitsstil des Opus- Dei-Gründers.

Nicht wahr, in unserer Umwelt herrscht das Prinzip der Leistung, der Lebensleistung vor, das Prinzip des „Morgen noch mehr“. Worin kann ich den Plan, den anderen und mich selbst übertreffen? Wer in einem sol-chen Verhaltensschema groß wird, der sieht rings um sich herum nur noch Aufgaben. Das kann dann für den Einzelnen zum unerträglichen Druck werden, der leisten will, aber nichts zum Leisten hat. Und vor lauter realen oder erwünschten Aufgaben sieht er die Gaben nicht mehr, die Leben und Welt ihm auch sein können. Und hier wird dann die Grundordnung der Welt buchstäblich auf den Kopf gestellt. Der Mensch erlebt sich hier nicht zuerst als Kreatur, sondern als Produzent. Die ihm begegnete Welt ist nur noch das Vorhandene, das Handzuhabende, das zu Behandelnde, aber sie ist nicht mehr das Gegebene und das Geschenkte. Und das treibt den armen Menschen in einen nie endenden Leistungsdruck, sein Herz in den Infarkt, seine Hand in den Krampf. Er muss ja alles selbst tun. Und viel Zeit bleibt ihm nicht. Was er nicht bis zum Tode erjagt hat, das gehört ihm nicht. Wer ihm dann Gelassenheit empfiehlt, der ist eigentlich sein größter Feind.

Der hl. Josefmaria zeigt uns eine ganz andere Lebenskonzeption. Wer den Geber aller Gaben kennt und sich ihm gegeben weiß, der bekommt den langen Atem, der bekommt den Mut, das Unmögliche zu erhoffen und inzwischen das ihm Mögliche zu tun. Er packt Aufgaben an, die die Spanne seines Lebens weit überstei-gen werden. Er kann einmal von seinem Lebenswerk sagen: „Es war nur ein kleiner Beitrag. Aber es hat sich gelohnt!“, weil er seinen Sinn von Gott her bekommt und nicht vom Menschen her. Das zeigt uns überdeutlich der hl. Josefmaria. Darum braucht ein Christ die Welt nicht zu verändern, wohl aber das Stückchen Welt, auf dem er steht. Und darum braucht auch ein Christ die Menschheit nicht zu retten, wohl aber darf er die Menschen nicht im Stich lassen, die er zu retten vermag, und wäre es nur ein einziger. Und darum brauchen wir nicht die alte Welt zu zerstören, um die neue aufzubauen. Wir brauchen nur dort anzufangen, wo etwas Platz für etwas Neues ist. Das ist die Philosophie von Josefmaria. Die Gelassenheit schenkt uns den langen Atem, den Mut, das Unmögliche zu erhoffen und inzwischen das uns Mögliche zu tun. Ob das nicht revoluti-onärer und für den Menschen befreiender ist als die lautstarken Programme und Strategien der angeblichen Weltverbesserer? Die Heiligen Gottes konnten sich für einen Schritt nach vorwärts einsetzen und ihr Leben daran verschwenden, weil sie an die große Geduld Gottes mit seiner Welt glaubten.

3. Der Glaube trägt das Siegel der Gelassenheit, und der Glaube trägt das Siegel der Tapferkeit. Gerade heute!Gerade auch beim Opus Dei.

Die Tapferkeit befähigt den Menschen, die Überfälle des Lebens zu ertragen. Sie ist als Steigerung und Er-mächtigung des persönlichen Menschen, die Befähigung, selbstständig zu sein, sich seine Lebenskonzepte nicht von anderen verordnen zu lassen, von sich her Urteil, Wertung, Entscheidungskraft mitzubringen und durchzutragen. Das ist christliche Tapferkeit. Ein solcher Mensch kann nicht durch Versprechungen und An-gebote gelockt oder geködert werden, weil in ihm ein Punkt ist, der nicht zu ködern ist, weder mit Verspre-chungen noch mit Angeboten. Und ein solcher Mensch erschrickt nicht vor der Bedrohung von außen, weil er sich in der Mitte seines Lebens durch die Gabe der Tapferkeit vom starken Arm Gottes getragen weiß. Ich weiß wohl, solche Tapferkeit und Standhaftigkeit macht mitunter sehr einsam, denn manche haben nichts Eiligeres zu tun, als sich vor den Trends zu beugen. Sie haben nicht Augen genug, um die neuen Tendenzen zu erspähen, und nicht Füße genug, um sich schnell genug zu wenden und zu drehen, um jedem Luftzug und jedem Windhauch gerecht zu werden. Weil die moderne Welt sich so dreht, muss jeder als ein Narr erschei-nen, der sich nicht mitdreht, der diesen Dreh nicht mitmacht. Das ist die Last der Tapferkeit, die Erprobung unseres Christentums, der Test auf die Kraft und die Reife unseres werktätigen Glaubens. Hier haben die Mit-glieder des Opus Dei in der Kirche, leider auch in der deutschen Gesellschaft, ihr Bewährungsfeld gehabt, auch noch in Gegenwart. Ich weiß nicht, ob es in der Zukunft anders wird.

Der Apostel Paulus nennt diese Haltung der Tapferkeit „den Helm des Heiles“ (Eph 6,17). Diese Rüstung bedeckt und schützt das Haupt des Menschen und sein Herz, lässt aber das Visier offen, damit wir uns mit dem Auge unseres Glaubens an ihm festhalten können, der uns trägt: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Werktätiger Glaube eines Christen muss geprägt sein von der Tapferkeit. Sie ist nicht Tollkühnheit, sondern das geduldige Ausharren im Trommelfeuer der Presse und anderer meinungsbildender Organe.
Die Tapferkeit ist für uns Christen in unserer säkularisierten Gesellschaft die Lebenstugend Nummer Eins. Ohne sie gehen wir unter. Das Opus Dei mit seinem heiligen Gründer möge weiterhin die Vorhut auf dem Feld dieser heutigen Herausforderungen für uns alle bleiben. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln

In diesem Pontifikalamt berichtete Meisner auch über ein Gespräch zwischen ihm und Papst Johannes Paul II. über den zukünftigen Fall der Mauer und über seine eigene Berufung nach Köln: "Die deutsche Einheit und die Geheimnisse eines Papstes"

kathtube-Video: Das Pontifikalamt mit Kardinal Meisner (in Ausschnitten). Predigt ab Minute 17,30



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