Sollten Christen auch die 'Bild'-Zeitung lesen?

13. Juli 2012 in Kommentar


Die „Bild“ thematisiert Tag für Tag die Fragen, die Menschen bewegen: Glück, Geld, Schuld, Scheitern, Vergebung, Lust, Krise, Trost, Leid – Glaube, Hoffnung, Liebe! Doch wie steht es um ihr Niveau?


Wetzlar (kath.net/idea) Ende Juni erhielten 41 Millionen – also fast alle – Haushalte in Deutschland kostenfrei die „Bild“. Der Grund: Das Boulevardblatt wurde 60 Jahre alt. idea nahm dies zum Anlass für die Frage, ob auch Christen die Springer-Zeitung lesen sollten.

PRO „Bild“ thematisiert Tag für Tag die Fragen, die Menschen bewegen: Glück, Geld, Schuld, Scheitern, Vergebung, Lust, Krise, Trost, Leid – Glaube, Hoffnung, Liebe! „In der Kirche werden dagegen immer die Fragen beantwortet, die niemand gestellt hat!“ Wie eine Ohrfeige war dieser Satz, der mir von einem glaubenskritischen Zeitgenossen entgegengeschleudert wurde. „Bild“ dagegen versteht es – wie einst Martin Luther (1483–1546) –, „den Leuten aufs Maul zu schauen“. Muss sie ja auch, schließlich werden die Redakteure nicht aus Kirchensteuermitteln oder von Gemeindespenden bezahlt. Die „Bild“-Zeitung muss mit ihren Schlagzeilen und Artikeln unseren Nerv treffen, sonst wird sie nicht gekauft. Und es macht mich nachdenklich, dass sie besonders auch jene erreicht, die wir in unseren christlichen Veranstaltungen nur selten antreffen: täglich fast 10 Millionen Menschen, von denen deutlich mehr als die Hälfte Männer sind! Fast die Hälfte verfügt über einen Hauptschulabschluss mit Ausbildung, ein Drittel hat die Mittlere Reife absolviert. Das verdient Respekt – auch wenn „Bild“ oft respektlos schreibt.

Vieles, was in „Bild“ steht, ist ein Griff ins Klo, aber …

Vieles, was in der „Bild“ steht, ist gemein, ist Gosse, ist ein Griff ins Klo. Es geht uns Christen aber doch um die Menschen – um der Liebe Gottes willen! Nur christliche Arroganz und fromme Selbstverliebtheit können uns daran hindern, „Bild“ zu lesen. Darum lese ich „Bild“. Nicht jeden Tag – das unterscheidet sie von der „Frankfurter Rundschau“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Ich lese „Bild“ zur Predigtvorbereitung – um nahe bei den Menschen zu sein und die Fragen zu beantworten, die sie stellen. So kann es gelingen, die Liebe Gottes in Jesus Christus lebensnah in den Alltag meiner Zeitgenossen hinein zu sprechen: als Lebenskraft.

Der Autor, Pastor Heino Masemann (Hannover), leitet die „Kirche für Fragende und Suchende“ im Expowal und ist Geschäftsführer des Landesvereins für Innere Mission.)

KONTRA Selbstverständlich sollte jeder Mensch, der sich ein Urteil über die „Bild“-Zeitung erlaubt, sie auch gelesen haben – unabhängig von der eigenen Konfession. Als Urteilsgrundlage genügt der Blick auf die Schlagzeilen: „Penis zu kurz! Schüler springt vom Hochhaus“; „Taxifahrer zerstückelt – aufgegessen“; „Sex-Gier – Er köpfte 17 Männer – Teile gekocht“; „Eva Renzi nackt blutig gepeitscht“; „Riesenaffe zerfleischt taubes Kind“; „Abgehackter Frauenkopf in der Bratröhre gefunden“; „Hatten Dodi und Di Sex im Todes-Auto?“; „Menschenfresser tanzte mit nackter Liebespuppe“; „Pinkelte Paris Hilton ins Taxi?“
Wollen Sie sich das antun: „Er köpfte 17 – Teile gekocht“?

Zu entnehmen war der „Bild“-Zeitung eines Tages auch die Information, dass die Gemahlin des britischen Thronfolgers bei ihrer Entjungferung – wortwörtlich – „nach Kotze“ gerochen habe. Unter gesitteten Menschen wäre eine solche Mitteilung vollkommen unmöglich. Für die „Bild“-Zeitung ist sie ein tagtäglich verrichtetes Geschäft, das dem Springer-Konzern so ungeheuerlich viel Geld einbringt, dass er auch den evangelischen Bischöfen und dem Papst als respektable Macht erscheint. Wer sich ihr unterwirft – und sei es auch nur durch die öffentliche Lektüre der „Bild“-Zeitung –, sollte sich fragen, ob es nicht anständiger wäre, in aller Öffentlichkeit die Zeitschrift „Mega-Möpse“ zu studieren. Deren Berichterstattung hat immerhin noch niemandem das Leben gekostet, während die „Bild“-Zeitung bedenkenlos über Leichen geht. Zu erinnern wäre hier an den Selbstmord des Schauspielers Raimund Harms-torf (1939–1998), der sich erhängte, nachdem seine Parkinson-Erkrankung von „Bild“ ausgeplärrt worden war.

Da gibt es nichts mehr zu schmunzeln. Da hilft nur ein radikaler Boykott.

Der Autor, Gerhard Henschel (Hamburg), ist Publizist. 2006 erschien sein Buch „Gossenreport – Betriebsgeheimnisse der ‚Bild’-Zeitung“.


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